ECHT SHATTERHAND
Improvisation zu Karl May

Von Doktor Willi Wildtwuchs

Redaktion: Uta Motschmann

Manuskript 2022

Wie ergeht es einem, der tatsächlich erlebt hat, was Karl May über Old Shatterhand erzählt? Wird die Gesellschaft seinen ungewöhnlichen Erlebnissen gerecht???

Das erfahren Sie in: ECHT SHATTERHAND, der satirischen Improvisation von Doktor Willi Wildtwuchs über Karl Mays: Winnetou I.


Zum Inhaltsverzeichnis
Zum Vorwort
Zum ersten Kapitel: Wie es dazu kam
Aussprache der indianischen Worte


Aussprache der indianischen Worte

ZeichenAusspracheBeispielBedeutung
Vokal mit Akutlang und betontOchtópu OdschémoDer Feinde Mit Der Faust Besiegt
Vokal mit Graviskurz und betontAchàtta ItìtliZu Stolz, Sich Reiten Zu Lassen
Buchstabe: Jstimmhaftes sch (wie Jean)Orró EjéneDer Schlafende Bär
Buchstabe: VWVìnetu Devíje ChadeschòSein Blut Rinnt Feurig Für Gerechtigkeit

Vorwort

Wie ergeht es einem, der tatsächlich erlebt hat, was uns Karl May von Old Shatterhand erzählt?

Darauf fand ich die Antwort, nachdem mein Freund Dr. Arne Harder, sein Bruder Hayo und ich 1995 den erfolgreichen Abschluss der Leipziger Buchmesse begossen hatten. Betrunken fochten Hayo und ich ein Wettrennen auf der Autobahn mit uralten Traktoren aus. Doch entkam ich nicht wie Hayo, als die Polizei erschien. Ich wurde in die Untersuchungsabteilung des Gefängnisses zu Leipzig eingeliefert, die sich in jenem Gebäude befand, das vor dem ersten Weltkriege als Zuchthaus gedient hatte.

Beim Aufräumen des Dachbodens, zu dem ich mich gemeldet hatte, fand ich in einer grau verstaubten Mappe ein aus 300 mit Vorder und Rückseiten eng beschriebenes Typoskript aus dem Jahre 1901. Dessen Autor, Carl Mai, den Freunde in Deutschland Kalle nannten, und der im Westen als Shatterhand bekannt war, erklärte, im Gebiete der Apachen jene Ereignisse erlebt zu haben, die ein wohlhabend gewordener Trivial-Romancier Namens Karl May wiedergegeben habe, nachdem er manche Änderung zugunsten besseren Verkaufserfolges vorgenommen hatte. Hier lege Carl Mai seinen wahrheitsgemäßen: Bericht der Ereignisse bei den Apachen vor.

Fasziniert las ich die 300 Blätter vom ersten bis zum letzten Zeichen. 450 Seiten widmet Carl Mai darin dem Aufzeichnungssystem der Apachen, das mit dem Wort: Schrift seiner Ansicht nach unzureichend beschrieben ist. Er legt also eine Ethnographie der Kultur der Apachen vor.

Bald gewann ich den Eindruck, dass Herr Mai von der Wahrheit seiner Ausführungen überzeugt war. Er hatte authentisch berichtet, ob seine Erlebnisse Produkte der Wirklichkeit im Gebiet der Apachen gewesen, oder als Resultat von Phantasien im Zuchthaus entstanden waren.

So verbrachte ich sechs Wochen im Gefängnis. Danach verdrängte ich meine Verfehlung und wirkte als Lektor für psychologische Fachliteratur und Dozent für systemische Familientherapie.

Vor neun Monaten aber begegnete mir der Student Heiner Mai. Ich interviewte ihn und erfuhr, dass sein Urgroßvater Carl der verstoßene Sündenbock in der Ahnenreihe der rigiden Moralvorstellungen verhafteten Familie Mai war, weil er über zehn Jahre im Zuchthaus verbracht hatte. Nach der Begnadigung habe er Deutschland den Rücken gekehrt. Das rührte die Erinnerungen an meinen verdrängten Gefängnisaufenthalt und das Typoscript Kalles wieder auf. Ich gab es ihm zu lesen und bat ihn, herauszufinden, ob es mit seiner Familie zu tun habe.

Heiner erwies sich als Urenkel Kalles. Wir beratschlagten und waren uns einig, Kalles guten Ruf wieder herzustellen. Da Karl May seine Darstellungen in Form von Trivialromanen verbreitet hatte, erschien es uns gerecht, Kalles Bericht zu redigieren und als Trivialroman zu publizieren.

So entstand: ECHT SHATTERHAND. Was hier erzählt wird, findet sich identisch in Carl Mais Bericht.

Doktor Willi Wildwuchs

 

Mein Name ist Carl Mai. Ich bin ein Vagabund und seit zehn Jahren Häftling im Zuchthaus zu Leipzig. Im Wilden Westen nennt man mich Shatterhand, Freunde in Deutschland rufen mich Kalle.

Dies ist mein Bericht der Ereignisse bei den Apachen. Der Schriftsteller gefälliger Reiseromane Namens Karl May hat mit mir nichts zu tun.

1. Wie es dazu kam

Eingelocht

Seit der Rückkehr aus den USA schlug ich mich mit Gelegenheitsarbeiten durch.

Am 10. Mai 1890 erzählte ich den Arbeitskameraden von meinem ersten Büffel. Sie bogen sich vor Lachen; jemand warf mir einen Groschen zu.

Als ich den einsteckte, zog er die Arbeitsjoppe aus. Es erschien eine Polizeiuniform.

Auf frischer Tat ertappt, sagte er, als er mir Handschellen anlegen wollte. Mein Fausthieb warf ihn zu Boden.

Nun stürzten sich 18 bärenstarke Verladearbeiter auf mich. Ich erledigte 7, dann hatten mich die anderen fest im Griff.

Den Shatterhand treiben wir Ihnen aus ...

Mein Fausthieb streckte den Untersuchungsrichter nieder. 6 weitere gaben ebenso vielen Polizisten den Rest. Neue Ordnungshüter steckten mich in eine Einzelzelle.

Wegen Hochstapelei, Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchten Totschlags in 15 Fällen wurde ich zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. 10 davon sind heute um.

DR. Dürr

Wer mich einen Lügner nannte, bekam meine Faust zu kosten. Nach einem Jahr wagte es niemand mehr.

Doch gestern, am 13. Mai 1900, ließ mich der diesen Monat neu ernannte Direktor, Dr. Jur. Ernst Knabe, durch 6 Wächter holen. Er hatte sich in den letzten Tagen jeden Gefangenen einzeln vorführen lassen.

In seinem Büro saß außer ihm ein korrekt in Zivil gekleideter, hagerer Herr mit dickem Monokel.

Lügner, rief Direktor Knabe. Meine Faust traf seinen Kopf.

Doch die Anstaltskost hatte mich geschwächt. Sogleich ketteten mich die Wächter an der Wand fest.

Beginnen Sie, Herr Dr. Dürr, ermunterte der Direktor den Monokelträger. Der starrte mich an und fragte: Wer schuf den Faust?

Goethe, antwortete ich.

Zwischen vielen Fragen las er mir einen unsinnigen Text vor. Nach weiteren Aufgaben gab ich diesen vollständig wieder. Da bewegte sich das Monokel deutlich auf- und abwärts.

Nun folgten Fragen zu Geometrie und Landvermessung. Ich gab mein Bestes, doch der Doktor zeigte keine Regung.

Waren Sie bei den Apachen?, fragte er unvermittelt. Ja.

Was bedeutet: Intschu Tschuna? Streitet Mit Jedem. Es ist aus dem Dialekt der Meskaleros. In der Hochsprache ...

Hier wird: Intschu Tschuna mit: Gute Sonne übersetzt, sprach der Doktor und reichte mir Mays Machwerk.

Der Schreiberling lügt!, rief ich aus.

Nun blickte der Direktor auf. Dr. Dürr, begann er, erlauben Sie mir einen Vorschlag: Lassen Sie Herrn Mai seine Gegendarstellung notieren. Vielleicht hilft sie Ihnen bei der Begutachtung.

Und so geschah es auch. Karl Mays: Winnetou I hatte eine Dame der Gefängnisbibliothek geschenkt. Diese leite ich seit kurzem. Auf der Schreibmaschine in der Bibliothek notiere ich diesen Bericht und nehme auf niemanden Rücksicht.

2. Jungenstreich mit Folgen

Bildungsweg mit Hindernissen

Als Knabe träumte ich von großen Abenteuern. Tatsächlich teilten sich meine Eltern, die drei Schwestern, zwei Brüder und ich zwei Zimmer. Stets reichte es kaum fürs Nötigste.

Der Stoff für die Reiseträume kam zunächst aus der Bibel; mit Paulus segelte und wanderte ich von Kleinasien bis Rom. Den Rest der Welt lernte ich mit Fortsetzungsromanen aus Zeitschriften von Mitschülern kennen. Später kamen die Reisen des Odysseus in Altgriechisch hinzu.

Durch ein Stipendium konnte ich das Gymnasium besuchen. Mein Notendurchschnitt musste unter 2,0 liegen. Das schaffte ich kaum.

Als ich in die Untersekunda kam, wurde Vater krank; ich musste mitverdienen. Als Famulus des Professors für Geodäsie (Erdvermessung) Juan Carlo de Hidalgo aus Spanien erhielt ich 5 Mark pro Woche.

Während der Arbeit unterwies er mich in Spanisch und Vermessungstechnik. Er erzählte mir von seinen Reisen in Mittel- und Südamerika. Ich vernachlässigte die Schule und erhielt im Halbjahreszeugnis Vieren in: Altgriechisch, Latein und Erdkunde.

Das Stipendium war verloren. Vater borgte sich mein Schulgeld. Ich dachte: "So wird kein Akademiker aus mir."

Als Prof. De Hidalgo nach Spanien zurückkehrte, sagte er beim Abschied: Carlo, Du warst ein verlässlicher Assistent und gelehriger Schüler. Deshalb schenke ich Dir diese wasserdichte Taschenuhr, in die ich einen Kompass eingebaut habe.

Wollte ich mit Abitur abschließen, musste das Stipendium wieder her.

Der Direktor des Gymnasiums erließ uns die Schulgebühren, weil ich die Lehrmittel verwaltete. Außerdem gab ich Quartanern Nachhilfe in meinen schwachen Fächern — mit Erfolg.

Wäre ich auf diesem Wege geblieben, hätte ich kein Zuchthaus von innen gesehen. Doch es kam anders:

Weihnachten nahte. Vater hatte für ein paar Groschen einen Weihnachtsbaum gekauft, doch für Kerzen reichte es nicht.

Die Schule besaß Weihnachtskerzen aus teurem Bienenwachs. Am Tag vor dem dritten Advent zählte ich 47, nahm sieben heraus und schrieb 40 in die Liste. Im Laufe des Jahres wollte ich die Kerzen ersetzen.

Karriere als Zirkusclown

Am gleichen Tag kam der Zirkus Wurstel nach Leipzig. Ich half beim Aufbauen und durfte die Vorstellung ansehen.

Der Direktor sagte den wilden Stier Bux an und verkündete: Wer auf ihm eine Runde in der Manege reitet, bekommt 5 Mark!

Zwei kräftige Kerle versuchten ihr Glück. Jeder lag bald im Sand. Bux blieb unmittelbar vor dem ersten stehen. Über das linke Bein des zweiten stolperte er. Ich kombinierte: "Bux ist weitsichtig. Das wird mir den Fünfer verschaffen."

Bevor der Direktor eingreifen konnte, stand ich vor Bux, der den Kopf senkte, um mich aufzuspießen. Ich wollte verfahren, wie Geschichtsbücher das Stierspringen der Minoer beschreiben: die Hörner ergreifen und mit Rolle rückwärts auf den Rücken des Stiers gelangen — vergebens.

Ein zweiter Versuch brachte denselben Erfolg. Das Publikum bog sich vor Lachen.

Dann schaffte ich es. Mit mir auf dem Rücken rannte Bux los. Sanft lenkte ich ihn durch die Arena.

Das Publikum applaudierte. Nun schlug ich einen Purzelbaum nach rückwärts. Bux blieb stehen. Ich lag hinter ihm im Sand, rappelte mich hoch und ging zum Direktor.

Bux ist schon 25 Jahre bei uns, empfing der mich, noch nie habe ich den Fünfer verloren. Hier hast Du ihn, und Bux kriegt sein Gnadenbrot. Willst Du noch was verdienen? Du bist der geborene Clown. Bekommst 5 Groschen pro Auftritt.

Mit dem Fünfer zahlte ich ein Drittel unserer Mietschuld. Sechs Auftritte hatte ich in dieser Woche; ebenso viele Kerzen ersetzte ich der Schule.

Am vierten Advent trat der Zirkus zum letzten Mal auf. Dabei wollte ich zuschauen.

Der Clown ist abgehauen, sagte Direktor Wurstel, mach Du seine Nummer.

Und so geschah es auch. Nur waren meine Fehler echt: Stets fiel ich vom Seil. Nicht das Pferd, sondern das Publikum wieherte ob meiner Reitkünste. Schließlich durchschoss ich die Haltestange, und der hölzerne Adler glitt auf seinen Schwingen ins Publikum.

Die Zuschauer forderten Zugaben. Herr Wurstel trat vor und sprach:

Ihr Wunsch, wertes Publikum, ist mir Befehl. Aber, haben Sie Verständnis, wenn ich für meinen jungen Clown sammeln lasse.

Dieselben Fehler zu wiederholen, verlangt Kunstfertigkeit. Woher sollte ich die nehmen?

Beim Reiten und Balancieren half mir die vollständige Unkenntnis. Doch als ich auf den Adler schoss, brach die Haltestange, der Adler sauste an die Wand der Arena, zerbrach, — 2 halbe Aare fanden den Weg ins Publikum.

Nach stürmischem Applaus kam des Direktors Hut mit Geld gefüllt zurück. Direktor Wurstel zählte; genau 20 Mark kamen heraus.

Die hast Du Dir verdient, sagte er und drückte mir ein Zehn-Mark-Stück und zwei Fünfer in die Hand. Damit konnte ich alle Schulden bezahlen und noch Weihnachtsgeschenke besorgen. Dankbar und überglücklich verließ ich den Zirkus.

Ende der akademischen Laufbahn

Am nächsten Tag, dem 23. Dezember 1885, rief mich der Schuldirektor. Er hatte ohne mein Wissen die Kerzen gezählt.

Mai, begann er, erklären Sie 6 überzählige Kerzen.

Mit der Hoffnung auf des Direktors Güte bekannte ich meinen Streich und zog Geld hervor, um die letzte Kerze zu bezahlen. Doch der Schulleiter sprach in eisigem Ton:

Mai, Sie haben sich an fremdem Eigentum vergriffen, zur Behebung des finanziellen Schadens die eines Akademikers unwürdige Tätigkeit des Clowns aufgenommen — mein Neffe und ich haben Sie im Zirkus gesehen — und dadurch die Schule entehrt. Sie sind relegiert. Nehmen Sie Ihr Zeugnis entgegen.

Betragen: ungenügend, stand im Zeugnis. Was halfen gute Fachnoten?

Vor Scham traute ich mich nicht nach Haus. Was tun?

Ich musste den Traum wahr machen, den viele Knaben meines Alters gleich mir träumten: nach der Neuen Welt reisen, in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dort ein Vermögen erwerben, um mich und die Meinen ein für alle Mal aus der Not zu befreien.

3. Reisen bildet

Billy Blow

In Rostock heuerte ich auf einem Frachtschiff als Kajytenjunge an. Um nicht erkannt und zurückgeschickt zu werden, nannte ich mich: Karl May, mit K und y.

Als ich auf See die Kapitänskajyte putzte, hörte ich vom Schreibtisch her das Klimpern von Geldstücken. Halt!, rief ich, sprang vor und drehte mich um. Vor mir stand der bärenstarke, baumlange Matrose Billy Blow.

Ruhig bleiben, flüsterte er, sonst sag ich dem Captain, dass Du Deinen Namen gefälscht hast. Ich kenne Dein Schulzeugnis ...

Er kostete meine Faust, taumelte, und ich rief um Hilfe. Doch Billy fing sich.

Da stürmten Captain Albright und der erste Offizier in die Kajyte, sahen, wie Billy mit des Captains Geldkassette auf mich eindrosch, verprügelten und schleppten ihn in den Kielraum. Dort blieb er den Rest der Fahrt und wurde an die Luft gesetzt.

Als wir in New Orleans ankamen, rief mich Captain Albright zu sich und sagte: Weil Du mein Geld gerettet hast, gebe ich Dir 50 Dollar. Das reicht für den ersten Monat. Viel Glück.

Die Neue Welt

Es ergab sich ein unerwartetes Problem: Das Amerikanische war mir völlig fremd.

Am ersten Tag stellte ich mich an einer Bude für eine Klappstulle mit Bratfisch an. Als ich an der Reihe war, sagte ich den folgenden Satz her:
Would you please be so kind as to offer me a sandwich with fried fish?
(würden Sie bitte so freundlich sein, mir ein doppeltes Brot mit Bratfisch darzureichen)?

Der Verkäufer glotzte mich verständnislos an. Nie hatte man ihn so angesprochen. Zwei gebildeten Amerikanern, am Anzug zu erkennen, lachten schallend; der größere Rest dieser Mahlzeit fiel samt Pappteller auf den Boden.

Der Verkäufer wollte Ärger vermeiden und jagte mich weg.

Da sah mich Captain Albright und fragte: Schon Dein Vermögen gemacht?

Nein, Sir, antwortete ich, und erzählte ihm von meinem Pech.

Charly, sagte er, Du musst Dienst auf 'nem Missisippidampfer schieben. Deren Besatzungen haben die amerikanischsten Sitten der Welt. Wenn Du damit zurechtkommst, bist Du fit für den Wilden Westen, wo die Zukunft liegt. Das wird nicht leicht!

So stellte mich Captain Milton Albright dem Besitzer und Kapitän eines Flussdampfers Namens Jim Stonebread vor. Den Knirps, meinte der.

Captain Albright musste ihn verprügeln, damit er mich einstellte. So erhielt ich die zweite Lektion amerikanischen Lebens: Willst Du was erreichen, benutze zuerst Die Faust, dann den Mund, immer den Verstand, aber niemals Höflichkeit.

Viermal ging's den Mississippi rauf und runter. Bei der ersten Fahrt steckte ich reichlich Prügel von den Kollegen ein, die sich ständig rauften und Whiskey tranken. Irgendetwas musste ich tun, um nicht vor die Hunde zu gehen.

Da entsann ich mich des Fausthiebs gegen Billy Blow: "Ich muss meinen Gegner im Erstschlag außer Gefecht setzen", dachte ich.

Gab es wenig zu tun, schnitzte ich in Stämme, die verfeuert werden sollten, die Umrisse eines Kopfes und übte daran meinen später so erfolgreichen Schmetterhieb. Dafür nannte man mich: Puppet, also: Hampelmann. Doch ich ließ mich nicht beirren.

Auf der dritten Fahrt schaufelte ich Mr. Stonebread zu langsam die Kohlen. Dammed Snail, grunzte er (verdammte Nacktschnecke) — ein sanfter Fluch.

Anstatt schneller zu arbeiten, versetzte ich ihm einen Fausthieb. Mr. Stonebread ging zu Boden und blieb 15 sek. liegen. Dann stand er auf und ging auf mich zu. Ich dachte, mein Ende sei gekommen.

Doch er drückte mich an seine Brust, schüttelte mich und rief: Du kriegst ja Kraft! Komm, wir wollen uns wieder vertragen!

Mögen Sie Abenteuer?

Den Aufenthalt in St. Louis nutzte ich für einen Landgang. Was nach europäischem Geschmack sehenswert ist, drängt der Amerikaner durch seine Bauten in den Hintergrund. So fand ich die zurecht gerühmte Villa der französischen Gouverneure aus dem siebzehnten Jahrhundert im Hinterhof der dreizehnstöckigen Banc of America.

Vor dieser Villa saß ein Herr und las den Daily Observer, eine wirklich gute Zeitung. In der Nähe plätscherte ein Springbrunnen. Der Herr studierte einen Essay zu den Folgen der Verstädterung.

Doch mich fesselte die Anzeige am rechten oberen Rand derselben Seite. Weil diese mein Schicksal entschied, hier deren Übersetzung:

Mögen Sie Abenteuer?

Möchten Sie 5 Dollar am Tag bei freier Kost verdienen und mit der Pacific Rayl Road eines der aufregendsten Projekte gestalten?

Wenn Sie ausgezeichnete Kenntnisse der Geographie und sehr gute mathematische Fertigkeiten nachweisen, Ihre Eignung als Kartograph und Messtechniker demonstrieren, gut zu Pferd und zu Fuß sind, sich zu verteidigen wissen, fleißig arbeiten und abstinent leben, dann melden Sie Sich heute um 3:00 Uhr nachmittags bei:
Oberingenieur John Bankroft, Rue Centrale 25, St. Louis.

Der Herr blätterte um, als ich die Adresse notierte. Könnten Sie bitte damit warten?, fragte ich höflich.

Junger Mann, gab er zurück, wollen Sie sich bei der Pacific vorstellen? Jawohl, Sir.

Können Sie sich verteidigen?

Er stand auf, ein großer, kräftiger Mann mit Händen voller Arbeitsschwielen, packte mich am Schlafittchen und zog mich in die Luft. Meine Faust traf seinen Kopf, er sackte zu Boden.

Mit einem am Springbrunnen befeuchteten Stück Zeitung betupfte ich die Beule des Herrn. Das kühle Nass weckte ihn.

Nahkampf können Sie. Wie steht's mit Reiten?

Kann ich, log ich, im Zirkus habe ich Kunststücke auf dem Pferde vorgeführt.

Und mit Schießen? Ich habe manchen Vogel abgeschossen! Meinen Sie das im übertragenen Sinne?

"Kann er Deutsch", dachte ich laut, "und bemerkt den Hintersinn?" Nein, flunkerte ich.

Mitkommen, kommandierte er auf Deutsch. H�ise Alan Henry und bin Uuaffenschmied. Isch verstäj Gans goute doitsch, aberr isch spresche mit Äkssent.

Dann sprach er weiter: Das mit der Geometrie und Geographie findet sich, wenn Sie als Ausländer den Daily lesen können. Ich habe gehört, wie Sie den Artikel zur Verstädterung überflogen haben. Das laute Denken müssen Sie ablegen, sonst leben Sie nicht lange. Diese Expedition geht ins schlimmste Indianergebiet: das Grenzland zwischen Kiowas und Apachen. Da heißt es überleben. Ich kenne John Bankroft, den Oberingenieur: Er hat so viel gesoffen, dass er in eine Trinkerheilanstalt gekommen ist. Jetzt sucht er eine neue Chance. Er baute eine Brücke über den Missisippi; die stürzte bei der Einweihung ein, und dabei verreckten 1500 Rinder im Zug. Jetzt braucht man ihn, weil er der einzige ist, der etwas von Konstruktion versteht, und gleichzeitig mit allen Waffen kämpfen kann. Zeigen Sie mal, was Sie können.

Nach einem Lauf von 2 Stunden kamen wir aus der Stadt in freies Grasland. Vor uns standen eine Hütte und ein großes, steinernes Becken auf einem freien Platz. 500 m entfernt war ein Teich zu sehen. Das Gelände fiel von dort her zum Platz leicht ab, eine tönerne Leitung führte vom Teich zum Becken, in dem die Stahlteile gekühlt wurden.

Das ist meine Schmiede, und in der Hütte wohne ich, erklärte Mr. Henry.

Sollte man in Amerika mit Waffen ... dachte ich laut, erinnerte mich aber an Mr. Henrys Warnung und unterbrach.

Arm bleiben müssen?, beendete er meinen Satz, keineswegs, wenn man Standardwaffen produziert und diese zu verkaufen weiß. Aber ich bin Erfinder. Erfinden kostet Zeit, in der man nichts herstellt, Geld, das man nicht hat, und Misserfolge, die man sich nicht leisten kann.

Mr. Henry, das mit dem Reiten und Schießen, begann ich. Er war ehrlich gewesen; ich wollte ihn nicht belügen.

Sehen wir gleich, fiel er mir ins Wort, schießen Sie, und ein Gremium erlesener Westmänner, ich gehöre dazu, wird entscheiden. — Sam, Dick, Will! Dieser Knabe möchte zeigen, was er kann!

Die Trapper der Expedition erschienen: Sam Hawkins war kaum 1,60 m groß, spindeldürr und in seinen Jagdrock gewandet, einen Panzer, der aus übereinander geflickten Leder- und Fellstücken bestand. Dick Stone, ein 2 m großer, breitschultriger Mann mit langen Extremitäten und einem außerordentlich kleinen Kopf, trug viel zu hohe Reitstiefel, und sein Haupt zierte ein Filzhütchen. Ihm folgte Will Parker, der am wenigsten auffiel. Jeder der drei führte ein Pferd mit sich und trug ein Gewehr. Dick Stone und Will Parker besaßen Ponys, Sam Hawkins einen uralten Ackergaul Namens Susi.

'n Knirps in ?ner Schuluniform, wenn ich mich nicht irre, sagte Sam in seiner langsamen und brummelnden Art. Ich war direkt aus der Schule nach Amerika gekommen.

Der??? Die drei fragten wie aus einem Mund.

Karl May aus Deutschland, Alexander-von-Humboldt-Gymnasium zu Leipzig, in der Uniform der Oberstufe, deklamierte ich.

Keine langen Reden, gebot Mr. Henry, Sam, gib ihm Deinen Schießprügel!

Er tat es. Etwas ähnliches hatte ich im Museum gesehen: eine Muskete. Auf deren getriebenen Bronzerohr prangte ein schweres, gusseisernes Wappen.

Schieß los! Dort auf den Baum, rief Mr. Henry. Der angezeigte Baum stand 400 m von mir entfernt.

Als das Rohr heiß wurde, ließ ich es fallen; sonst wäre ich ins Jenseits befördert worden. So bescherte mir die mangelnde Kenntnis der Musketenpersönlichkeit eine Bleikugel in die rechte Schulter.

Nimm die andere Hand, sagte Mr. Henry, Dick, Dein Gewehr her!

Der reichte mir seine Waffe. Ich traf zweimal nacheinander.

Auf den Spatz beim Walnussbaum, kommandierte der Waffenschmied, nur einen Schuss! Bei meinem Versuch setzte sich der Vogel auf einen Ast.

Ein Meisterschütze, rief Sam Hawkins, Dick Stone nickte und Will Parker ergänzte: Der bringt uns alle um mit seinen Fehlschüssen!

Ich brauche 'nen Werbeträger, entgegnete Mr. Henry, zweimal hat er getroffen. Versuchen wir's mit meinem besten Misserfolg!

Er reichte mir den Bärentöter, eine Art Kanone in Taschenformat, lang wie ich selbst und halb so schwer.

Der ist treffsicher! Jetzt hol? uns den Spatz lebendig runter, gebot Mr. Henry.

Ich zielte unter den Ast, auf dem der Vogel saß, drückte ab und murmelte ein Vater Unser.

Der Ast brach ab, der Spatz fiel betäubt zu Boden, und ich spurtete los. Bevor er sich erholte, ergriff ich ihn und rannte mit Bärentöter und Vogel im Arm zur Prüfungskommission.

Alle lachten. Vor Wut darüber ließ ich Gewehr und Vogel fallen und schlug Sam Hawkins, der am lautesten gelacht hatte, mit der linken Faust. Dieser flog 4 m weit durch die Luft, blieb 5 Sek. liegen, stand auf und meinte:

Aus dem könnte ein Westmann werden, wenn ich mich nicht irre. Will Parker warf ein: Mit uns als Lehrern.

Es wurde Mittag; wir setzten uns an den Amboss. Mr. Henry zog mit einer heißen Zange die Kugel aus meiner Schulter und verband die Wunde. Dann briet er uns Hackfleischbrötchen. Wir unterhielten uns. Ich machte mit, so gut dass die Schmerzen erlaubten.

Nach dem Essen wurden meine Kleidung und ich auf die Bewerbung vorbereitet: ich genoss ein Bad im Kühlbecken, das eine gute Vorübung für die Qualen am Marterpfahl bildete, die meiner später harrten. Eiskaltes folgte auf kochend heißes Wasser. Die Kleidung walkten Sam Hawkins und Dick Stone in Mr. Henrys Harn der letzten Woche, spülten sie im Teich und trockneten sie schließlich auf heißen Steinen. Nun war ich frei von Schmutz, und meine Wäsche war porentief rein.

Alle begleiteten mich. Mit Mühe bestieg ich Susi. Sam Hawkins setzte sich zu Mr. Henry auf seinen Wagen.

Beim Reiten schwankte ich abwechselnd in alle Richtungen, doch Dick Stone und Will Parker passten auf, dass ich nicht herunterfiel. In St. Louis begafften uns die Leute und zeigten mit Fingern auf mich; so einen Reiter hatten sie noch nie gesehen.

Am Ziel standen hunderte, denn eine Stelle wie diese war begehrt. Um 16:00 Uhr war ich an der Reihe.

Mr. Bankroft saß in der Eingangshalle einer Villa in französischem Stil hinter einem wuchtigen Schreibtisch. Die Säufernase sah ich ihm an. Geschäftsmäßig fragte er:

Was steht an der Wandtafel vor Ihnen?

No chance for lyers or deceivers! (Keine Chance für Lügner oder Betrüger), antwortete ich.

Mein Schreibtisch ist 2,20 m lang, 1,50 m tief und 1,30 m hoch. Welchen Rauminhalt hat er? 4,29 m³, Sir.

Haben Sie Empfehlungsschreiben? Nein, Sir.

Der Junge ist viel zu bescheiden, warf Mr. Henry ein, der mit Sam Hawkins, Dick Stone und Will Parker hinter mir stand, hier ist sein College­Zeugnis aus Deutschland; ich übersetze es Ihnen.

Meine Fachnoten waren gut, doch Mr. Henry verbesserte jede Note um eine halbe Stufe. Aus meinen Einsen machte er: Mit Auszeichnung. Die Kopfnoten, also auch die 5 in Betragen, ließ er weg. Die dickste Lüge bestand darin, den Oberingenieur Glauben zu machen, ich hätte die Schule regulär abgeschlossen.

Ein Musterschüler, bemerkte Mr. Bankroft, bearbeiten Sie im Nebenraum mit den anderen College-Absolventen unseren Test. Danach zeichnen Sie aus dem Gedächtnis freihändig eine Karte des Hafens von St. Louis. Zwei Stunden haben Sie Zeit.

Ich erhielt das Nötige und ging in den Nebenraum. Über 100 Leute arbeiteten dort angestrengt. Leise suchte ich einen Platz und ging ans Werk.

Das Testblatt enthielt 30 Aufgaben: 10 aus der Geometrie, die bei uns Achtklässler gelöst hätten, 10 aus der Geodäsie, leicht bei meinem Vorwissen, die letzten aus der Geographie, ein Kinderspiel, denn wir hatten vor meinem unfreiwilligen Schulabgang die USA durchgenommen.

Nach 45 Minuten begann ich die Zeichnung der Hafenkarte. Als die zwei Stunden endeten, war ich noch dabei.

Mr. Bankroft besah mein Werk. Sie zeichnen exakt, begann er, aber zu langsam. Bei wem haben Sie bisher gearbeitet?

Bei Mr. Stonebread. Er liegt noch bis übermorgen mit seinem Dampfer hier an.

Bei dem, bemerkte der Oberingenieur, wird gesoffen.

Ich habe in den vier Monaten bei ihm keinen Alkohol getrunken.

Ich wette 20 Dollar, dass Sie flunkern. Wir gehen zu Mr. Stonebread. Mit den Worten: Für heute ist Schluss, wandte er sich an die Wartenden.

Hey Bankroft, Dich hat man lange nicht gesehen, begrüßte Mr. Stonebread ihn. Gerade wurde ein Umtrunk vorbereitet.

Mr. Bankroft fragte: Euer junger Mann hier wird doch kräftig mithalten?

Der trinkt nie, erwiderte Mr. Stonebread ernst. Die anderen murmelten Zustimmend.

Der Oberingenieur reichte mir zwanzig Dollar. May, Sie haben den Job. In sechzehn Tagen sind Sie mit Hawkins, Stone und Parker in Santa Fè. Dort bekommen wir unsere Bauleute und reiten in unser Arbeitsgebiet. Gents, ich empfehle mich. Mit diesen Worten ging er.

Inzwischen unterhielten sich die Herren Stonebread und Henry angeregt. Als der Erfinder den Bärentöter für Laien im Schießen wie mich vorstellte, orderte Mr. Stonebread drei dieser Waffen zu 300 Dollar das Stück. Jetzt verstand ich, warum Mr. Henry mich als Werbeträger benötigte.

Am nächsten Tag machten wir uns reisefertig. Mr. Stonebread gab mir 80 Dollar und sagte: Das war Deine Lehrzeit, Charly. Wenn Du wiederkommst, kriegst Du das Doppelte.

Da ich in den USA noch keinen Cent ausgegeben hatte, besaß ich 150 Dollar.

Sam ging mit mir zum Abdecker. In den großen Städten findet man nur dort Pferde, die dem Wilden Westen gewachsen sind, erklärte er. Er riet mir, ein störrisches Biest für 40 Dollar zu erstehen. Bis Du das reiten kannst, sagte er, nimmst Du Susi. Zweifelnd ging ich auf den Handel ein.

Mr. Henry schenkte mir den Bärentöter, nachdem er sein Firmenzeichen auf dem Kolben weithin sichtbar eingraviert hatte. Doch einen Dolch mit 12 Zoll langer Klinge, einen Reißzirkel und ein zwei-Yard-Lineal, die er schmiedete, w�hrend Sam und ich mein Pferd erstanden, erwarb ich nach Zureden Sams und Wills für 25 Dollar.

Dick kaufte für den Rest Proviant: 50 kg Zwieback, 100 kg Munition. Das ist der Proviant für die Expedition und dein Einstand bei uns, Charly, erklärte er.

Nun war ich ohne Bares und bezweifelte den Nutzen der Ausrüstung. Hätte ich geahnt, was auf mich zukam, wäre ich bei Mr. Stonebread geblieben und nach einigen Jahren mit ein paar hundert Dollars nach Haus zurückgekehrt.

4. Das Greenhorn

Bitte ein Rinderticket!

Der Trubel im Bahnhof spottete jeder Beschreibung. Wir kommen nie zum Fahrkartenschalter, jammerte ich. Fahrkarten?, fragte Dick.

Wenn der Herr Geld hat, kann er eine Karte lösen. Wir gehen mit den Pferden in den Viehwagen, dozierte Will.

Sam ergänzte: Wir helfen beim Viehtreiben. Die Cowboys lassen uns samt Pferden und Gepäck dafür mitfahren. Von ihrem Essen ist auch was für uns drin, wenn ich mich nicht irre.

"Wie kommen wir dort hin?" Diesmal dachte ich leise und setzte den Geistesblitz in die Tat um:

Ich knuffte mich ins dickste Gewühl, zielte mit dem Bärentöter auf ein offenes Fenster und drückte ab. Die Kugel sauste über die Köpfe der Menschen und Tiere hinweg ins Freie. Alle bekamen es mit der Angst, der Weg war frei.

Sam einigte sich mit den Cowboys. Er, Dick und Will packten beim Verladen gekonnt zu. Ich störte nur.

Für das Greenhorn müsst Ihr zahlen, sagte der Zugführer. Den nehmen wir als Rindvieh mit, sagte Will.

Das Rinderticket kostete eineinhalb Dollar, doch keiner von uns hatte Geld. Was tun?

Vernehmlich deklamierte ich Passagen aus Shakespeares: "Macbeth". Bald waren sechs Dollar in Dicks Hut. Damit zahlten wir das Ticket und für jeden eine Pinte Bier sowie ein T-Bone Steak. Auf unser Greenhorn, riefen Sam, Dick und Will, das Beste Rindvieh!

Wir schlichen mit gut elf Stundenkilometern dahin. Es war eng und stank erbärmlich. Meine Stimmung befand sich auf dem Nullpunkt.

Was guckt unser Ochs so traurig drein?, fragte Will scheinheilig.

Greenhorn, Du hast doch noch Glück, wenn ich mich nicht irre, meinte Sam, Willst Du wissen, wie ich zum Westmann geworden bin? Aber ja, antwortete ich.

Heute vor 31 Jahren ist es passiert! Sam zog den Hut — mitsamt den Haaren — ab. Ich übergab mich.

Lass besser sein, meinte Dick.

Nichts da, rief Sam aus, Unser Greenhorn muss doch wissen, was es heißt, ein Westmann zu sein! Und er begann, zu erzählen:

Als ich vierzehn wurde, zogen wir nach Oxwill und bauten uns ein Häuschen am Dorfrand. Vater arbeitete in Erzgruben, Mutter wusch mit der großen Schwester Kleidung. So war ich oft allein zu Haus. Leider lebten hier die Sioux. Die mögen Leute nicht, die ihre Erde durchwühlen und ihre Bäume umhauen. Wenn es ihnen zu bunt wird, überfallen sie ein Dorf und zünden es an. Damit ich sie vertreiben konnte, ließ Vater das Gewehr bei mir. Das Ding ist uralt, erklärte er, stammt von meinem Urururururururgroßvater aus dem dreißigj�hrigen Krieg. Er hat's einem Schweden abgejagt.

Genau vor 31 Jahren, am 29. Juni 1856, geschah es: Ich hatte das Heu gemäht und kam zurück, da hör ich aus dem Hühnerstall ein merkwürdiges Geräusch. Ich hole das Gewehr, lade es und gehe hin. Und was sehe ich da? 'nen Indianer, so alt wie ich. "Soll ich schießen?", denk ich, da ringt er mit mir, und weil er lausig stark ist, hat er mich am Boden und gefesselt.

Gut Gewehr, sagt er und nimmt die Muskete. Damit trifft man kaum aus 20 Schritt, sag ich, unser Nachbar, Mr. Wilcocson, der hat eines. Er wiederholt: Gut Gewehr. Schieße Gans auf Holzhaufen bei Nachbar. Prahler! Woher kennt Bleichgesicht Prahlers Namen? Er ist Dir ins Gesicht geschrieben. Das schaffst Du nie! Die Gans sitzt mehr als 500 Schritt entfernt. Bleichgesicht Prahler beleidigt. Wie sein Name? Sam Hawkins. Prahler schießt daneben, Sam Hawkins frei. Prahler trifft, Sam Hawkins skalpiert. Dann legt der Rote an, lässt einen Kriegsschrei los, und trifft die auffliegende Gans.

Als ich zu mir komm, lieg ich in unserer Wohnküche. Zwei Indianer sprechen miteinander Sioux. Wwwo, wer, stottere ich. Dann sehe ich durchs Fenster: Das Nachbarhaus steht in Flammen. Ich will schreien, aber es geht nicht. Sams Mutter und Schwester leben, sagt Prahler. In Backhaus. Backen Brot und braten Hühner für Sioux. Sam sieht Gewehr bei Prahler? Mr. Wilcocsons Waffe. Der alte Indianer sagt etwas auf Sioux, und Prahler übersetzt: Der Die Dörfer Der Bleichgesichter Verbrennt, Vater von Prahler, sagt: Sam hat Prahler zeigen lassen Mut. Hat erschossen mit Gewehr von Sam drei Männer im Nachbarhaus, wo schießen auf Prahler. Prahlers Name nun: Der Um Ein Gewehr Kämpft. Nach einer Pause sagt Prahler: Vater großer Zaubermann. Der Sams Wunden heilt. Sam bekommt zurück Gewehr und Ehre. Haus von Sam nie geschieht was von Sioux. Der Um Ein Gewehr Kämpft hat gesprochen. Hough.

Sein Vater heilte meine Wunden. Die Sioux strichen unser Haus mit gelbem Ocker und setzten sieben Reiherfedern aufs Dach. Der Um Ein Gewehr Kämpft kam jeden Tag zu mir und kaute meinen Skalp durch. So gerbte er die Kopfhaut. Dann verarbeitete er sie zu der Perücke, die ich heute trage.

Meine Eltern leben immer noch in ihrem Häuschen. Nie wieder haben es die Sioux überfallen. Ich sorge für Nachschub bei den Reiherfedern. Und ich hab' mir geschworen, mit dem Schießprügel so gut zu treffen wie Prahler. Das habe ich geschafft. Ich bin meinen Skalp los, aber dafür der berühmteste weiße Mann im Wilden Westen, wenn ich mich nicht irre.

Letzte Warnung

Als am sechsten Tage 1500 Kilometer hinter uns lagen, blieb der Zug in der Prärie bei einem Dörfchen stehen. Inzwischen hatte ich das Verladen von Rindvieh gründlich gelernt.

Das ist Oxwill. Hier fängt der Wilde Westen an. Nun geht's zu Pferd weiter, erklärte Will.

Nicht so hastig, Gents, meinte Sam, erst besuchen wir meine Eltern.

Bald darauf sahen wir einen gelb angestrichenen Bau, auf dessen Dachfirst sieben Reiherfedern steckten.

Sammy! Ein etwa 60-jähriger Mann kam schnaufend aus dem Häuschen. Hey, Dick und Will! Wen habt Ihr da mitgebracht?

Das ist unser Greenhorn, stellte mich Sam vor, ein Deutscher, der die Schule satt hat, und nun im Wilden Westen sein Glück versucht. Er kennt Platon und Plotin, Abelard und Algebra, weiß hoch gelehrt von Mathematik und Malerei zu berichten, flüssig in Latein und Altgriechisch, hält sich aber auf keinem Sattel, wenn ich mich nicht irre.

Mrs. Hawkins kam heraus, begrüßte uns und fragte: Wo soll's diesmal hingehen? Nach Santa Fè, sagte Dick. Will ergänzte: Von dort aus reiten wir 160 Meilen nach Südwesten.

Mrs. Hawkins schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief aus: Die Apachen haben den Kiowas eine Menge Land abgejagt. Jeden Weißen, den sie dort finden, töten sie. Auf den Schutz der Kiowas ist kein Verlass, seit Tangua ihr Häuptling ist. Entweder rauben Euch die Kiowas aus, oder die Apachen ziehen Euch bei lebendigem Leibe die Haut ab.

Wir kommen in friedlicher Absicht, erklärte ich, Gern möchte ich unseren Roten Geschwistern das Evangelium verkündigen. Gott erhalte Ihnen Ihre Einfalt, entgegnete Mr. Hawkins.

Fallenstellen bringt zu wenig ein, wenn ich mich nicht irre, meinte Sam, die Pacific bezahlt jedem 5 Dollar am Tag. Da kommt 'n schöner Batzen zusammen. Die Felle der gejagten Tiere dürfen wir behalten, ergänzte Will.

Dann stärkt Euch vor der Reise, lud uns Mrs. Hawkins ein.

An diesem Tag aß ich mehr Fleisch als bei meinen Eltern in einem Monat: ein ganzes Huhn.

Früh am nächsten Morgen gaben Mr. und Mrs. Hawkins jedem von uns einen riesigen Schinken mit. Wir verabschiedeten uns, und ab ging's nach Santa Fè.

Reitstunden

Wenn die anderen am ersten Tage losritten, kollerte ich von Susis Rücken. Selbst ein erfahrener Reiter wie Sam schaffte es nicht, mein neues Pferd, das wir seiner eigentlichen Bestimmung wegen: Sausage (Wurst) tauften, im Schritt gehen zu lassen. Entweder war das Tier gar nicht zu bewegen, oder es verfiel in Galopp. Ohne Gnade musste ich wieder aufsteigen, und das Spiel begann erneut.

Am Lagerfeuer brummte Will etwas von Reitstunden, die ich bekommen müsse.

Nachts hatte ich wegen der ungewohnten Lage im Präriestaub, nur in eine Decke gehüllt, kaum ein Auge zugetan. Zwei Stunden vor Tagesanbruch aber weckte mich Dick.

Reitstunde, brummte er. Taumelnd wankte ich zu Susi. Dick schubste mich weg und sprach: Sausage.

Ich, der sich auf dem gutmütigsten Pferde der Welt kaum zu halten verstand, sollte nun jene Schimäre besteigen, die gewiss neben einem Pferde einen Ziegenbock, einen Esel und ein Rindvieh als Ahnen gehabt hatte?

Wie nicht anders zu erwarten, lag ich ungezählte Versuche lang gleich nach dem Aufstieg wieder im Dreck. Ich wollte aufgeben. Dick aber ließ es nicht zu und sprach schmunzelnd: Noch mal.

Vor Erschöpfung konnte ich mich kaum erheben. Doch Sam und Will, die aufgestanden waren, hievten mich gemeinsam mit Dick auf den Rücken des Ungeheuers. Halten musst Du Dich selber, kommentierte Sam.

Diesmal blieb ich oben. Das Untier spurtete los, Richtung Oxwill in gestrecktem Galopp. Als die Bahngleise in Sicht kamen, gelang es mir, das Tier zur Umkehr zu bewegen. Nun ging's in gleichem Tempo weiter. Bald hatte ich die anderen überholt.

Bei Einbruch der Nacht humpelte ich zu ihnen zurück. Tolle Leistung, Greenhorn, sagte Will, wir sind heute 51 Meilen weit gekommen. Alle gratulierten mir. Dick drückte meine Hand und ließ ein lautes: Yeah! hören.

Am nächsten Tage galoppierte Sausage und änderte ständig die Richtung. Trotz rasenden Tempos kamen wir nur 20 km weit. Wir waren erschöpft; die anderen mussten mich am folgenden Morgen mit Gewalt aufwecken.

Diesmal wurde es Mittag, bis Sausage geruhte, sich in Bewegung zu setzen. Schließlich zog ich kräftig am Schwanz. Die Furie ging durch, konnte mich aber nicht abwerfen.

Unvermittelt änderte das Vieh seine Taktik: Es verfiel in einen schnellen Passgang wie ein Kamel und blieb nie stehen, so saftig die Wiesen auch waren.

Dann reiten wir die Nacht durch, sagte Sam, und so geschah es auch. Wie die anderen schlafen konnten, weiß ich nicht. Sie waren kaum übernächtigt, aber mir fielen ständig die Augen zu.

Am Nachmittag des dritten Tages blieb Sausage stehen. Hier gab es keinen Grashalm. Anscheinend wollte er seinem Leben ein Ende durch den Hungertod setzen.

Doch ich holte mit unserem größten Beutel von der letzten Oase, an der wir vorbeigekommen waren, das saftigste Gras und warf es ihm vor. Selbstverständlich rührte Sausage keinen Bissen an. Da hielten Sam, Dick und Will das Untier fest. Sausage wehrte sich, doch gelang es mir, ihm einige Handvoll Gras einzuverleiben. Schließlich gab er seinen Widerstand auf und ließ sich sattfüttern.

Am nächsten Tag kamen wir vor Erschöpfung nur sieben Meilen weiter, zu einer Wasserstelle mit etwas Gras. Hier blieben wir, aßen ein paar Zwiebäcke und schliefen ab dem frühen Nachmittag bis zum Morgenrot durch. Nun machte Sausage keine Schwierigkeiten mehr.

Reguläres Reiten habe ich nie gelernt. Doch wird mich kein Pferd abwerfen, denn ich kenne die Psychologie der Pferde und habe gleichzeitig eine Einführung in das Seelenleben der Menschen bekommen.

Geheimauftrag

Pünktlich kamen wir in Santa Fè an. Um diese mexikanische Stadt herum hatten sich Abenteurer in Zelten und Hütten angesiedelt. Darunter stach ein 5-stöckiges Gebäude hervor.

Ein Wächter nahm uns die Pferde ab. Er fragte: Sind Sie die Trapper der Expedition ins Gebiet der Apachen?

Ja, wenn ich mich nicht irre, meinte Sam. Der Wächter sagte: Bitte um 12:20 Uhr in Direktor Bonds Büro. Es liegt im fünften Stock auf der Ostseite.

Das Büro von James Bond, dem Direktor der Pacific Rayl Road Western Company, war das modernste, das ich je gesehen habe. In bequemen Stühlen an einem großen Schreibtisch saßen Direktor Bond und Mr. Bankroft.

Mr. Hawkins, Stone und Parker, sagte Direktor Bond und wandte sich zu uns, von Ihnen liest man oft in den Lokalspalten. Sie verstehen Ihr Handwerk. Ich gratuliere Ihnen, Mr. Bankroft, dass Sie diese Westmänner für uns gewinnen konnten. Und der junge Mann bei Ihnen?

Direktor Bond war der einzige Gentleman, den ich in Amerika je sah: Frack, Schlips und Kragen saßen tadellos an ihm.

Das ist Mr. May, antwortete der Oberingenieur, von hundert Bewerbern hat nur er alle Aufgaben des Eingangstests gelöst. Das Zeichnen muss er noch üben.

Der Direktor wandte sich an uns: Würde es Ihnen etwas ausmachen, meine Herren, in den Konferenzraum zu gehen? Sie erhalten dort von meinem Sekretär Kaffee und Sandwiches. Ich möchte mit Mr. May allein sprechen. Vor Staunen blieb mir der Mund offen stehen.

Als die Tür geschlossen war, sprach mich Direktor Bond in gepflegtem Deutsch an: Herr Mai, haben Sie jemals Land vermessen?

Nein, Herr Direktor, aber ich kenne die theoretischen Grundlagen, antwortete ich.

Warum haben Sie sich beworben? Ich möchte eine Tätigkeit ausüben, die meinen Geist mehr beansprucht als Hilfsarbeit. Ich lerne schnell. In 10 Tagen, die wir zu Pferd unterwegs waren, habe ich Reiten gelernt.

Lächelnd sprach Direktor Bond: Sie haben die richtige Einstellung für den Westen. Ich komme aus England und war drei Jahre Gesandter des britischen Hofes in Hannover. Dort konnte ich meinen Mund nicht halten, bekam Ärger mit der Obrigkeit und floh in die USA. Da ich mich für die Eisenbahn interessiert hatte, versuchte ich mein Glück bei der Pacific Rayl Road. Nach acht Jahren wurde ich Direktor ihrer Western Company. Vielleicht werden Sie es auch weit bringen. Bitte geben Sie mir Ihr letztes Zeugnis.

Wortlos reichte ich ihm das Dokument, dessen Abschrift sich am Ende des Kapitels findet. Der Direktor verlas es laut. Er verhörte mich wegen der Bemerkung und meinte schließlich:

Entweder Ihre Geschichte stimmt, und sie sind sehr naiv, oder sie ist erlogen, dann sind Sie ein ausgekochter Schwindler. Ich kann beides gebrauchen, denn ich habe etwas Besonderes mit Ihnen vor!

Nun erläuterte mir der Direktor der Pacific Rayl Road Western Company meinen Geheimauftrag:

Vermessen Sie, so gut es geht. Ihre eigentliche Aufgabe ist es, auf einen gewissen Nolen Ratler achtzugeben, den Vorarbeiter der Bauleute. Gerüchten zufolge prellt er die Arbeiter um den Lohn und nötigt sie zu Spiel und Alkohol. Wir wollen öffentliches Aufsehen vermeiden. Untersuchen Sie die Sache. Sobald Sie Beweise für die Wahrheit der Behauptungen finden, sorgen Sie diskret für Abhilfe. Das sollte Ihnen leicht fallen. Schließlich befinden Sie sich im Gebiet der Kiowas und Apachen. Ich lasse Ihnen freie Hand. Es darf nur niemand außer mir erfahren, was geschehen ist. Wie halte ich zu Ihnen Kontakt? Benennen Sie einen Ort, an dem niemand nach mir oder Ihnen sucht, den wir aber beide erreichen können.

Ich war verwirrt. Was meinte der Direktor mit: diskret für Abhilfe sorgen?, Und was sollte der Hinweis auf die Kiowas und Apachen? Aber nun dachte ich über die gestellte Frage nach. Mir fielen Sams Eltern ein, die ich kaum in Gefahr bringen würde. Ich antwortete:

Nehmen Sie Kontakt auf mit:

Jerry Hawkins
Oxwill Station Po-Box 007
Oklahoma 52043.

Notiert, sagte Direktor Bond, Ich werde zweimal im Jahr nach Oxwill fahren. Sobald ich von Ihnen höre, dass der Auftrag erledigt ist, gebe ich Ihnen unbegrenzte Hilfe für eine Blitzkarriere bei der Western Company — meine Hand drauf.

Ich schlug ein. Danach unterschrieb ich den Vertrag als Landvermesser. Der Lohn von 1500 Dollar würde ausgezahlt, sobald die Arbeiten abgeschlossen wären, wann immer das sein würde.

Nun gingen Direktor Bond und ich zu den anderen, wo wir Whiskey erhielten und die Verträge begossen. Der Sekretär gab jedem von uns einen Packen Sandwiches mit, und wir übernachteten draußen vor der Stadt bei den Pferden.

Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, Hohestraße 44, 3160 Leipzig

Zeugnis der Klassenstufe O II für den Schüler Carl Mai

KopfnotenBetragen5
 Fleiß1
 Aufmerksamkeit2
 Ordnung2
MathematikSchriftlich1
 mündlich1
Deutschschriftlich1
 mündlich1+
Englischschriftlich1
 Mündlich1—2
FranzösischSchriftlich2+
 Mündlich1
AltgriechischSchriftlich1—2
 Mündlich1
LateinSchriftlich2+
 Mündlich1
Biologie1
Physik2
Chemie1
Geographie1
Geschichte1+
Kunst1
Musik1+
Religion1+
Spanisch1+
Sport2—3
Gesamtbewertung1—2

Bemerkung:Wegen Betrugs und der Durchführung unziemlicher Tätigkeiten wird der Schüler Mai mit diesem Zeugnis relegiert.

Stud.-Dir. Carl-Heinz Neunrächer

Leipzig, den 23. Dezember 1885

5. Bei der Arbeit

Howard

Mr. Bankroft, Sam, Dick, Will, 25 Bauarbeiter und ich sollten einen Abschnitt von 1600 Quadratmeilen vermessen und den Trassenbau vorbereiten. Der Oberingenieur hatte: Baugeräte, Waffen, Munition und Fässer voll Pulver mitgenommen.

Mr. Bankroft hielt uns zu sorgfältigem Arbeiten an und erläuterte klar, was zu tun war. Ich kam gut zurecht, außer beim Zeichnen.

Am achtundvierzigsten Arbeitstag sollte ich unsere Vermessungsstrecke kartographieren. Die Zeichnung misslang.

Arbeiten Sie so lange, sagte Mr. Bankroft, bis die Karte gut ist.

Als es Nacht wurde, nahm ich eine Fackel und die am Tage gemachte Skizze mit. Da es dunkel war, musste ich die Fackel anzünden.

Da würgte mich jemand von hinten. Ich drehte mich um, schwang die Faust, schlug zu — mein Schreck war groß, denn ich hatte Howard Carpendale niedergestreckt, einen unserer Bauleute, mit dem ich mich angefreundet hatte.

Um den Schaden zu begrenzen, schleppte ich ihn zur nächsten Oase und kühlte seine Beule mit deren Wasser. Bald darauf erwachte er.

Greenhorn, bist Du lebensmüde?, fragte Howard, das Fackellicht sieht man 3 Meilen weit. Wenn es hier Rote gibt, sind wir alle verloren.

Ich soll die Arbeitsstrecke kartographieren und muss sehen, antwortete ich.

Lass mich helfen. Ich sehe, Du zeichnest. Da pass ich auf dem Streifengang gut auf, und Du schaffst Deine Strafarbeit.

Bald war die Karte fertig. Wir schlenderten zum Lager zurück.

Danke, Howard, sagte ich, Ohne Dich hätte ich das nie geschafft. Dabei habe ich Dich zusammengeschlagen.

Howard entgegnete: Du musstest zuhauen, hät' 'n Dieb oder Insman sein können. Ich hab' dir gern geholfen. Gut, dass Ratler nicht da ist. Der verbietet so was.

Warum, fragte ich, haben alle so 'ne Heidenangst vor diesem Ratler?

Howard antwortete: Ich arbeite seit 5 Jahren bei der Pacific und stehe bei ihm mit 800 Dollar in den Miesen. Er sorgt für Schnaps, den er vom Lohn abzieht, egal, ob man gesoffen hat oder nicht.

Dann stimmt also, was man über ihn erzählt: er spielt falsch, prellt Euch um den Lohn und verleitet Euch zum Alkohol!

Selbst unseren Oberingenieur erpresst er, setzte Howard fort. Mit der Brücke, die bei der Einweihung einstürzte?

Stimmt. Ratler hat noch keiner fertiggemacht. Er spielt jeden gegen die anderen geschickt aus. Ich hab' ihn bei der Pacific angezeigt. Die haben mir den Lohn für 2 Monate wegen übler Nachrede eingezogen.

Wir müssen ihm das Handwerk legen. Wenn man ihn bei irgendwas packen kann, dann beim Geld. Ich muss an die Zettel kommen, auf denen er Eure Schulden notiert.

Willst Du die übernehmen?, fragte Howard misstrauisch. Die sind sicher bei einer Bank auf seinen Namen ausgestellt, antwortete ich, man könnte ihn nur zwingen, Euch anständig zu behandeln. Magst Du mir helfen?

Hm, dachte Howard laut nach, woher weißt Du so viel von dem? Ich habe Jahre gebraucht, um herauszukriegen, was Du wusstest. Ich bin gespannt, wie das wird, wenn Ratler kommt. Wer gegen den anstinkt, gegen den kämpft er erstmal selber. Wenn Du ihn besiegst, will ich's mir überlegen.

Howard konnte man nichts vormachen. Doch wollte ich den Geheimauftrag nicht verraten.

Als ich dem Oberingenieur die Karte zeigte, sprach er: May, üben Sie weiter, und zeichnen Sie alle Karten genauso gut. Da haben Sie genug zu tun neben den Berechnungen.

Mr. Bankroft, ich würd' so gern mit Sam, Dick und Will jagen gehen, bettelte ich, wie soll sonst ein Westmann aus mir werden?

Der Westmann, antwortete Mr. Bankroft, entpuppt sich langsam. Wenn Sie Zeit finden, sagen Sie Bescheid, und ich schick Sie auf die Jagd. Versprochen.

Sprengen ohne Pulver

Eine Woche später waren alle Karten fertig, und ich ging zu unseren Trappern.

Ich geh mit unserem Greenhorn auf Nahrungssuche, meinte Sam, Dick und Will, Ihr guckt Euch nach Insmen um. Bei den vielen Sprengungen haben wir bald kein Pulver mehr.

Das geht auch ohne, sprach ich mit überlegener Miene.

Mr. Bankroft fragte: Wie? Nach der Methode der alten Ägypter, dozierte ich, sie untersuchten das Gestein auf Schwachstellen, in die sie Holzkeile bohrten. Diese begossen sie mit Wasser, das Holz quoll auf und sprengte den Stein.

Der Oberingenieur meinte lächelnd: Sprengen Sie ein Loch, 3 Fuß Durchmesser und 5 Fuß tief in die dicke Felswand da drüben, damit wir sehen, wie diese Methode wirkt.

In einem entsprechenden Areal trieb ich Holzkeile in den Fels und begoss diese mit unserem Trinkwasser, doch geschah nichts. Inzwischen nahm Mr. Bankroft Wetten an: Howard setzte 10 Dollar für mich, jeder andere 10 gegen mich.

Aus dem Stein knisterte es leise. Dann verstummte es.

Dick sprang wie von der Tarantel gestochen auf, raste los und schrie: Steinschlag! Kaum hatte er ausgesprochen, brach krachend die halbe Felswand herab.

Gott sei Dank waren alle sofort losgespurtet; niemand wurde verletzt. Eine Staubwolke verdeckte die Sicht.

Was hab' ich gesagt, rief ich. Und fast wären wir alle umgekommen, meinte Will.

Das Loch reichte 40 m hoch, war zwischen 30 und 35 m breit und ging über 60 m tief ins Massiv. Ohne es zu ahnen, hatte ich an einem Haarriss im Gestein gesprengt. Durch die Vibrationen hatte sich dieser ausgeweitet. Man braucht Fingerspitzengefühl und Erfahrung zum Sprengen von Stein nach altägyptischer Methode.

Gehen Sie mit Hawkins auf Jagd, rief Mr. Bankroft, ich wünsche Ihnen von Herzen Hals- und Beinbruch!

6. Versuche als Westmann

Essbares

Am nächsten Morgen fragte ich Sam: Wonach suchen wir? Außer Stechfliegen, die uns zusetzten, war nirgends die Spur eines Tieres zu sehen. Nach Essbarem, antwortete er.

In einem von Felsen umschlossenen Tal gab es etwas Grün und kleine Löcher im Boden. Gemeinsam verstopften wir 40 davon mit Steinen aus Sams Proviantsack. Eines blieb übrig; es lag an einer Felswand. Vorsichtig setzte Sam die Öffnung darauf, und wir hielten den Beutel fest.

Sam stieß mehrere Pfiffe aus. Unter uns wurde es lebendig. Hoch, flüsterte er, zog die Öffnung zu, und wir wuchteten den Sack auf Susi.

Das gibt ein Festmahl, wenn ich mich nicht irre, sagte Sam. Aus dem Jagdrock holte er einige Handvoll braunen Pulvers und warf es in den Sack. Ich erkannte den Inhalt: Ratten!

Darauf verzichte ich, rief ich aus. Unser Ragout isst Du gern, wenn ich mich nicht irre, meinte Sam. Als wir uns kennenlernten, glich ich einem Skelett, doch im Wilden Westen stand ich gut im Futter.

Wie sollen die Viecher mitkommen?, fragte ich, die werden sich herausbeißen.

Das Pulver stammt von einem Moos, erklärte Sam, dass ich bei den Sioux kennengelernt habe. Ratten und Pelztiere fressen davon, und schon sind sie für 'n Paar Stunden betäubt, wenn ich mich nicht irre. Lass uns verschwinden und den Fang in Ruhe ansehen.

Der bestand aus: 888 Wüstenratten, 64 Beutelratten, 18 Bisamratten und 8 Erdmardern mit wunderschönem, weißem Fell.

Bares Geld, wenn ich mich nicht irre, sagte Sam, jede Beutelratte bringt 5 Cent pro Fell, jede Bisamratte 10, und für jeden Marder gibt 's 'nen Quarter. 7 Dollar, addierte ich.

Stimmt, sagte Sam, das war 'ne erfolgreiche Jagd. An den Wüstenratten ist Fleisch für 3 Tage. Nimm zum üben 10 Stück raus und zieh ihnen das Fell ab. Wenn Du eines unbeschädigt runterbringst, mach ich Dir einen Kragen aus Marderpelz für Deine Uniform.

Woche für Woche hatte ich diese getragen, ohne sie pflegen zu können. Der Kragen war nicht mehr zu retten. Ich versuchte mein Glück. Sam machte mir das Häuten an einem Marder vor.

Währenddessen wollte ich scherzen und fragte: Was hast Du gepfiffen? Rattensprache?

Sam erklärte und wiederholte die Pfiffe: Der erste ist ein Wüstenrattenpfiff. Er bedeutet: Saubere Gegend mit sauberem Wasser. Der zweite ist ein Bisamrattenpfiff und heißt: Fette Wüstenratten. Der dritte ist ein Marderpfiff: Fette Beute heißt er.

Zwei Tiere verarbeitete ich zu Hackfleisch. Als aber Sam dem letzten Marder den Pelz abzog, hatte ich ein unbeschädigtes Fell in Händen.

Das Fell ist ab, wenn ich mich nicht irre, meinte Sam, also bekommst Du Deinen Marderpelzkragen.

Noch am selben Abend nähte er mir diesen. Der passte besser zur Uniform als der ursprüngliche. Diesen Kragen habe ich getragen, als ich meine Zivilkleidung gegen die Anstaltskluft vertauschte.

Büffel

Nun zeigte mir Sam, welche Pflanzen giftig oder essbar waren. Wir stießen auf einen unscheinbaren Kugelkaktus.

Du erkennst ihn an den Stacheln mit Widerhaken, erklärte Sam, Die Apachen nennen ihn: Verhindert Verderben. Ich musste mich über 3 Monate in der Wüste vor Pelzdieben verstecken, denen ich meine Pelze wieder abgejagt hatte. Waren 'n paar mehr dabei, wenn ich mich nicht irre. Damals habe ich nur vom Mark aus diesem Kaktus gelebt.

Ich grub den Wunderkaktus aus. Sam zeigte mir, wie man das Mark erntete.

'

Da bemerkte ich Spuren im Staub und fragte: Was ist das?

'n Büffel, flüsterte er eindringlich und setzte fort: Einzelgänger, wenn ich mich nicht irre. Gib Fersengeld!

Ich will Büffel jagen, rief ich aus.

Augenblicklich spurtete Susi mit Sam auf dem Rücken los. Unschlüssig hielt ich mein Pferd am Zügel. Etwas bewegte sich auf uns zu; Sausage gab Fersengeld. Beim Aufsteigen im Galopp habe ich das arme Tier stark gewürgt.

Als ich es geschafft hatte, band ich ein Ende des Lassos um meinen Leib und warf dessen Schlinge nach dem Büffel. Doch traf ich einen Kaktus — hoch oben.

Als ich mich umblickte, sah ich den Büffel mit gesenkten Hörnern auf uns los spurten. So ein Tier wiegt bis zu einer Tonne. Versetzt sich dieses Gewicht in schnelle Bewegung, gibt es kein Halten.

Da sprang Sausage nach rückwärts und senkte den Kopf. Das Lasso spannte sich und zog den Kaktus nach unten; ich rutschte vom Pferde. Nun zog mich der zurückschnellende Kaktus hoch. Da hockte ich, 3 m über dem Boden zwischen dessen blättern, völlig verstrickt im Lasso. Unter mir nahte der Büffel.

Ich brachte den Bärentöter in Stellung, der sowohl am Kaktus als auch an mir festhing. Ein Teil des Lassos hatte sich am Abzug verhakt. Als ich es löste, krachte der Schuss.

Nun bohrte sich etwas in den Stamm: Der Büffel war dabei, diesen zu fällen.

Ich sprang herunter. Das Lasso schnurrte zusammen, riss aus, und ich befand mich auf dem weichen Büffelrücken. Dieser rannte gegen den Kaktus an.

Ich hob den Bärentöter, der, immer noch in Teilen des Lassos verstrickt, an mir hing; dessen Kolben sauste auf den Büffelkopf nieder. Er hob das Haupt; ich schoss in eines seiner Augen. Blindwütig machte er seinen letzten Angriff.

Der Kaktus stürzte und riss den Büffel um. Mit dem Gesicht fiel ich in die Stacheln. Der Büffelkopf krachte auf meinen linken Oberschenkel, dieser brach. Mein Hals war bei dem Fall bös verstaucht. Mr. Bankrofts Herzenswunsch, ich möge Hals- und Beinbruch bekommen, hatte sich beinahe erfüllt.

Mühsam drehte ich mich um. Da hörte ich ein verdächtiges Wiehern. Sausage war zurückgekehrt, sah mich am Boden liegen, lachte mich aus und enteilte.

Susi kam in gemütlichem Zockeltrab mit Sam im Sattel auf mich zu. Unser Greenhorn, der Büffeljäger, spottete Sam.

Er ist erlegt, presste ich hervor.

Da prustete Sam ohne Hemmungen los. Während er den Büffel untersuchte, der seinen letzten Atem hergab, meinte er: Ein Schuss hat das rechte Auge gestreift, der andere ist durchs linke ins Gehirn gedrungen. Greenhorn, wenn Du Büffelfleisch haben willst, jag' 'nen jungen aus der Herde. Der da ist 25 Jahre alt und zäh wie Leder.

Sam, ich ... kann nicht aufstehen, jappste ich, wie komme ich ins Lager?

Für unseren Helden geht der gute alte Sam per Penis, wie der Lateiner sagt.

Ich musste lachen, was in meinem Zustand ein röhrendes Röcheln zur Folge hatte. Es heißt: per pedes, verbesserte ich.

Sam zog dem Büffel das Fell ab. Daraus nähte er mir jenen Mantel, der noch bei meiner Zivilkleidung sein müsste. Danach hievte er mich aufs Pferd, setzte sich den vollen Pflanzensack auf den Rücken, und im Schritt ging's zurück ins Lager.

 
Will Parker

Ratler kommt

Als Sam und Du gegangen sind, haben Dick und ich nach Indianern geschaut. Da tippt Dick mir auf die Schulter und stöhnt: Ratler! Ich schaue hin und bemerke breite Spuren im Sand wie von einem Schubkarren. Ratler saß sicher auf seinem Muli. Der soll keinen Ärger machen, knurrte ich, sonst rutscht mir eine Kugel aus 'm Lauf in sein Herz! Das Schwein hat mich um 200 Dollar abgezockt. Mich um 500, antwortete Dick, der gesprächig wird, wenn er sich aufregt, er hat falsch gespielt. Dafür hätten wir ihn abknallen müssen.

Schüsse krachten, einer neben Dicks linkem, einer an meinem rechten Ohr vorbei. Die sind aus meiner Waffe gerutscht, lachte Ratler. Nicht ans Gewehr packen, Stone. Gib 500 Dollar Zinsen her. Du weißt: pro Jahr 100 %! Gegen den Kerl waren wir machtlos. Hätten wir ihn abgeschossen, hätte die Banc of America die Schulden eingetrieben, denn Ratler gab Wechsel dieser Bank aus.

Begrüßt Euren Vorarbeiter, sagte er grinsend und kam aus einer Senke. Dick war in Rage und rief: Diesmal hast Du Pech, Nolen. Wir haben jemand, der keine Schulden bei Dir hat und weder spielt noch Alkohol trinkt. Der wird sogar mit Dir fertig! Ach, gluckste Ratler, Schulden hat er bald. Wenn Du unserem Greenhorn was tust, fuhr ich ihn an, knall ich Dich ab! Wieso?, säuselte Ratler scheinheilig, Er wird mich bald brauchen und muss das bezahlen. Danke für die Auskunft, dass er ein Greenhorn ist. Hätt' ich mich 100 Dollar kosten lassen. Es bleibt bei 400 Dollar. — Bringt Eurem Nolen den Schubkarren zum Lager. Ich guck mich nach Rotgesichtern um. Bin seit zwei Stunden hier. Eins habt Ihr übersehen, 'nen Apachen. Die haben 50 Meilen von hier ein Dorf.

Howard lief uns entgegen, als wir mit dem voll bepackten Karren ankamen. Er warnte Mr. Bankroft. Der trommelte alle zusammen und sprach:

Wir sind Ihnen sehr dankbar, geehrter ... sehr geehrter, oder können Sie zahlen? 2500 Dollar, warf der angesprochene lachend ein. Mir wurde übel, denn unser Chef stotterte, den Blick zu Boden: Hohohoch verehrter Herr Dr. Ratler, für die 120 kg Salzfleisch. Ich heiße Sie aaalso willkommen. Zu viel der Ehre, Jonny, sagte Ratler, den Doktor hab' ich mir noch nicht gekauft. Wir haben jemanden mit Abitur in Deutschland. Der muss sich den Doktor nicht kaufen! Geld oder Respekt, Howard, antwortete Ratler wegwerfend. Ab jetzt schulde ich Ihnen nur noch 430 Dollar. Howard gab Ratler den Zettel, auf dem die Wetten wegen der Sprengung eingetragen waren. Der sah sich die Sache an, nahm ein Notizbuch, schrieb eine Zahl hin, sagte: 430, wandte sich an alle und fragte: Howard hat gesagt, ich wäre dumm. Muss ich mir das gefallen lassen? Die meisten brummten zustimmend. Sie wussten, was kam und wollten sich den Spaß nicht nehmen lassen. Was machen wir mit dem? — Das überleg ich mir bis heute Abend.

Nolen Ratler

Im Lager kamen uns Dick und Howard entgegen. Ratler ist da, sagte Dick. Oh je, meinte Sam.

Als Howard mich sah, sagte er betreten: So wird mich Ratler kaum zurichten. Dich zurichten?, fragte ich stockend, wieso?

Ich soll ihn beleidigt haben. Dafür will er mir eine Abreibung verpassen.

Nicht mit mir, presste ich hervor, Sam und Dick helfen mir bestimmt.

Würden wir gern, setzte Dick zur längsten Rede an, die ich von ihm hörte, aber der hat uns alle im Sack. Ich schulde ihm 1000 Dollar, und wer nicht bezahlen kann, muss sich abducken. Ratler bringt's fertig, denen Schulden zu erlassen, die gegen uns kämpfen. Er zahlt für Sachen, die man gegen jemanden verwenden kann. Außerdem hat er angedeutet, Du würdest ihn bald brauchen. Pass bloß auf, Charly, was Du tust, sonst bist Du ihm hörig wie wir alle!

Ratler erschien, zeigte auf mich und meinte lässig: Der neue?

Mr. Ratler, antwortete ich, man hört nichts Gutes von Ihnen. So, antwortete er höhnisch.

Dann schaute er mich lange fast väterlich an. Auch ich nahm ihn ins Visier:

Nolen Ratler, das Objekt meines Geheimauftrages, stand auf säulenförmigen Beinen. Er war 1,95 m groß und hatte unverhältnismäßig lange Arme mit wuchtigen Händen. Das schiefe Grinsen und der Ton in der Stimme zeigten mir, dass er die Mitmenschen verachtete. Wäre er ein Schauspieler gewesen, hätte man ihm stets die Rollen der Schurken gegeben, wie liebenswürdig, zuvorkommend, uneigennützig, ehrlich, freundlich, hilfsbereit und nachgiebig er tatsächlich hätte sein mögen.

Hähähä, feigste Ratler, Was ist mit Dem passiert?

Sam berichtete und schloss: Er ist ein Greenhorn, aber Mut, den hat er!

Ein Held! Ratler grinste mich an und ergänzte: Helden werden selten reich und leben nie lange.

Howard, sagte er zu diesem gewandt, gleich siehst Du aus wie das Greenhorn.

Ich schwang meine Faust und traf seinen Kopf. Eine Weile taumelte er, dann aber riss er mich mit beiden Händen vom Pferd und drückte mich auf den Boden, sodass mein gebrochenes Bein aufkam.

Doch Schmerz bringt mich zu Höchstleistungen. Mit voller Kraft biss ich in Ratlers Hand. Der ließ los, ich schlug ihm in den Bauch.

Hilfe, röchelte er, der Verrückte beißt!

Andere fielen über mich her, und ich verlor die Besinnung.

Als ich zu mir kam, lag ich vor unserem Zelt. Sam hatte mir die Kaktusstacheln entfernt. Dick und Will hatten mich verbunden und geschient.

Aus Jagen wird nichts, meinte Will, in den nächsten 3 Wochen musst Du liegen bleiben.

Charly, dass Du gegen den Dreckskerl so lange ausgehalten hast! Howard setzte fort: Da konnte ich 'nen Blick in sein Notizbuch werfen. Der Hundesohn will Dich mit deiner Sprengung erpressen und es so darstellen, dass Du fahrlässig einen Tunnel durch die Felswand sprengen wolltest, um 33 Meilen Umweg zu sparen. Mr. Bankroft drückt er dafür 1500 Dollar aufs Auge, weil er Dich machen ließ; er steht mit 4000 in den Miesen.

In diesem Augenblick kam Mr. Bankroft vorbei. Können Sie auch nicht schlafen?, fragte er.

Unser Greenhorn ist wach geworden, sagte Sam.

May, wie können Sie mit Ratler anbändeln?

Der wollte Howard etwas antun, sagte dick, das hat Charly verhindert.

Das weiß ich, quengelte Mr. Bankroft, May, wenn sich Ratler beschwert, fliegen Sie! Der gedemütigte schlich mit den Worten: Ich brauch Whiskey! davon.

Der ist fertig, meinte Sam, jetzt können wir nichts tun. Versuchen wir, 'n bisschen zu schlafen; nach 'ner Mütze voll Schlaf geht's Denken viel leichter.

Verhärtete Fronten

Ratlers Sklaventreiberei war die Hölle auf Erden: Jeden Tag schufteten wir pausenlos von 4:00 Uhr in der Früh bis 10:00 Uhr in der Nacht. Es schien, als sähe der neue Chef jedem auf die Finger. Niemand traute sich eine Nachlässigkeit. Wer einen Fehler beging, den drangsalierte Ratler körperlich oder seelisch derart, dass er es nie vergaß.

Nach zwei Tagen musste ich Karten zeichnen und Berechnungen durchführen. Jeden Tag kam Ratler, bemerkte eine geringfügige Ungenauigkeit auf meiner Karte, zeigte mir diese, zerriss das Blatt und sagte: Noch mal! Wenn Du so weitermachst, fliegst Du! Ich könnte manches übersehen. Sagen wir 100 Dollar und noch mal 500 wegen der Sprengung.

Lieber sterbe ich, presste ich hervor. Das kann schnell passieren, meinte er lässig.

Die Trapper hatte Ratler mit den Worten: Kommt mit anständigem Fleisch zurück! jagen geschickt.

Zwei Wochen verstrichen. Die anderen ernährten sich von Ratlers Salzfleisch. Nur Howard und ich aßen Rattenragout.

Als die anderen über die hohen Preise stöhnten, sagte ich: Habt Ihr nicht die ganze Zeit Sams Ragout gegessen? Das gibt 's kostenlos!

Was kann ich dafür, entgegnete Ratler, dass unsere Jäger nichts taugen? Ich hab' bezahlt, und ich bin doch nicht die Caritas.

Unser Fleisch ist faul!Howard kam früh am nächsten Tag gelaufen, während ich seit Stunden an meiner Karte saß. Einmal wollte ich es Ratler zeigen; vielleicht würde er aufhören, mich zu schikanieren.

Was?, fuhr ich ungläubig auf, wir haben es doch gut aufgehoben. Das war Ratler! Irgendwem hat er Schulden gestrichen, damit der es faul macht! Hier kann niemand dem anderen trauen!

Ich vertraue Dir, Howard, antwortete ich, irgendwann müssen Sam, Dick und Will wiederkommen. In den nächsten 3 Tagen werde ich hungern, damit Ratler mich nicht drankriegt.

Arbeitsverweigerung!Ratler hatte gegen Mittag meine Karte lange betrachtet und zerriss das Meisterstück.

Plötzlich war ein Klicken zu vernehmen. 5 Schritte hinter meinem Peiniger sah ich Sam, Dick und Will stehen, jeder das Gewehr auf ihn gerichtet.

Hilfe! Mr. Bankroft, schrie Nolen Ratler, die Teile meiner Karte in Händen.

Was hast Du unserem Greenhorn getan?! Dick hatte die Fassung verloren.

Mr. Ratler, ..., was soll ich ..., stotterte der Oberingenieur.

Gar nichts. Sam setzte fort: Sie haben nichts mehr zu melden, wenn ich mich nicht irre. Seit wann lasst Ihr Halbtote schuften? Das Greenhorn ist noch lange nicht gesund.

Mr. Ratler, sprach Mr. Bankroft, wieder ganz der Oberingenieur, May wird die folgende Woche ohne Lohnabzug vom Dienst befreit. W�hrend dessen riskierte er einen verstohlenen Blick nach Sam. Der schmunzelte.

Wir haben drei kräftige Büffelbullen abgeknallt, sagte Will nach einigen lähmenden Sekunden, die liegen 10 Min. entfernt und warten aufs Ausweiden. Da ist 'ne ganze Tonne Fleisch dran, genug für die nächsten sechs Wochen!

Alle anderen brüllten vor Erleichterung: Sie fühlten sich frei von Ratlers Salzfleisch, das er in immer kleineren Rationen zu immer höheren Preisen ausgab. Und sie hatten gesehen, dass er sich nicht alles erlauben konnte. In bester Stimmung rannten sie zu den Pferden, um die Büffel auszuweiden.

Ratler schlich sich davon. Nur Sam und Howard blieben.

Büffelfleisch krieg ich früh genug, sagte Howard, irgendjemand muss auf Charly aufpassen. Ratler wird sich rächen, wenn er kann.

Bestimmt wird er das, sagte Sam, jetzt erzählt mal, was hier los war.

Wir taten das, und ich verriet den beiden meinen Sonderauftrag. Wollte ich damit fertigwerden, brauchte ich vertrauenswürdige Verbündete, und beide hatten sich mein Vertrauen verdient.

Wir müssen dafür sorgen, sagte Sam, dass Ratler nichts gegen Dich in der Hand hat, Charly. Dann kann er Dich nicht mehr schikanieren. Wie?

Die Idee hatte ich schon lange, Howard, erläuterte Sam, aber keine Zeit. Jetzt haben wir beides. Wir stellen Ratler vor vollendete Tatsachen und sprengen den Tunnel in die Felswand. Wenn er fertig ist, und wir zeigen, dass er stabil ist, kann uns Ratler nichts tun.

Geht denn das?, fragte Howard. Ja, warf ich ein, wenn man die Sprengungen richtig anbringt. Aber ich weiß nicht, wie das geht.

Wir nehmen Dich mit, sagte Sam, dann kannst Du sehen, was wir tun. Berechne die Statik, und wenn alles gut geht, ist der Tunnel bald fertig. Ich hab' mir den Felsen angesehen. Es gibt keine bessere Stelle als diese. Der alte Sam hat dafür 'ne Nase.

Ratler staunte nicht schlecht, als er sah, wie Howard und Sam mich aufs Pferd hievten und zur Felswand schleppten. Bald darauf folgte Sprengung auf Sprengung. Diesmal hatte Sam die Keile eingesetzt; er hatte wirklich ein Händchen dafür.

Drei Stunden später war die Wand in einem etwa 35 m breiten, 40 m hohen Loch untertunnelt. Ich rechnete fieberhaft. Mein Ergebnis: Bei einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern würde es nach menschlichem Ermessen keine Schwierigkeiten bei der Durchfahrt des Zuges geben. Selbst für Entlüftung war gesorgt, denn in Mitten der Felswand führte ein natürlicher Durchbruch ins Freie.

Ratler kam, sah unser Werk, prüfte die Berechnungen und zog still ab. Nach einer Weile sahen wir ihn mit seinem Muli und dem Schubkarren davonreiten.

Punkt für uns, meinte Sam, aber der Kerl ist noch lange nicht fertig. Doch das hat Zeit. Charly, erhol Dich in den nächsten Tagen.

7. Shatterhand

Indianerspur?

9 Tage später verkündete der Oberingenieur: Gents, Morgen ist Sonntag, da gebe ich frei. Wir haben heute, am neunzigsten Arbeitstag, das Soll des zweihundertfünfzigsten geschafft.

Weil Ihr so fleißig ward, Wie aus dem Boden gewachsen erschien Ratler, gebe ich einen aus. Hab' 10 Fässer Whiskey mitgebracht, jedes 50 Gallonen. Das erste Fass ist frei!

Alle machten sich auf, um den Schnaps zu holen. Nur Howard blieb zurück.

Ratler hat das Notizbuch mit den Schulden bestimmt bei sich, flüsterte er, er wird mitsaufen müssen. Da kann ich es ihm abjagen und Dir zuspielen.

Prima, wisperte ich und fragte laut: Wo sind Sam, Dick und Will?

Sam ist nach Süden geritten, Dick und Will sind nach Norden. Sie schauen nach Indianern aus.

Seit wann ist Sam weg? Seit einer halben Stunde.

Vielleicht hol' ich ihn noch ein, sagte ich und machte mich auf den Weg.

Bald sah ich Susi am Horizont. Mit dem Bärentöter schoss ich in die Luft.

Greenhorn, willst Du uns ins Jenseits befördern? Wenn hier Indianer sind, haben die den Schuss gehört!

So schnell wie Du reitest, kann ich noch nicht laufen, antwortete ich kleinlaut. Was gibt 's?, fragte Sam.

Ratler ist zurück. Er hat 10 Fässer Whiskey mitgebracht, jedes fasst 240 l. Gleich fängt hier das große Besäufnis an.

Damit gewinnt er seine Macht zurück, meinte Sam.

Plötzlich drehte er seinen Kopf und machte Pst. Auch ich lauschte und vernahm leises Heulen. Ist das ein Coyote?, fragte ich unsicher.

Der Jagdruf der Meskaleroapachen, der gefährlichsten Insmen im Westen. Die kommen wie bestellt, wenn ich mich nicht irre. Lass uns herauskriegen, wie viele es sind, und was sie jagen.

Wir gingen im Abstand von 10 m langsam nebeneinander her und erkundeten die Gegend. Da entdeckte ich eine deutliche Fährte im Sand. Die Indianerspur, flüsterte ich.

Als er die Fährte sah, rief er lachend aus: Der diese Spur hinterlassen hat, ist stärker als der stärkste Indianer, wenn ich mich nicht irre.

Eine Bärenfährte, kombinierte ich.

Sam erläuterte: Das ist Old Whiskey, der alte Graubär. Seit 10 Jahren taucht er überall auf, wo es Whiskey gibt. Er ist groß und lausig stark. Wer ihn beim Stehlen stört, kann sich begraben lassen.

Eifrig warf ich ein: Dann müssen wir die anderen sofort warnen.

Besonders wegen der Indianer, bestätigte Sam, der Bär wird sie zu uns führen, und die Meskaleros fackeln nicht lange, wenn ich mich nicht irre. Mach Du das, damit Du reiten kannst. Ich stöbere Dick und Will auf.

Mit dem schweren Gewehr konnte ich Susi nicht besteigen. Das Bein wollte noch nicht so recht. Ich gab Sam den Bärentöter, und der rannte los.

Bär

Einer Eingebung folgend ritt ich bald darauf eine Anhöhe hinan, von der aus ich das Lager überblicken konnte, ohne von dort gesehen zu werden. Ich schaute hin und sah die Bescherung: Alle saßen um ein Fass herum und soffen. Dazu roch ich Erbrochenes; jemand hatte sich auf der dem Lager zugewandten Seite der Anhöhe übergeben.

Howard ging zu diesem Auswurf und führte erneutes Erbrechen herbei. Ich winkte ihm zu, als er sich erhob. Hier würde ich Ratlers Schuldbuch finden.

Greenhorn, rülpste Ratler, als ich ins Lager kam. Er spielte den Besoffenen und lallte: Schteigab, trinkn Whiskey. Howard, füllne Fflllasche!

Mr. Bankroft, sagte ich zu dem einzigen Nüchternen, das Trinken muss aufhören. 3 Meilen von hier entfernt haben Sam und ich eine frische Bärenfährte gesehen und Kriegsrufe von Indianern gehört.

Dann müssen wir schnellstens nüchtern werden, meinte der Oberingenieur. Seine Hände, die angesichts des Alkoholgeruchs zitterten, wurden ruhig.

Mach den Ruf vor, Greenhorn, spöttelte Ratler. Er wollte mich vor den anderen lächerlich machen, doch ich ging auf sein Verlangen ein:

Hiiije�aah!

Ratler wurde ernst. Noch mal, befahl er, und ich wiederholte.

Eine jagende Rothaut?, bemerkte er, wenn Ihr die Fährte eines Bären gesehen habt, sind die Rotgesichter hinter dem her. Howard und Du, ihr haltet Wache.

Der Bär, rief Howard, als er eine Feldflasche füllte, Old Whiskey! Wir müssen Land gewinnen!

Mr. Ratler, geben Sie mir das Gewehr, ich schieße, befahl der Oberingenieur. Ratler legte an und schoss — vorbei!

Der Bär stürzte auf das Fass los, auf dem Howard stand, um den überhängenden Zweig des einzigen Baumes zu erreichen. Alle anderen flohen in die Felsen.

Sind Sie verrückt, Mr. Ratler?, schrie ich, so treffen Sie ...

Ratler drückte ab, Howard fiel vom Fass. Während Ratler floh, packte der Bär den am Boden Liegenden.

Ich wollte nicht zusehen, wie Howard zerrissen wurde und versuchte, Susi zum Bären zu treiben, doch die sonst so gutmütige Stute verweigerte den Gehorsam. Ich griff zur Notwehr und setzte die Messerspitze an ihre Kehle. Sie raste los, und sogleich packte ich den Bären am Nacken. Dieser hob den Kopf und drehte ihn zu mir. Mit voller Wucht stieß ich die Klinge in seinen Halsmuskel. Dabei verstärkte Susi den Stoß, indem sie vorwärts rannte; die Schlagader wurde durchtrennt. Nun setzte das Pferd zurück. Da ich die Waffe festhielt, wurde diese aus dem Bären gerissen. Ich fiel in einen Haufen Staub und rappelte mich auf.

Eine Fontäne von Blut spritzte, der Bär brüllte vor Schmerz, und Susi, das brave Pferd, stand keinen Meter neben mir. Ich tätschelte das gute Tier, das den glücklichen Ausgang bewirkt hatte. Dann humpelte ich zum Platz, wo die mit Whiskey gefüllte Feldflasche stand, und nahm einen kräftigen Schluck.

Das Vieh ist hin, sagte Ratler.

Ich ging zu Howard, bückte mich und fragte: Na, was abgekriegt?

Er ist tot! Ratler kreischte im Falsett.

In diesem Augenblick kamen Dick, Will und Sam. Die ersteren ritten Galopp, der letztere lief, wie ich nie zuvor einen Menschen laufen sah.

Old Whiskey erledigt, wenn ich mich nicht irre, sagte Sam, nachdem er sich den sterbenden Bären angeschaut hatte.

Das Greenhorn hat den Bären gereizt, log Ratler, deshalb musste Howard sterben!

Nehmen Sie das zurück, sonst vergesse ich mich, warnte ich, Sie haben durch Ihr unachtsames Schießen Howards Tod verursacht.

Das Greenhorn ist ein Mörder ...

Mein Fausthieb traf Ratlers Schläfe. Regungslos fiel er in den Staub.

Wenn das Howard erlebt hätte, sagte Will, wie das Greenhorn Ratler fertigmacht.

Den sollten wir: Shatterhand nennen, meinte Mr. Bankroft.

Shatterhand soll leben!

Shatterhand soll leben!

Alle riefen unisono. Auch ich stimmte mit ein.

In diesem Augenblick hörten wir Geschrei. Erste Abordnung der Rothäute, sagte Dick, die erklären uns jetzt den Krieg.

8. Katastrophen

Welten prallen aufeinander

4 Pferde galoppierten heran. Auf dem vordersten saß der Häuptling; er trug einen Gürtel voller Skalps, einen Tomahawk in der Hand und Federschmuck mit Adlerschwingen auf dem Kopf.

Ihm folgte ein ebenso großer Knabe mit edlen Gesichtszügen ohne Waffen. Langes Haar zierte sein Haupt, dessen Hälfte in der Mitte zu einem aufrecht stehenden Zopf geflochten war und golden in der sinkenden Sonne glänzte. Besser als jeder Soldat saß der Knabe auf dem Ross und hob die rechte Hand zum Gruß.

Den Schluss bildete eine von zwei Pferden getragene Sänfte. Diese war so zwischen den Tieren befestigt, dass sich der Kopf des darin Sitzenden mit dem stehender Menschen auf gleicher Höhe befand. Der Mann wirkte alt, hatte einen Buckel auf dem Rücken und konnte weder richtig stehen noch gehen. Er war weiß, trug einfache indianische Kleidung, und stets stand jenes Lächeln in seinem Gesicht, das Buddhastatuen auszeichnet. Er erhob den rechten Arm und sprach:

Verehrte Herren, ich heiße Ireneus Weiser. Die Meskaleroapachen, auf deren Gebiet sie sich befinden, nennen mich: Keléki Epètra; Weiße sagen: Klekij Petra. Der Herr mit den Adlerschwingen auf dem Haupt richtet Ihnen aus:

Intschu Tschuna, der Kriegshäuptling aller Apachen, dessen Stärke an den Feuern der Roten gerühmt und in den Häusern der Weißen gefürchtet wird, spricht zu den Bleichgesichtern: Verlasst sofort unser Land. Wir werden Euch ziehen lassen, da unser Sklave Klekij Petra für Euch um Gnade flehte. Geht ihr nicht, oder tut Ihr uns etwas an, so werden die Apachen Euer Lager mit Feuer verzehren. Nichts wird Bestand haben: nicht Zelte, nicht Waffen, nichts von allem, was Ihr erbautet, und kein Stück Eurer Leiber wird dem Verderben entgehen. Intschu Tschuna hat gesprochen. Hough!

Du musst es erstmal anzünden, spottete Sam, wir sind gut bewaffnet und machen Ärger.

Wer hat den Bären erlegt?, fragte der Knabe. Er war zum Kadaver gegangen und untersuchte diesen. Dann sprach er: Winnetou wundert sich. Das Bleichgesicht hat ein Messer gebraucht.

Will deutete auf mich und sprach pathetisch: Shatterhand. Er ist kaum 4 Monate im Westen. Ihr seht, was bereits er fertigbringt. Wir anderen aber sind erfahrene Trapper.

Wer schlug den großen Mann nieder?, fragte Winnetou und zeigte auf Ratler, der betäubt am Boden lag.

Ebenfalls Shatterhand, fuhr Sam in die gleiche Kerbe.

Uff! Es folgten die Worte: Wer ist Häuptling der Bleichgesichter? Intschu Tschuna will mit ihm reden.

Endlich tat jemand etwas Vernünftiges, ein Wilder. Mir war angst und bange geworden, als Sam mit der Aufschneiderei begonnen hatte. Froh, zu einer Verhandlung beitragen zu können, erläuterte ich:

Oberingenieur Bankroft. Er ist in seinem Zelt. Ich führe Sie gern zu ihm, Mr. Intschu Tschuna.

Der Häuptling nickte, die Ankömmlinge und ich bewegten sich auf das Zelt des Oberingenieurs zu.

Mr. Intschu Tschuna, begann ich, bitte treten Sie ein. Intschu Tschuna reitet ein! Er zerschnitt mit dem Tomahawk dessen Wand und stoppte sein Pferd vor dem am Boden sitzenden Oberingenieur.

Vom Pferd herab sprach der Häuptling: Intschu Tschuna kämpft mit Shatterhand. Siegt Shatterhand, Intschu Tschuna gibt eine Woche Zeit. Stirbt Shatterhand, Apachen morgen holen Eure Skalps.

Wir brauchen mehr Zeit, antwortete Mr. Bankroft gelassen, der oberste Häuptling in der großen Stadt St. Louis wird böse, wenn wir unseren Auftrag nicht erfüllen. übers Jahr käme er mit 10.000 gut bewaffneten Soldaten hierher. Gegen die hättet Ihr tapferen Apachen keine Chance.

Nun hielt ich nicht mehr an mich: Mr. Bankroft, eben habe ich durch die Geistesgegenwart von Sams Pferd einen Bären erlegt, Ratler niedergeschlagen, und mein linkes Bein ist nicht gesund. Wollen Sie mich so gegen diesen Muskelmann Intschu Tschuna kämpfen lassen? Wir benehmen uns den Apachen gegenüber wie Knaben und nicht wie zivilisierte, aufgeklärte Christen.

Sagt Shatterhand, fragte der Häuptling erstaunt, Intschu Tschuna ist Knabe mit viel Muskel?

Ja, antwortete Mr. Bankroft, ehe ich protestieren konnte.

Uff! So jung denkt Shatterhand ist Intschu Tschuna! Ihm fehlen drei Jahre zu drei mal 20 Jahren Er lächelte und setzte in freundlichem Ton fort: Intschu Tschuna gibt Zeit bis Mond aufgeht. Shatterhand überlegt, ob er kämpft, Intschu Tschuna und Winnetou überlegen, ob sie mehr Zeit geben.

Rückwärts ritt er aus dem Zelt.

Da stieg der weiße Zwerg aus seiner Sänfte, kam ein paar Schritte auf mich zu und sagte: Mr. Shatterhand, führen Sie mit mir allein ein Gespräch zwischen zivilisierten, aufgeklärten Christen.

Obwohl er ein Krüppel war, strahlte er so viel Würde aus, dass ich ihn unterstützte. Mühsam kamen wir voran.

Nach 10 Min. hatten wir die Anhöhe erreicht, auf der ich stand, bevor der Bär ins Lager gekommen war. Im Schatten dieses Hügels setzten wir uns auf einen Stein.

Ich möchte mich Ihnen ausführlich vorstellen, in Deutsch, meiner Muttersprache, begann Klekij Petra zu erzählen:

 
Ireneus Weiser

Vom Lehrer zum Sklaven

Geboren bin ich vor genau 65 Jahren in Leipzig. — Ihre Augen leuchten! Bekanntlich steigt die Leuchtkraft der Augen sich begegnender deutscher Vertriebener umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung in der alten Heimat. Selbst die Meinen verändern sich, obwohl ich seit 40 Jahren außer Landes bin und mit Deutschland abgeschlossen zu haben glaubte. Jene Exilanten scheinen Recht zu behalten, die behaupten, man sei zum Deutschsein verdammt.

Wie ich in diese Lage kam? — Kaum unterrichtete ich, jung und voller Ideale, nach dem Abschluss des Studiums der Geschichte und der alten Sprachen meine erste Prima, als ich, nach Ansicht des Schulrats, den unverzeihlichen Fehler beging, die Knaben selbständig Denken zu lehren. Mit Erfolg: noch während ich im Geschichtsunterricht den gerechten Kampf der Grachen für das arme römische Volk behandelte, planten sie den Umsturz unseres Landeskönigs. 3 meiner Schüler erhielten lebenslänglichen Kerker. Ich wurde gefoltert, daher der Buckel, und verbannt.

Wohin geht ein des Landes verwiesener Deutscher? — Nach der Neuen Welt. Ich schloss mich einem Track nach Neu Mexiko an, der einen Wagenschmied benötigte. Mein Vater war Schmied und hatte mir vieles beigebracht. Kurz vor dem Ziel griffen uns die Apachen an. Ich fiel dem jungen Krieger Intschu Tschuna in die Hände. Er nahm mich als Fleischreserve mit.

So kam ich vor 40 Jahren zu den Meskaleros. Bald darauf sah ich, wie sich die Squaws mit dem Spinnen wilder Baumwolle quälten. Da konnte ich helfen und konstruierte eine mechanische Spinnmaschine. Die Squaws sind noch heute begeistert, weil die Arbeit viel gemütlicher ist. So hatte ich mich als Sklave etabliert.

Als solcher reinigte ich das Lager. Den Mist von Mensch und Vieh nutzte ich zum Anbau von Mais und Hopfen. Daraus stellte ich mit Wasser in einem Tongefäß Bier her.

2 Wochen, nachdem ich es angesetzt hatte, kam der junge Krieger Chaáiad Ischíd (der feige Hase) nach Haus. Intschu Tschuna war mit ihm und 30 tollkühnen Knaben zu einem Raubzug gegen die Kiowas aufgebrochen. Doch die Feinde hatten die Angreifer entdeckt und in die Wüste gejagt. Dort hätten sie nicht lange überlebt, weil die Kiowas, welche die Wüste ebenso gut wie die Apachen kennen, ihren Feinden den Zugang zum Wasser abschnitten. Chaáiad Ischíd hatte sich zwischen den Trupps der Kiowas allein nach Haus durchgeschlagen, eine stramme Leistung. Mir erschien es ungerecht, dass die zurückgebliebenen Krieger ihm gegenüber äußerten, er hätte mit den Kameraden seines Trupps sterben sollen.

Als ich mit ihm allein war, sprach ich ihn an: Probiere einmal, was ich gemacht habe. Nachdem er einen Liter getrunken hatte, sprach er: Dieser Trank vereint Sonne und Leben! Bier, erklärte ich, löscht den Hunger wie den Durst und hält sich lange. Lass uns 2 Packpferde nehmen und sie mit Beuteln dieser Flüssigkeit beladen. Vielleicht können wir Intschu Tschuna und seine Mannen noch retten. Chaáiad Ischíd, erfrischt durch den Trunk, und ermutigt durch das eine Prozent Alkohol darin, stimmte begeistert zu.

10 Tage später fanden wir Intschu Tschuna und seine Krieger fast verschmachtet vor. Das Bier hatte weiter gegoren und nun 3 % Alkohol. Jeder trank einen Liter, und schon waren sie wie ausgewechselt. Wir greifen die Kiowas an, sagte Intschu Tschuna, und so geschah es auch. Mich ließen sie zurück. Bald darauf kam der ganze Trupp mit 25 erbeuteten Pferden und einer Menge Proviant zu mir. Chaáiad Ischíd trug die Skalps 6 erschlagener Feinde in seiner Hand, obwohl er nichts getrunken hatte. Intschu Tschuna wurde zum Häuptling gewählt, und Chaáiad Ischíd erhielt den Namen: Schedaní (ohne Hilfe).

Mein Name bei den Apachen bedeutet: Weiß und Verlässlich. Zwar blieb ich ihr Sklave, aber sie erleichterten mein Leben. Das erkennen Sie an der Sänfte. Ich habe nie versucht, nach Deutschland zurückzukehren, wo man mich gefoltert, zum Krüppel gemacht und nach kurzem Prozess des Landes verwiesen hat.

Aufklärung

Mr. Shatterhand, nahm er das Wort wieder auf, freundliche Deutsche Greenhorns wie Sie bemühen sich Indianern gegenüber um Höflichkeit, um sie von den Segnungen der ach so überlegenen europäischen Zivilisation zu überzeugen. Heute werden Sie Geschichte schreiben, wenn Sie Intschu Tschuna besiegen und sein Leben verschonen. Sie würden einen Indianer nicht grundlos zu erschießen suchen wie der Kerl, den Sie niedergeschlagen haben.

Was hat Ratler den Apachen getan?

Er hat vor einer Woche Winnetou angeschossen, der von einer langen Reise wiederkehrte.

Dann müssten Ratler und Winnetou kämpfen.

Wäre dieser Kampf fair?, fragte Klekij Petra, ich weiß, warum Sie Ratler nicht mögen.

Was mir der Ratgeber der Apachen nun eröffnete, erschreckte mich zutiefst:

Als Winnetou die Stelle fand, wo es so unangenehm roch, durchwühlte er die Steine und fand das hier. Klekij Petra zeigte mir ein speckiges Notizbuch, das Schuldkonto Ratlers. Er hat Sie alle in der Hand.

Ich bin noch nicht darin verzeichnet.

Der Gymnasialprofessor rief: Sie sind Carl Mai, mit C und ai. 1000 Dollar fordert er von Ihnen, damit er in Deutschland nicht verrät, dass Sie sich bei der Überfahrt als Karl May, mit K und y, ausgegeben haben. Ein gewisser Billy Blow, der wegen Ihnen nicht dazu kam, seine Schulden von 500 Dollar bei ihm zu begleichen, hat das Ratler erzählt.

Wir traten den Rückweg an. Es war stock dunkel. Bald würde der Mond aufgehen. Kein Lüftchen wehte den Staub auf. Ich half Klekij Petra, dem das Gehen alle Kräfte abverlangte.

Ratler ist ein böser Mensch, sprach er schließlich, bitte kämpfen Sie gegen Intschu Tschuna. Ihre Chancen stehen gut, wenn Sie im Erstschlag sein Kinn treffen, wo er empfindlich ist. Dann flösse kein Blut, und Sie bekämen die Zeit für den geordneten Rückzug.

Unvermittelt fragte er: Herr Mai, haben Sie den jungen Mann erschossen, der neben dem Kadaver des Bären liegt? Nein, antwortete ich. Warum haben Sie den Graubären erstochen?

Ich erzählte, wie ich versucht hatte, Howard vor dem Untier zu retten, als Ratler geschossen hatte.

Vor Ratlers gezieltem Nackenschuss konnten Sie Howard nicht schützen, erwiderte Klekij Petra, warum hat er geschossen?

Howard hat Ratlers Schuldbuch für mich gestohlen, es vergraben und jenen Platz markiert, an dem ich es finden würde.

Deshalb roch es aus seinem Mund nach Erbrochenem, sinnierte der exilierte Gymnasialprofessor.

Ratler hat den Tod verdient, stellte ich fest. Endlich erreichten wir das Lager.

Sorgen Sie dafür, entgegnete Klekij Petra, dass keiner vor ihm stirbt.

Feuerwassers Folgen

Der Bucklige und das Greenhorn! Ratler kündigte uns an. Alle waren mit ihren Waffen um ein Feuer versammelt. Sam, Dick und Will weideten den Bären aus. Als der Mond aufging, erschienen die beiden Indianer.

Kämpft Shatterhand gegen Intschu Tschuna?, fragte dieser. Nur, antwortete ich, wenn wir es ohne Waffen austragen.

Ratler sagte verächtlich zum Häuptling: Kämpfe mit mir anstatt mit dem Milchbubi.

Intschu Tschuna kämpft gegen Prahlhans in Waffen und dann gegen Hasenfuß ohne, erklärte der Häuptling und setzte fort: Intschu Tschuna besiegt beide, bis Sonne aufgeht alle Bleichgesichter tot. Prahlhans oder Shatterhand besiegt Intschu Tschuna, Bleichgesichter Zeit bis nächsten Vollmond. Der Häuptling aller Apachen hat gesprochen. Hough.

4 Wochen, rief Mr. Bankroft, wir müssen uns beeilen!

Jeder kriegt ein anderes Gewehr, begann Ratler, Sam, gib mir Deinen Schießprügel und dem Indianerobermacker die verunglückte Kanone. Jetzt kriegt jeder 'ne Feldflasche Whiskey. Wer die zuerst in einem Zug ausgesoffen hat, schießt.

Ratler nahm sich eine Flasche und gab Intschu Tschuna jene, die vor ein paar Stunden Howard gefüllt hatte.

Winnetou und Klekij Petra schrien auf den Häuptling ein und schüttelten ihn. Der verschluckte sich.

Das gilt nicht, sagte Ratler, neue Flaschen!

Er füllte sie und ließ sich Zeit. Intschu Tschuna hatte die Hälfte der vorigen geleert. Währenddessen machte Ireneus Weiser sich Notizen und steckte das Schriftstück weg.

Ratler händigte dem Apachenhäuptling die gefüllte Flasche aus. Der setzte an, trank sie leer und hob den Bärentöter.

Klekij Petra versuchte, aus der Schusslinie zu kommen, doch er war zu langsam. Noch bevor der torkelnde Intschu Tschuna den Bärentöter anlegte, hatte Ratler Sams Muskete geladen und auf Winnetou gezielt. Beide Schüsse krachten gleichzeitig.

Winnetou konnte ich retten: Ich schlug zu wie nie zuvor, Ratler fiel zu Boden wie ein nasser Sack, sein Schuss ging fehl.

Die Kugel aus dem Bärentöter aber traf Klekij Petra zwischen den Schulterblättern. Er stürzte in den Staub. Ich drehte ihn auf die Seite, als Winnetou herzukam.

Carl ... Nimm ... die Brust... taSche.

Diese Worte röchelnd verließ Ireneus Weiser, der Ratgeber der Apachen, die Welt. Selbstverständlich sprach er Deutsch.

Dick und Will packten den reglosen Ratler, schleppten ihn zum Whiskeyfass und öffneten dessen Hahn über seinem Mund. Soll ersaufen, der Hund, schnaufte Dick.

Intschu Tschuna fiel um, als ich den Bärentöter holte und zu Klekij Petras Leichnam ging. Winnetou stand mit hängenden Armen und gesenktem Kopf daneben. Erst als ich begann, diesen in die Sänfte zu bugsieren, half er mir.

Beim Anheben fand ich unter dem Hemd auf seiner Brust eine Tasche. Nach Klekij Petras Wunsch nahm ich diese an mich.

Winnetou ging zu Intschu Tschuna, hievte ihn auf sein Pferd und band ihn mit Stricken fest. Ich wollte ihn unterstützen, doch er ließ es nicht zu.

Iaschanò Keliké epètre.

Revenge for White and Relyable.

Venganca por Blanco y fiable.

Rache für Weiß und Verlässlich!

Mit dieser Kriegserklärung in seiner Muttersprache, englisch, spanisch und deutsch, ritt Winnetou davon.

Dem muss ich folgen, weil ich das Anschleichen und die Sprache der Apachen beherrsche. Er wird zu seinem Stamm reiten und mit den Häuptlingen Kriegsrat halten. Sam schwang sich auf Susi und ritt davon.

Mr. Hawkins begeht Selbstmord, meinte Mr. Bankroft, nun brauchen wir jeden.

Er ging zum Fass und schloss den Hahn. Drei Tage lang blieb Ratler bewusstlos.

Geiselnahme à la Hawkins

Laut Ratlers Notizbuch, das ich in Klekij Petras Brusttasche fand, machte Nolen Ratler beim Bau jener Brücke über den Mississippi, die bei der Einweihung abstürzte, einen Vorschlag, der 50.000 Dollar einsparen sollte. Mr. Bankroft aber erschien dieser zu riskant. Da verlangte Ratler von ihm, sofort seine 500 Dollar Schulden zu zahlen. Notgedrungen ging Mr. Bankroft darauf ein; er hoffte auf die Prämie, die 5 % der eingesparten Summe betrug und auf den Ideeninhaber und seinen Vorgesetzten zu gleichen Teilen entfiel. Ratler sorgte dafür, dass schlampig gearbeitet wurde, als Mr. Bankroft einen anderen Abschnitt inspizierte. Planmäßig überging am Tag vor der Einweihung James Bond, der Direktor der Pacific Rayl Road Western Company, Ratlers Warnung. Das Unglück nahm seinen Lauf. Ratler erpresste beide Chefs: Den Oberingenieur mit 1.500 Dollar, damit er ihn nicht anzeige, und den Direktor mit satten 10.000, damit nicht öffentlich werde, dass er die Sache hätte verhindern können. Nun sollte ich die Kastanien aus dem Feuer holen.

Früh am dritten Tage nach dem Tode Klekij Petras belud ich Ratlers Muli. Im Gepäck steckte ein Brief, in dem scheinbar Ratler bat, mir alle Wechsel zu überschreiben. Diesen hatte ich sorgfältig in seiner Handschrift abgefasst. Die Wechsel wollte ich Direktor Bond geben, der den Rest erledigen würde.

Als ich aufsaß, Leib und Sinne zum Zerreißen gespannt, drückte Ratler ab und schrie den Kriegsruf der Kiowas, die uns gerade erreichten. Ich sprang vom Muli und schwang die linke Faust; diese streifte Ratlers Kugel.

Kiowas! Will, der mit Dick Nachtwache hatte, rief dies. Alle luden ihre Waffen und versammelten sich.

Sam ist dabei, jubelte Dick.

Sam, Du lebst, rief ich, Mr. Bankroft hat Dich gestern für tot erklärt!

Wer den alten Sam umlegen will, meinte er, muss früh aufstehen. — Greenhorn, schon wieder Ärger?

Das war Ratler, sagte Will, der den Knall der Büchse erkannt hatte.

Nolen, Sam grinste ihn an, den werden die Apachen erledigen. Dich schmieren sie mit Fett ein, würzen Dich mit Kräutern und Salz, stecken Dich in ein Whiskeyfass, und unter Dir flackert ein Feuerchen. Da brätst Du, schön langsam, Du sollst 3 Tage was davon haben!

50 gut berittene, aber schlecht bewaffnete Kiowas sprengten heran. An ihren Pferden hingen Gefangene. Ich erkannte Intschu Tschuna.

Ratler spöttelte: Der Apachenobermacker hängt am Pferd des Kiowahäuptlings! Ob mich die Apachen jetzt braten werden?

Sam ging nicht auf Ratlers Spöttelei ein und sagte zu uns anderen: Gebt unseren roten Brüdern das angebrochene Whiskeyfass.

Johlend zogen die Kiowas damit ab.

Wozu ist das gut?, fragte ich Sam. Der lächelte und erzählte:

Winnetou ritt zu seinem Stamm. Die haben ihr Pueblo 30 Meilen von hier. Dort begrüßten ihn Tausend Federn und Der Schlafende Bär. Tausend Federn war vor Intschu Tschuna Kriegshäuptling aller Apachen. Er ist an die 100 Jahre alt; sein Wort gilt viel. Der Schlafende Bär ist ihr Friedenshäuptling. In Beratungen schläft er oft; daher der Name. Aber er ist schlau und bärenstark. Ein Säufer kann nicht Kriegshäuptling sein, sagte Der Schlafende Bär, Gut, Winnetou, dass Du ihn hergebracht hast. Ich setze Intschu Tschuna ab, mache Dich zum Häuptling und übernehme vorerst das Amt des Kriegshäuptlings. Tausend Federn entgegnete: Man berufe die Versammlung der Häupter, welche nach der Sitte den Nachfolger bestimmt. Bis die da sind, meinte Der Schlafende Bär, vergeht zu viel Zeit. Wir müssen die Bleichgesichter angreifen, bevor sie Verstärkung holen. Da tauchten vier Häuptlinge entfernt lebender Stämme auf. Vor 5 Wochen hat uns der Älteste rufen lassen, um die Taktik der Apachen gegen Bleichgesichter und Kiowas zu planen, erklärte einer von ihnen. Wie dumm, polterte Der Schlafende Bär, die Häuptlinge zu rufen, wenn wir an zwei Fronten kämpfen!

2 Tage später palaverten alle Häuptlinge der Apachen am Fels der Sieben Männer. Der Schlafende Bär machte seinem Namen alle Ehre; ich kauerte hinter dem Schläfer und bekam alles mit. Intschu Tschuna erhielt die letzte Verwarnung.

Auf dem Rückweg fanden mich Tangua und 50 seiner Kiowas. Tangua, sagte ich zu ihm, ich komme von den Apachen und kann Dir nützlich sein. Wie, Sam?, fragte er. Tangua kennt mich seit 20 Jahren. Seit zwei Stunden palavern ihre Häuptlinge am Fels der sieben Männer. An diesen Ort ihrer bösen Geister, sagte Tangua, gehen wir nicht. Ich bin tagelang da gewesen. Über mich haben sie keine Macht. Durch mich seid Ihr vor ihnen sicher. Lasst uns dort die Häuptlinge holen, bevor die Beratung endet. Ein guter Plan. Was springt für Dich heraus? Mein Leben und das meiner weißen Brüder. Ich erzählte ihm vom Tode Klekij Petras. Wenn es klappt, schloss ich, werden die Apachen mit Euch verhandeln und weder uns noch Euch angreifen. Noch was: Wenn Ihr einen Umweg zu unserem Lager macht, gibt 's etwas Whiskey.

Wir überrumpelten und fingen 20 Häuptlinge, darunter Intschu Tschuna. Winnetou, der sie bediente, nahmen wir auch mit. Doch wurde Der Schlafende Bär wach, schlug 4 Kiowas nieder und entkam.

Tangua wird die Apachen 2-3 Wochen hinhalten. Bis das Lösegeld bei den Kiowas ankommt, vergeht noch eine Woche. Aber danach müssen wir weg sein!

Mr. Hawkins, sagte Mr. Bankroft, Sie sind ein Genie!

Was, streute ich Zweifel, wenn die Kiowas ihre Erzfeinde umbringen? Geschieht dies, werden sich die Apachen an uns halten, weil wir weniger sind und gute Waffen haben, welche sie im Kampf gegen die Kiowas gut brauchen können.

Charly, erwiderte Will, bis Indianer Häuptlinge töten, muss es für sie übel kommen. Danach sieht es nicht aus.

Die Insmen werden uns eine Weile in Ruhe lassen, schloss der Oberingenieur die Debatte, an die Arbeit, und dann schnell weg hier!

Geschäft verpatzt

Nun begutachtete ich Klekij Petras Notizen, ein Buch aus über 500 eng in Deutscher Stenographie beschriebenen Lederblättern: Das erste Drittel der ersten Seite bestand aus sechs Zeilen zu je 14 Zeichen, die Hieroglyphen ähnlich sahen. Das zweite Drittel war in zwei Spalten geteilt. Der Inhalt, die Übersetzung der oberen Zeilen, stand links in englischer, rechts in deutscher Sprache. Der Text lautete:

Der demütig dienend blieb bei den Apachen

Bevor von hinnen er fährt

Wollt Ihr willfahr'n seinem Wunsche:

Der Weiße von Faustes Gewalt

Soll besitzen die Seiten

Verfasset von Weiß und Verlässlich.

Darunter befand sich folgender Brief an mich:

Meskalerogebiet, den 29. September 1886

Liebes Greenhorn Carl Mai!

Intschu Tschuna ist zu allem fähig, wenn er trinkt. Ich muss um mein Leben fürchten. Sicher hätten wir einander gut verstanden.

Ich wünsche Ihnen viel Glück. Schauen Sie sich meine Elaborate an: die Versuche eines verhinderten Professors, ein Volk zu beschreiben, das er nach 40 Jahren nicht verstanden hat. Sorgen Sie für ein lebendiges Gedenken dieses Folkes.

Gott wird Ihnen beistehen, mein Freund. Sollten Sie die Gelegenheit bekommen, trösten Sie bitte Chaniaschù, die Sklavin Intschu Tschunas.

Ireneus Weiser Keléki Epètra

Als Sam und ich am Abend Wache hatten und das Lager umrundeten, tauchte Tangua auf, zu Fuß, mit Tomahawk bewaffnet. Er fragte: Wer ischt der Kerl neben Dir, Scham?

Tangua war klein, rundlich und lächelte verschmitzt. Er hatte einen Sprachfehler.

Das ist Shatterhand, erklärte Sam, sei vorsichtig, denn er besiegte einen Bären mit dem Messer.

Ohne dein Pferd, Sam, stellte ich richtig, hätte ich das nicht geschafft.

Sagst Du immer die Wahrheit?, fragte Tangua mit breitem Grinsen, Bestimmt bist Du ein Greenhorn und willst Missionar werden. Das mit der Wahrheit geht vorbei, sobald Du Missionar bist.

Sam, fuhr der Kiowa fort, Ich muss mit Dir allein sprechen.

Ich machte mich davon und hörte Tangua sagen: Reitet morgen zum Fels der sieben Männer und sprengt in den Boden ein Loch: 5 Schritt tief, 5 Schritt lang und 2 Schritt breit.

"Das wird das Grab der 20 Häuptlinge. Auf heiligem Gebiet, damit die Demütigung wirkt. Seine Finger mag sich Herr Tangua nicht schmutzig machen." So dachte ich, leider leise.

In unserem Zelt, wo Dick und Will schliefen, vergegenwärtigte ich mir die Lage: 50 km südlich von uns befand sich das Pueblo der Meskaleros mit 150 Kriegern. 12 km westlich von uns lagerte Tangua mit 200 Kiowas, und 20 km nördlich davon lagerten 200 weitere Kiowas. Ich musste mich zurechtfinden, damit mein Plan gelingen konnte.

Vom Anschleichen hatte ich keine Ahnung. Tarnung war nötig, um ins Lager Tanguas zu kommen.

"Ihr Aberglaube und ihre Sauflust werden mir helfen", dachte ich. Deshalb verließ ich das Zelt mit meiner Feldflasche und füllte diese mit Whiskey.

Ratler sah mich und spöttelte: Brauchst 'n Schlaftrunk, Greenhorn Ich ließ ihn stehen.

In unserem Zelt fabrizierte ich aus Wasser, Lehm und Holzkohle eine Maske, die mich als bösen Geist tarnen sollte. Damit verließ ich das Lager.

Es war stockfinster, als ich bei Tangua anlangte. Ein Wächter drehte sich nach mir um. Mein Fausthieb streckte ihn nieder. Sein Sturz fiel nicht auf, denn überall lagen volltrunkene Indianer. So ging ich weiter.

Hoinó!

Ein Riese hatte sich vor mir aufgebaut. Er war 2,30 m groß, breit wie ein Schrank und bestand einzig aus Muskeln. Seine Hände sahen aus wie Bärenpranken, aber sein Kopf war klein.

Wwwer bist Du?

In meiner Not war ich in die Muttersprache verfallen.

Pida, der Sohn Tanguas, antwortete er — auf Deutsch, Das bedeutet: Stark wie ein Bär.

Nomen est Omen, sagte ich.

Vor 3 Wochen hab ich 5 Bären erwürgt und ihre Felle nach Santa Fè geschafft. Bekam 4 Flaschen Whiskey dafür, der war aber mies! Wer bist Du, und was willst Du hier?

Ich heiße Carl Mai. Man nennt mich: Shatterhand. Pida, die in Santa Fè haben Dich betrogen: Du hättest für 5 Bärenfelle 10 Dollar bekommen müssen. Das hätte für 5 Flaschen guten Whiskey gereicht!

Ist das wahr? Frag Sam Hawkins, den Freund Deines Vaters. Hier ist guter Whiskey.

Ich reichte ihm die Flasche. Pida nahm einen kräftigen Schluck. Darauf fragte er:

Wenn ich Dir 6 Bärenfelle mitbringe, verkaufst Du sie für mich und gibst mir das Geld?

Wenn Du das schaffst, erklärte ich, schenke ich Dir mein Gewehr. Ich zeigte ihm den Bärentöter.

Echt?, fragte Pida erstaunt. Wenn ich hier mitfeiern kann, entgegnete ich.

Klar, sagte Pida. Er nahm zwei Holzklötze, aus denen die Kiowas ihre Hütten erbauen, und band mir einen unter jeden Fuß. Nun war ich so groß wie Pida. Dann gab er mir seinen Umhang und setzte mir seinen Kopfschmuck auf. Schließlich drückte er an der Maske herum.

Endlich sagte er: Jetzt siehst Du aus wie ich vor 6 Jahren, als ich beinahe an den Blattern gestorben wäre. Außer mir hat das in unserem Dorf keiner überlebt. Papps sagt, die Waffenhändler hätten die Blattern mit Absicht zu uns eingeschleppt.

Wahrscheinlich hat Tangua Recht, erwiderte ich traurig.

Aber Du bist anders, setzte Pida fort, noch besser als die in der Missionsschule. Da hab ich Deutsch, Lesen, Schreiben, Rechnen und 'ne Menge Lieder gelernt. Aber ich kriegte jeden Montag Haue, weil Papps und die anderen nicht in die Kirche gehen wollten. Als Erbe des Häuptlings hätte ich für das Seelenheil der Kiowas zu sorgen. Die Lehrer sagten: Wer viel hat, von dem wird man viel fordern.

Offensichtlich hatten die Blattern das Gehirn des Häuptlingssohnes geschädigt. Mein Gewissen peinigte mich, doch musste der Zweck die Mittel heiligen.

Pida trank den Whiskey aus, gab mir die Flasche und sagte: Pass auf die Gefangenen drüben an den Marterpfählen auf, bis ich wiederkomme. Sogleich war er fort.

Trotz der Klötze kam ich ungehindert durch die Reihen der Trunkenen. Doch ich sah nur 2 Gefangene, jeden an einem Pfahl. Am linken hing Intschu Tschuna, am rechten Winnetou.

Intschu Tschuna zu befreien, war einfach. Doch für Winnetous Fesseln hätte ich eine Betriebsanleitung gebraucht. Alle Kiowas schliefen; die Gelegenheit war günstig.

Ich kümmerte mich um Winnetou, ein Fehler, wie mir später klar wurde, weil ich mit der Befreiung des Kriegshäuptlings leichter entkommen wäre. Der Mond ging auf und spendete Licht. Aufmerksam schaute ich mir Winnetous Fesseln an. Deren gordischen Knoten würde ich wie Alexander Der Große lösen.

Doch ich brauchte ein Beweisstück, um den Apachen zu zeigen, dass wir ihre Freunde waren. Nun erkannte ich, dass der Zopf auf Winnetous Haupt mit Golddraht durchflochten war. Ein Messerschnitt: er lag in meinen Händen, verschwand in meiner Flasche, und man sah Winnetous blanke Kopfhaut.

Biàtsche Pidá sevigilamù schekaàlpa!

Winnetou rief es, als ich seine Bande zerschlug.

Pida! Aus der nächstgelegenen Hütte trat Tangua.

Ich kappte die Bänder, welche die Klötze an den Füßen hielten, ließ das Messer liegen, warf Pidas Umhang nach Tangua und rannte los, als der den Kiowa bedeckte.

Greenhorn, empfing mich Sam, wo kommst Du her? Von Tangua, japste ich.

Wieso? Ich wollte nach den Gefangenen sehen. Winnetou und Intschu Tschuna habe ich gefunden, aber die anderen ...

Hat Tangua fortbringen lassen, fuhr Sam dazwischen, was soll die Maskerade?

Nun erzählte ich ausführlich.

Was hat Winnetou gesagt, als Du ihn befreitest? Irgendwas mit Pidá, antwortete ich.

Winnetou glaubt, Pida hätte ihn befreit, stellte Sam fest, der hatte Dir ja seine Sachen angezogen. Dabei sah vor ein paar Stunden alles so gut aus. Ich hatte mit Tangua ein Geschäft gemacht.

Was für ein Geschäft?, fragte ich.

In die Grube sollten unsere Whiskeyfässer. Ich hab mit ihm ausgemacht, dass er die Häuptlinge erst in vier Wochen freigibt. Bis dahin hätten wir die Arbeit geschafft und wären abgehauen. Aber nun greifen uns die Apachen spätestens mittags an. Ich weck die anderen, damit wir uns vorbereiten.

Zwei-Fronten-Krieg

150 Kiowas! Die empfangen wir.

Dick alarmierte uns, als es dämmerte. Alle waren wach und bewaffnet. Fackeln leuchteten. Die Kiowas waren zu weit für ihre Schießprügel entfernt, als wir eine Salve abgaben. Ihre Reihen lichteten sich.

Nun kommen die Apachen! Ratlers Stimme überschlug sich. An die 300, stellte Dick fest. Wir hatten noch nicht nachgeladen, als sie auf uns zu sprengten.

Intschu Tschuna, den Winnetou befreit hatte, ritt auf mich los. Hasenfuß ... Mein Schmetterhieb warf ihn vom Ross. Betäubt blieb er liegen.

Gut, sagte Tangua, dass Du mir die Arbeit abgenommen hast. Skalpieren werde ich ihn selber, damit er nicht stirbt.

Kommt gar nicht in Frage!, entgegnete ich.

Überlass ihn mir, sagte er grinsend, und ich vergesse die Sache heute Nacht, als Du getürmt bist.

Verächtlich bemerkte ich: Mit den Deinen kommst Du nicht weg.

Mit Intschu Tschunas Ehre im Gepäck schon, antwortete Tangua, solange er Häuptling ist, muss er seinem Skalp nachjagen. Den verkauf ich ihm für unser aller Leben. Er wird tun, was ich verlange, und darauf achten, dass kein Apache es mitkriegt, sonst hat er bei denen ausgespielt.

Der weiße Hund! Winnetou erschien und warf den Tomahawk. Tangua fiel, von der flachen Seite getroffen. Darauf sprach der Apache: Verkauft den Skalp meines Vaters an unseren Erzfeind!

Kleinlaut erklärte ich, dass ich mich gegen Intschu Tschuna verteidigt hatte und Tangua aufgetaucht war.

Doch Winnetou fiel über mich her. Während er mich niederschlug, fauchte er: Shatterhands Schicksal entscheidet der Marterpfahl!

Winnetou, Shatterhand, à Dios Muchachos!

Ratler rief es und schoss. — Mir schwanden die Sinne.

9. Im Lager der Apachen

Sam Hawkins

Gefangennahme

Der Schlafende Bär kam. Wir ergeben uns, sagte ich auf Spanisch, das er fließend spricht. Waffen her, antwortete er. Will und ich gaben ihm unsere. Ratler hat das Greenhorn aus 50 Schritt erschossen, den bring ich zur Strecke! Dick sprach, lud und schoss aus 500 Schritt auf ihn. Getroffen stürzte er. Da, sagte Dick und reichte dem Apachen seine Waffe. Solche Gefangenen mag ich, bemerkte Der Schlafende Bär. Du kannst mehr haben und Pferde dazu, meinte ich. Wie? Geh mit 20 Kriegern 7 Meilen nach Westen. Dort findest Du 50 besoffene Kiowas und ihre Mustangs. Wollen sehen, ob das stimmt! Ich nehme Euch mit.

Auf seinen Ruf kamen 20 Krieger. Der Schlafende Bär band uns an die Pferde. Wir rannten zum Lager Tanguas. Einer war wach und nüchtern: der Wächter, den Du niedergeschlagen hattest. Den erledigte der Friedenshäuptling; Die anderen waren noch blau. Die Apachen nahmen sie samt Waffen und Pferden zu ihrem Pueblo mit.

Muchas gracias, Señores, sagte Der Schlafende Bär, als wir rasteten. Nun besah er meine Muskete. Der gewöhn ich die Schlagseite ab, sprach er. Du erinnerst Dich an das gusseiserne Wappen auf dem Schaft. Mit der Klinge des Tomahawks hebelte er es herunter. Vorsichtig schmirgelte der Friedenshäuptling die darunter liegende Fläche mit feinem Sand ab und rieb sie mit Lederstücken sauber. Nun sah man eine Einlegearbeit in Gold: einen schlafenden Bären, eine spanische Unterschrift in winzigen Buchstaben gefolgt von einem Siegel. Können Sie das lesen?, fragte Der Häuptling. Ich nickte und las vor:

Dem Retter meines Lebens und Beschützer meiner Ritter vor den Kiowas. Juan Carlos, Vizekönig der spanischen Krone vom Mexico. Mexico Stadt, am 11. November Anno Domini 1584.

Dies Gewehr schicken mir die Geister. Es gehörte meinem 12fachen Urahn. Solange Ihr lebt, erhaltet Ihr eine Vertrauensstellung, und Euer Tod wird rühmlich sein. Der Schlafende Bär hat gesprochen. Hough!

Bald darauf trafen wir Winnetou mit 30 Kriegern. Alle waren schwer verwundet und auf den Pferden festgebunden. Hinter ihnen schlichen die befreiten Häuptlinge der Apachen her. Sie sahen nach der Behandlung durch die Kiowas wie Vogelscheuchen aus. Auf seinem Pferde hing Intschu Tschuna, noch immer betäubt. Du lagst auf Winnetous Pferd. Der hatte Dir die Fresse poliert, und Deine Brust war schwer verwundet. Das Bleichgesicht im Jagdpanzer prüfe Winnetous Verband. Er sprach mit uns in der Hochsprache der Apachen. Gott sei Dank, Charly lebt!, rief ich, Dein Verband ist ein Meisterstück, Winnetou! Die Bleichgesichter werden keinen Grund finden, ihrem Gott zu danken, denn die Marter, welche ihrer harrt, werden kommende Geschlechter der Apachen besingen. Winnetou hat gesprochen. Hough! Herrliche Aussichten! Stimmt, Dick, meinte Will. Da wurde Intschu Tschuna wach. Was hast Du mitgebracht, Intschu Tschuna?, spottete der Friedenshäuptling, Dein Sohn befreite unsere Häuptlinge, und hier ist meine Beute! Gib nicht so an! Wir gehen zu den Kiowas und holen uns ihre Skalps.

Als wir dort ankamen, hatten sie sich von Winnetous Überfall erholt. 100 kräftige Recken, meinte der Friedenshäuptling, das wird nichts mit unseren 70 müden Kriegern. In diesem Augenblick kam Pida an. Oh weh, stöhnte er, der erste Bär hat mich vermöbelt. Ich sauf nie wieder vorm Jagen! Aber ich hab 7 erlegt. 20 Mann mit mir! Pida beschrieb, wo die Tiere lagen, und 20 Mann verzogen sich mit ihm. Als sie mit den Bären zurückkamen, überfiel Intschu Tschuna sie mit den besten Kriegern. Er selbst stürzte sich auf Pida. Nach langem Kampf hatte Intschu Tschuna ihn am Boden. Er nahm die Bären, Pida und seine Krieger als Beute mit.

Will Parker

Shatterhand tot?

Gegen Morgen kamen wir beim Pueblo der Meskaleros an. Es liegt in steilen Felsen, da kommt nie einer rauf, ohne bemerkt zu werden. Darunter gibt 's ein großes, fruchtbares Tal, durch das der Rio Pecos fließt. Ungefähr eine Stunde nach Norden hin mündet ein Bach in diesen Fluss. An der Mündung entsteht ein See. Wie wir hinkamen, blubberte es daraus. Neben dem See trieb man uns in eine Schlucht. Die Kiowas kamen anderswo hin.

Winnetou schupste mich hinunter. Lange rutschte ich abwärts. Da sah ich Ratler. Au! Seit heute Morgen häng' ich hier! Der fiese Tangua hat mich gefesselt. Wie viel Schulden hast Du bei mir? Nolen, antwortete ich, Wir sind in ein paar Wochen alle hin. Tangua versteht sein Handwerk. Das gönn ich Dir! Auch die anderen kamen. Nur Du nicht, Charly. Keiner von uns wurde gefesselt. Wozu auch? An allen Seiten ging der Felsen steil hoch. Nur ein schmaler Pfad führte hinaus. Den bewachte ein Apache, der jede Stunde abgelöst wurde.

Am Mittag des übernächsten Tages kam Der Schlafende Bär mit 20 Kriegern. Auf, zum Arbeitsdienst! Señor Hawkins, Parker und Stone, Sie bleiben. Winnetou kommt Sie besuchen. Zu Essen gibt es erst, wenn Sie etwas geleistet haben. Man sagt doch bei Ihnen: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.

Alle außer uns dreien zogen ab. Bald darauf kam Winnetou mit 10 Kriegern. Hat der Sohn des großen Häuptlings Intschu Tschuna vor halb verschmachteten Bleichgesichtern mehr Angst als vor satten? Sam sagte das in der Hochsprache der Apachen und sprach auf Englisch weiter: Wie behandelst Du Deine Gefangenen? Wir konnten uns nicht verteidigen, und wenn Ihr so weitermacht, brauchen wir das auch nicht. Aber man soll den Tag nutzen: Cave deum, wie der Lateiner sagt. Es heißt: Carpe diem! Klekij Petra führte diese Rede oft. Eine Verteidigung ist überflüssig. Nur die Bleichgesichter, welche die Sprache ihrer Ahnen nicht beherrschen, wissen nicht, warum sie des Todes schuldig sind.

Winnetou, begann Sam das folgende Zwiegespräch, Du am Haupte gerupfte Blume Deines Volkes, erleuchte uns! Ihr habt uns Whiskey gegeben, durch Euch haben wir Klekij Petra verloren, durch Euch sind unsere Häuptlinge und Winnetou Gefangene der Kiowas geworden ... Und schnell frei gekommen, unterbrach ihn Dick, besonders Du! Lügner! Winnetou streckte Dick nieder. Seit wann vergreift sich ein Apache an Wehrlosen? Beschämt wandte sich Winnetou ab. Nach einer Weile sagte er: Das Bleichgesicht Sam Hawkins spricht wahr: Winnetou ist dasselbe Unrecht widerfahren, denn Pida, der Sohn Tanguas, wollte ihn skalpieren. Als sein Gewissen ihn peinigte, befreite er den Apachen. Habt Ihr bei Pida Dein Haar gefunden? Such bei Shatterhand. Er hat Dich befreit, weil er dachte, die Kiowas würden die Häuptlinge und Dich sofort umbringen.

Da hörten wir vom Pueblo her Trommeln. Unser letztes Stündlein hat geschlagen, sagte Dick. Trommeln sagen: Shatterhand tot! Intschu Tschuna war aufgetaucht. Dürfen wir ihn sehen?, fragte ich. Intschu Tschuna sagte: Mitkommen! Wir gingen mit den Apachen zum Pueblo. Keiner dachte an Flucht.

Du lagst auf einer Steinbank, der Mund stand offen, die Augen stierten ins Leere. Verfluchtes Greenhorn! Wir kommen alle mit! Ich fing an zu heulen. Seit wann wird einem die Hand feucht, wenn man sie an den Mund eines Toten hält? Der lebt noch, wenn ich mich nicht irre. Sam wurde unterbrochen. Deine Augen zitterten, die Lippen bebten. Dann vernahmen wir — ganz leise — diese Worte:

Biàtsche Pidá sevigilamù ... Sche-ka-àl-pa.

10. Im Grabe Klekij Petras

Ich will leben!

Als ich 3 Wochen nach unserer Gefangennahme zu mir kam, wähnte ich mich in der Wohnung meiner Eltern. Musstet Ihr die Möbel verpfänden?, fragte ich.

uff! Nur diesen Laut hörte ich. Eine andere Stimme antwortete auf Deutsch: Die brauchen wir Apachen nicht.

Apachen? Ich versuchte, mich aufzurichten.

Chaniaschù hilft Dir, sagte die Stimme, welche eben gesprochen hatte. Jemand stützte mich von hinten, als ich den Kopf hob.

Ich lag in einem runden Raum von 7 m Durchmesser. In der Mitte des Bodens gab es eine 1,60 m tiefe, mit brennendem Buschwerk gefüllte Grube von 1,40 m Durchmesser. 5 m darüber führte ein Loch ins Freie. Entlang der Wand verlief eine 1 m hohe, 1,40 m breite Stufe. Ein Fell befand sich darauf, auf dem ich in eine Decke gewickelt lag.

Ich bin Nodóschu Tschoòschtschi. Das heißt: An Einem Schönen Tage Entstanden. Offiziell bin ich Intschu Tschunas Tochter. Klekij Petra hat mich erzogen und Deutsch gelehrt.

So stellte sich Ndschotschi, wie sie Karl May nennt, vor. Sie war groß, 20 Jahre alt, kräftig gebaut, hatte ebenmäßige Gesichtszüge und feurig glühende Augen. Stets war sie gerüstet: Um den Hals hing am Band von Büffeldarm ein Dolch mit breiter Klinge aus Obsidian. Am Arm trug sie einen Schild von Schlangenleder. Bald fand ich heraus, dass sie klug, leidenschaftlich und von schnellem Entschluss war und sich in Künsten auskannte, die bei uns Männer ausüben. Wie ich mich am eigenen Leibe überzeugte, glich sie der Aphrodite; nie legte sie die Waffen ab.

Ich bin Chaniaschù, offiziell Ndschotschis und Winnetous Mutter, sprach die ältere der beiden.

Wenn Ndschotschi schön war wie der Tag, war Chaniaschù hässlich wie die Nacht. 35 Jahre älter als Ndschotschi, wirkte sie mit dem krummen, buckligen Rücken und den verarbeiteten Händen wie 70. Sie war klug, trotz ihrer Gebrechen fast ebenso geschickt wie Ndschotschi, und, ich erhielt genug Gelegenheit, dies festzustellen, kaum weniger sinnlich. Das Leben hatte ihr, außer ihrem Geliebten Klekij Petra, wenig Schönes geboten; sie nahm es mit einem Lächeln. Ihren Namen trug sie zurecht; er bedeutet: Anders als gedacht.

Je mehr Erben ein Apachenhäuptling hat, desto größer ist sein Ruhm. So müht sich jeder um viele Kinder. Nun sind die Männer selten zu Haus, und einige büßen ihre Männlichkeit in der Schlacht an einen Feind ein, sind also unfruchtbar. Um dennoch zu Erben zu kommen, befehlen sie ihren Sklaven, ihren Squaws Kinder zu schenken. Ndschotschi war offiziell Winnetous Schwester, weil der Kriegshäuptling sie als Tochter angenommen hatte. Winnetou galt als Intschu Tschunas Kind. Seinen wirklichen Vater kannte Winnetou am allerwenigsten.

Wo bin ich?, fragte ich stockend.

Im Grabe Klekij Petras, antwortete Ndschotschi, eine Ehre, die Winnetou befohlen hat, weil er bei Dir Klekij Petras Notizen gefunden hat.

Meine Sachen, rief ich aus.

Sind gut versteckt, antwortete Chaniaschù, Du wirst damit sterben.

Verzweifelt rief ich: Ich will leben!

Das wirst Du noch ein paar Monate, antwortete Chaniaschù ruhig, Du sollst gesund werden. Die Krieger wollen bei Deiner Marter ihren Spaß haben, und wir vorher unser Vergnügen.

Chaniaschù, ich bin unschuldig und kann es beweisen.

Einmischung in die Politik, fiel Ndschotschi streng ein, können wir uns nicht leisten. Dein Schicksal entscheidet sich am Marterpfahl.

Stimme im Gestein

In der nächsten Woche pflegten mich Chaniaschù und Ndschotschi hingebungsvoll. Winnetou hatte mich halb totgeschlagen, Ratlers Schuss hatte die Lunge geritzt. Seither bin ich in feuchter Luft, wie hier im Zuchthaus, kurzatmig.

Es ist ein Wunder, dass ich mich erholte. Doch anstatt dankbar zu sein, dachte ich an die Qualen am Marterpfahl, welche meiner harrten.

Am achten Tag nach meinem Erwachen verließen mich die beiden Frauen, als ich schlief. Nun war ich wach und hörte durch die Felsen:

Pferdehaare ... das Greenhorn ... in einer Feldflasche.

Dann sprach jemand, dessen Stimme ich nur erahnte.

Nun setzte der vorige Sprecher wieder ein: Wer sucht schon, was er hat?

Ich wusste Bescheid — und erschrak.

Politik

Wo sind meine Sachen?, fragte ich fordernd, als Ndschotschi an einem Seil herunterkam, Ratler hat Tangua gesagt, dass Winnetous Haar in einer Feldflasche ist. Es muss in meiner sein. Tangua will einem Pferde Haare entnehmen und diese als Winnetous Haar in Pidas Feldflasche präsentieren. Er rechnet damit, dass man ihm glaubt, wenn er behauptet, Pida habe Winnetou befreit.

Ratler schleift in der Nachbarhöhle Steine mit Sand ab, meinte Ndschotschi, Du könntest ihn gehört haben. Erzähl mir, wie Du Winnetou befreit hast.

Ndschotschi hörte aufmerksam zu. Hier geht's um Politik, sagte sie schließlich, ich soll Pidas Squaw werden.

Ich schrie auf: Vom Sohn Eures Erzfeindes? Wieso?

Tausend Federn und Intschu Tschuna haben das beschlossen. Es soll Friedensverhandlungen mit den Kiowas geben. Tangua will uns danach im Kampf gegen die Bleichgesichter unterstützen. Den Frieden soll eine Häuptlingsverbindung besiegeln. Nein sagen kann ich mir nicht leisten. Wenn ich Pidas Squaw bin, kann mein Sohn Häuptling aller Kiowas und Apachen werden.

Und ich soll am Marterpfahl krepieren!

Um den Tod am Pfahl wirst Du kaum herumkommen, antwortete Ndschotschi sachlich und setzte fort: Winnetou und Der Schlafende Bär haben sich nicht durchsetzen können.

Womit? Ruhig antwortete sie: Dass Ihr eine faire Verhandlung bekommt. Das Urteil steht fest.

Ihr seid nicht anders als wir Weißen! Doch es gibt eine Chance, meinte Ndschotschi. Welche?, fragte ich.

Kannst Du Klekij Petras Buch lesen? Ja, sagte ich knapp. Offensichtlich hatte Ndschotschi mit dieser Antwort gerechnet, denn sofort setzte sie mir ihren Plan auseinander:

Bestimmt hat er darin etwas über Intschu Tschuna, sich selbst und mich aufgezeichnet. Bring Chaniaschù bei, es zu lesen und in unsere Sprache zu übersetzen. Ich schlage Dem Schlafenden Bären vor, sie zur Squaw zu nehmen.

Das wird dem nicht einfallen warf ich resigniert ein. Doch Ndschotschi ließ sich nicht beirren:

Dann wohne ich ihm in den nächsten 2 Wochen bei. Er ist schon lange hinter mir her, aber heiraten wollte er nie. Wenn er Chaniaschù nimmt, steht er als großmütig da. Bei ihrer Hässlichkeit wird ihm keiner übelnehmen, dass er hinter jeder jungen Squaw und jedem schönen Knaben herläuft. Gerade hat er eine Liaison mit Winnetou.

Diese Wilden trieben es schlimmer, als ich mir vorgestellt hatte. Ndschotschi war versessen darauf, mich zu retten. Doch würde sie es schaffen? Um ihr zu helfen, beschloss ich, Chaniaschù einen Schnellkurs in Stenographie zu verpassen. Inzwischen sprach Ndschotschi weiter:

Ich sorge dafür, dass Du noch zwei Monate lebst. Das wird nicht leicht. Aber jetzt genug gegrübelt. Genießen wir das Leben; damit ist's für mich vorbei, wenn ich Pidas Squaw bin. Carpe diem, sagt man bei Euch.

Ndschotschi berührte mich. Doch an diesem Tage geschah nichts, dessen ich mich hätte schämen müssen.

Fausttraining am Modell

Am nächsten Tag hatte Chaniaschù scheinbar ihr Deutsch verlernt. Wenn Karl May behauptet, die Sprache der Apachen sei leicht, muss er ein Sprachgenie sein. Mit Weisers Notizen als Lehrbuch büffelte ich härter als in der Schule — mit mäßigem Erfolg.

Chaniaschù dagegen beherrschte nach 7 Wochen die deutsche Stenographie, die ich mir als Schüler angeeignet hatte, um mit Schreibarbeiten einige Groschen zu verdienen. Daneben brachte sie mir Grundlagen ihrer Muttersprache bei, dem Kiowa. Intschu Tschuna hatte sie nach dem Überfall auf ein Dorf der Kiowas verschleppt.

Nach acht Wochen kam Ndschotschi zurück, gefolgt von drei Kriegern. Alle waren voll bepackt mit Wachs.

Ndschotschi schnaufte: Der Schlafende Bär hat mich die ganze Zeit bei sich behalten. Und jetzt gibt 's keine Ruhe, denn wir müssen das Grab mit Wachs ausstreichen. Wie weit seid Ihr gekommen?

Chaniaschù liest Klekij Petras Buch besser als ich, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Chaniaschù meinte skeptisch: Kalle spricht unsere Sprache besser als Klekij Petra nach 5 Jahren. Ob das für den Prozess reicht?

Wir strichen das Innere des Grabes vom Boden bis zur Decke mit Wachs aus. Auch den Eingang verschlossen wir.

sollen wir Opfer für den Geist Klekij Petras werden?, fragte ich. Tote bekommen ihre Gaben, meinte Ndschotschi, wenn sie im Grabe liegen. Wenn wir nicht zumachen, ersaufen wir.

Kaum waren wir fertig, begann ein Schneesturm zu wüten. Wir atmeten so ruhig wie möglich, um Luft zu sparen. Erst am vierten Tage konnten wir das Grab öffnen.

über die folgenden drei Tage gebietet der Anstand schweigen.

Die nächste Woche war zusätzlich mit sportlichen Übungen gefüllt. Chaniaschù fertigte eine Wachsfigur Intschu Tschunas, Ndschotschi eine Winnetous an. Die Figuren waren anatomisch perfekt gearbeitet.

Sicher wirst Du mit den beiden kämpfen, meinte Ndschotschi, Du musst ihre empfindlichen Stellen kennen und richtig zuschlagen. Das üben wir am Modell.

Tausendmal setzte ich meine Hiebe an, tausendmal besserte Ndschotschi die Figuren aus. Chaniaschù war verschwunden.

11. Der Prozess

Zu viel der Ehre!

Um Mitternacht erwachte ich angstschlotternd. Im Traum war ich am Marterpfahl gestanden. Apachen und Kiowas hatten mich unter Trommelwirbeln umtanzt. Tangua hatte mich mit hähmischem Grinsen skalpiert. Dann war Winnetou mit feierlicher Miene erschienen, hatte ein Stück Fleisch aus meiner Brust geschnitten und es verzehrt.

Alles Schöne vergeht, sprach Chaniaschù ruhig.

Was ist da zu hören?, fragte ich furchtsam.

Totentrommeln. Übermorgen bist Du im Himmel.

Ich würgte an Tränen. Noch darfst Du weinen, sagte Chaniaschù, mach uns am Pfahl keine Schande!

Ndschotschi erwachte, hörte mein Jammern, die lauter werdenden Trommeln und presste schluchzend hervor: Kalle, keinen Schmerzenslaut am Pfahl. Wenn Du stirbst, werde ich mit Dir verheiratet und kann als Witwe einen Hausstand gründen. Das haben Der Schlafende Bär und ich abgemacht. Machst Du uns aber Schande, muss ich mit dem hirnlosen Büffel Pida leben. Die Kiowas bringen gerade den Brautpreis!

Du wolltest, fuhr ich sie an, dass Dein Sohn Häuptling der Apachen und Kiowas wird!

Nun löste sie sich in Tränen auf.

Ndschotschi hatte alles getan, um wenigstens meine Ehre zu retten. Als Mann der Häuptlingstochter würde ich mehr gelten denn als bleichgesichtiger Hund. Doch was nützt die Würde ohne Leben?

Warum nach Weibern verschmachten! Winnetou erschien und deklamierte: Keine Kraft bleibt dem Krieger, wenn erweicht sie mit Weinen und Weh selbst den kühnsten im Kampfe!

Du musst ja nicht, meinte Chaniaschù, wenn Du die Squaws nicht magst. Tu nicht so feierlich. Shatterhand versteht alles und merkt, wie Du Dich mit Deinem Schwulst blamierst!

Die Squaw schweige im Grabe, sprach Winnetou.

Nun wandte er sich an mich: Das Bleichgesicht Shatterhand hole seine Habe aus der mit dem Zeichen der Faust versehenen Kammer.

Eine Stelle in der Wand über meinem Lager war mit dem Symbol für Faust versehen. Ich zerschlug den Lehmziegel, der eine Kammer verschloss. Diese enthielt: die gewaschene Uniform, den Bärentöter, dessen Lauf mit Wachs verstopft war, und eine versiegelte Feldflasche.

Als ich mich angekleidet hatte, gab mir Chaniaschù meine Taschenuhr. Ich habe sie gereinigt und nach dem Sonnenstand gestellt, erklärte sie. Die Uhr lief und zeigte 12:15 Uhr.

Ich schöpfte wieder Hoffnung, denn ich hatte den Beweis, Winnetou befreit zu haben. Doch noch bevor ich mir dessen recht bewusst wurde, sprach der Apache: Winnetou erdachte Shatterhands Marter, kämpfte aber vergeblich darum, diese erst anzuwenden, nachdem Shatterhands Schuld erwiesen sei.

Der Apache und ich verließen schweigend die Gruft.

Es war bitter kalt und schneite. Trotzdem klebte mein Hemd an mir. "Wenn ich jetzt schon vor Angst schwitze", dachte ich, "wie soll das am Marterpfahl werden?"

Wir erreichten einen See mit 600 m Durchmesser. Die Ufer fielen fast überall senkrecht ab, der Wasserstand lag am Anfang bei über 90 m, in der Mitte dagegen nur bei 60 m. Von Osten stürzte über einen 100 m hohen Wasserfall ein Fluss in den See, im Westen zwengte sich das Wasser durch einen kaum einen Meter breiten Gang. Wir befanden uns am nördlichen Ufer. Am südlichen gab es einen Strand, und 500 m landeinwärts befand sich eine riesige, alleinstehende amerikanische Eiche. Als wir ankamen, war Neumond und kaum etwas zu sehen. Doch in den folgenden Tagen gab es Gelegenheit dazu.

Am Ufer standen 3 Bäume in einer Reihe; jeder vom nächsten 5 m entfernt. Der linke und rechte waren gut gewachsene ahornbäume, der mittlere eine uralte Zeder. Mit ihren Wurzeln im Wasser stand eine Erle, versetzt zwischen dem rechten und mittleren Baum der Reihe. Jeder Baum trug das Zeichen der Meskaleros eingekerbt, einen Adler mit vier Schwingen, je zwei übereinander. Hieroglyphenähnliche Zeichen standen unter dem Stammessymbol. Nur die Erle, der jüngste Baum, trug keine Zeichen.

Shatterhand gehe zur Zeder und stelle sich auf die Plattform.

Vor dem Baum lag ein Stein von einem Meter Höhe und 80 cm breiter Fläche. Ich stellte mich darauf, Winnetou band meine Beine an der Zeder fest und ging.

Charly, sagte Sam, der an die Erle gefesselt wurde, Dir geben sie den Ehrenplatz mit 'nem Kreuz und dem Kopf eines Heiligen über Dir.

Ein großer Indianer mit Häuptlingsschmuck sagte: Der Kerl, der heute vor 300 Jahren an dieser Zeder verreckt ist, am achten Februar 1587, war Juan Vargas de las Tortillas, Bischof von Mexico. Er hat die Apachen um 50 Musketen betrogen. Damals war diese Zeder 50 Jahre alt. Heute kommen Sie daran, Señor Shatterhand. Machen Sie Ihrem Gott weniger Schande. Der Bischof hat geflennt wie 100 Squaws und unsere Geister um Gnade angewinselt. Sie, Señor Hawkins, weihen einen neuen Marterpfahl ein, der nach Ihnen benannt wird.

Zu viel der Ehre, Häuptling Der Schlafende Bär, entgegnete Sam.

Dick und Will wurden hergetrieben. Sie waren gleich Sam abgemagert.

Du siehst ja toll aus, Charly, begrüßte mich Will, als er links von mir angebunden wurde. Die haben uns Silbererz schmelzen und reinigen lassen. Und dann gab's 'nen Fraß! Kaktus und Gräser! Ist egal. Heute gehen wir übern Jordan.

Damit, meinte Sam, musst Du bis übermorgen warten, hat Winnetou gesagt. Wollen uns besonders ehren, die Herren Apachen, wenn ich mich nicht irre.

Unkraut vergeht nicht

Tangua kam mit seinen Kiowas und rief vergnügt: Schüler Shatterhand, nach Deinem Tod werde ich Ndschotschis Schwiegervater!

Nichts da, blaffte ich. Er bemerkte amüsiert: Die Marter, die Winnetou sich für Dich ausgedacht hat, schafft kein Roter ohne Schmerzenslaut.

Was für ein Geschäft hast Du mit Ratler gemacht, Tangua?, fragte ich bitter, Wir werden gemartert, und er schleift seelenruhig Steine.

Señores, sagte Der Schlafende Bär, Der kommt zuerst dran. Er wird in einem Whiskeyfass gemartert. Meine Idee!

Intschu Tschuna erschien mit vielen Apachen. Sie schleppten Ratler herbei, in einem Whiskeyfass. Für die Beine hatte man Löcher gebohrt und diese dort hineingezwengt. Der Diogenes wurde an den Beinlöchern etwa einen Meter über der Erde zwischen Sam und mir aufgehengt. Da baumelte und grinste er.

Stirbst als Hampelmann, meinte Sam.

Geschieht Dir recht, dass Du verreckst, brummte Dick.

Das Totenhemd hat keine Taschen, ergänzte Will.

Greenhorn, feixte Ratler, Dein Sprüchlein. Du hast Dich von den Apachenweibern verwöhnen lassen. — In jeder Beziehung; man hat die Vögel deutlich zwitschern hören.

Ruhe! Intschu Tschuna brüllte. Es wurde still.

Hat Ratler auf Dich geschossen, Winnetou?, fragte er. Mehrmals, begann dieser.

Der Schlafende Bär warf ein: Die Bleichgesichter Sam, Will und Dick können mit mir bezeugen, wie Ratler auf Winnetou schoss.

Verräter, fauchte der Kriegshäuptling, du gibst den Bleichgesichtern Vertrauensstellungen und nimmst sie sogar als Zeugen!

Das ist eine Beleidigung, rief Der Schlafende Bär, ich fordere Genugtuung!

Ein uralter Mann mit einem Hut aus gut 100 Federn auf dem Haupt kam auf einen dicken Stab gestützt herzu.

Wer ist der Älteste?, fragte er.

Tausend Federn! Alle Krieger riefen im Chor.

Wenn Häuptlinge gleichen Ranges streiten, wer schlichtet? Der Älteste!, ertönte die Antwort der Krieger.

So Merkt auf, wie Tausend Federn Recht spricht!

Hat das Bleichgesicht Ratler auf Winnetou gezielt, bevor Klekij Petra starb?, fragte er, Winnetou, schwöre bei Manitu!

Winnetou schwört bei Manitu, dem alles Üble Ahndenden: 24 Tage vor dem Tode Klekij Petras, 4 Wegstunden zu Fuß nördlich des Lagers der Bleichgesichter, die Sonne ging gerade auf, fielen zwei Schüsse auf den einherschreitenden Apachen. Winnetou wäre gestorben, hätte er sich nicht fallenlassen. Er erkannte die Stimme der Büchse wieder, als das Bleichgesicht Ratler am Tage der Gefangennahme der Weißen auf ihn und Shatterhand schoss. Winnetou hat gesprochen. Hough.

Gesehen hast Du mich nicht, warf Ratler ein. Frech fragte er: Was wollt Ihr mit einem so Kurzsichtigen beweisen?

Das Gesicht des Apachen versteinerte, als die Kiowas schallend lachten. Bei Indianern steigt ein Gefangener in der Achtung, der seine Bedrenger verspottet. Winnetou war kurzsichtig, seit ihn Intschu Tschuna in einem Wutanfall schwer aufs Haupt geschlagen hatte.

Tausend Federn fragte weiter: Hat das Bleichgesicht Shatterhand Ratler angegriffen, als dieser es zu töten suchte? Nein, denn Shatterhand war in Winnetous Hand. Winnetou hörte zwei Schüsse, antwortete dieser, einer traf ihn selbst am Hinterteil, der andere traf Shatterhand in die Brust.

Ratler trumpfte auf: Wie wolltest Du bei dem Lärm erkennen, ob meine Büchse zweimal sprach? Du erzählst Märchen, weil Du mich martern willst. Hättest Du Mut, würdest Du mich 'ne Woche hochpäppeln und dann mit mir boxen!

Die Kiowas klatschten Beifall, und die Apachen brummten anerkennend.

Tausend Federn fragte: Ist durch die Büchse Ratlers ein Bleichgesicht zu Tode gekommen? Ja, sprach Winnetou, ein dem Feuerwasser verfallenes. Der Schuss kam aus kurzem Abstand und durchschlug dessen Nackenwirbel. Winnetou entnahm ihm die Kugel und verglich diese mit jener, welche der Medizinmann aus Winnetous Wunde zog. Beide Kugeln stammen aus jener Büchse, deren Besitzer Ratler ist.

Ratler meinte wegwerfend: Das Greenhorn hat geschossen, als es einsah, dass man dem Bären mit 'nem Messer nicht beikommt. Weil der Kerl nicht schießen kann, hat er aus Versehen Howard getötet.

Voller Zorn rief ich: belasten Sie Ihre Seele nicht mit weiteren Lügen. Sie werden bald vor dem ewigen Richter stehen!

Vor wem?, fragte Ratler — auf Deutsch. Keiner hatte geahnt, dass er dieser Sprache mächtig war oder wusste, woher er diese beherrschte.

Jeder muss auf seine Waffe aufpassen.

Der Schlafende Bär spricht wahr, erklärte Tausend Federn und fuhr fort:

Zweimal suchte das Bleichgesicht Ratler, einen Krieger der Apachen hinterrücks zu meucheln. Einen Bruder des eigenen Volkes mordete es. Wegen jeder dieser Taten ist es des Todes.

Hough! Alle Krieger riefen im Chor.

Da seine Taten feige waren, schloss Tausend Federn, sei sein Tod schmachvoll.

Hough! Die Roten bestätigten es einmütig.

Knaben, sprach Tausend Federn, bindet das Fass los!

Und so geschah es auch. Ratler fiel samt Fass ins Wasser. Dort hatte er genug zu tun, sich aufrecht zu halten.

Zielt mit Euren Bögen auf ihn, und treibt ihn in die Mitte des Sees, sprach Tausend Federn.

Die Knaben gaben ihr Bestes.

Jetzt geht das schon 3 Stunden lang so, bemerkte ich. Es war bitter kalt, und es ging auf 4:00 Uhr zu.

Alles läuft nach Plan, brummte Der Schlafende Bär.

Kaum hatte er ausgesprochen, begann es in Mitten des Sees zu brodeln. Dort gab es eine heiße Quelle, die immer wieder ihre kochenden Fluten auswarf. Die Knaben hatten Ratler genau dorthin getrieben. Nun brüllte Nolen Ratler vor Schmerz. Obwohl er mir übel mitgespielt hatte, tat er mir aufrichtig Leid.

Der wird erkocht, wenn ich mich nicht irre, kommentierte Sam die Lage.

Chaiadí, Tomahawk weg! Intschu Tschuna hatte das zu dem kleinsten Knaben gesagt. Doch er nahm Anlauf und warf aus über 100 m Entfernung. Der Tomahawk flog und traf das Fass genau zwischen den Beinlöchern. Es zerbrach, und...

Hrrm! Unzufrieden knurrte Der Schlafende Bär. Die bösen Geister sind mit Ratler im Bunde!

Ich schaute hin, Sternenlicht gestattete es, und sah die Teile des Fasses schwimmen. Von Ratler keine Spur. Jetzt erst ergossen sich meterhohe Fontänen kochenden Wassers in den See.

Er wird ertrunken sein, meinte Intschu Tschuna. Aber Du, Chaiadí, bekommst Deine Strafe!

Er packte das arme Würstchen und prügelte es. Bald begann er zu wimmern, und desto heftiger schlug Intschu Tschuna zu.

Das Bleichgesicht Ratler ist nicht tot. Im Laufe der nächsten dreizehn Winter werden wir es wieder gefangen nehmen. Jedem, der mitmacht, wiege ich Gold doppelt in Obsidian auf, wenn ich verliere. Der Schlafende Bär, Der Häuptling aller Apachen im Frieden, hat gesprochen. Hough!

Das entsprach einer Wettquote von 10 : 1, denn bei den Apachen ist Obsidian, das für heilige Waffen gebraucht wird, fünfmal so viel wert wie Gold. 500 Apachen und 200 Kiowas wetteten gegen ihn. Sie wollten auf Kosten des Friedenshäuptlings reich werden. Jeder setzte mindestens 30 Lasten.

Die Last ist die Grundeinheit des Tauschsystems bei den Urvölkern im Süden der USA und im Norden Mexikos. Eine Last sind 20 kg Mais, so viel, wie eine vierköpfige Familie in einer Woche verzehrt. Je wertvoller das Material ist, desto geringer fällt das Gewicht der Last aus. In Gold beträgt es 75, in Obsidian 15 g.

56.017 Lasten standen gegen Den Schlafenden Bären. Natürlich wettete auch Intschu Tschuna mit. Er versetzte sein bestes Pferd. So wurde Chaiadí, was Häschen heißt, von seinem Peiniger erlöst.

Wenn ich könnte, sagte ich, würde ich auf Ihrer Seite wetten, Herr Schlafender Bär. Soeben hatte er Haus und Hof mehrfach verwettet. Ich fuhr fort: Entweder ich komme hier lebend raus und werde reich, oder ich sterbe, und was nützt mir dann meine Habe?

Da machen wir auch mit! Unkraut vergeht nicht.

Sam rief es, Dick und Will stimmten zu.

Ich nehme Sie beim Wort, Señores, sagte Der Schlafende Bär, Werden Sie freigesprochen, gehören Sie mir, samt Ihrem Besitz. Sollte ich verlieren, kann ich mit Ihnen mancherlei bezahlen.

Liebe à la Meskalero

Beginnt mit der Marter bei Shatterhand, rief Intschu Tschuna.

Die Krieger umtanzten uns und warfen mit Messern nach mir, stets haarscharf vorbei. Ich zuckte mit keiner Wimper. Dann stachen sie mich mit Messern, aber nicht tief. Ich spürte es kaum, obwohl ich blutete. An Sam, Dick und Will warfen sie Messer vorbei. Schließlich drückten die Apachen Fackeln an mir aus. Das musste schmerzen, aber meine Haut wurde immer stumpfer. Nun begriff ich: Chaniaschù und Ndschotschi hatten meine Kleidung beim Waschen mit einem Schmerzmittel getränkt.

"Ndschotschis Idee", dachte ich, "Liebe à la Meskalero. Aber, Gott sei's geklagt: ich wäre gern mit ihr am Leben geblieben!"

Pause, kommandierte Der Schlafende Bär, sonst ist Señor Shatterhand mittags tot. Auf Jede Frage Eine Antwort, versorge die Wunden!

Dazu kam der Medizinmann nicht. Tangua sprang auf meine Plattform und flüsterte:

Jetzt machst Du Geschäftchen. Als es um den Skalp des Kriegshäuptlings ging, wolltest Du nicht. Hättest Du damals mitgemacht, hättest Du Skalp und Leben behalten. Nun verlierst Du beides.

Ich bemühte mich, nicht zu schreien, weil ich an den Bischof und vor allem an Ndschotschi dachte, die ich nicht enttäuschen wollte. Gott sei Dank wurde ich schnell ohnmächtig.

Brausender Beifall weckte mich. Winnetou stand vor mir auf der Plattform.

Keinen Schmerzenslaut! Hast 'nen Riesen Eindruck auf die Apachen gemacht, Charly. Skalpieren gehört zum fünften Martergrad, sagte Will.

Sam ergänzte: Winnetou näht gerade Deinen Skalp wieder an, denn der gehört ihm. Doch Intschu Tschuna hat ihn an Tangua verkauft, um Wettschulden zu bezahlen, und deshalb hat Tangua Dir den Skalp abgenommen, wenn ich mich nicht irre.

Tausend Federn wandte sich an die Krieger und verkündete:

Intschu Tschuna, der oberste Häuptling aller Apachen im Kriege, hat die Ordnungen der Marter außer Acht gelassen, denn Winnetou, dem Sohn Intschu Tschunas, stand als Sieger über das Bleichgesicht Shatterhand dessen Skalp zu. Darum begehrt Orró Ejéne, der Häuptling aller Apachen im Frieden, dass Intschu Tschuna abgesetzt werde.

Tausend Federn beruft wegen dieser Sache den Rat der Häuptlinge nach alter Ordnung ein. Er mag ebenso über die Zukunft der Apachen und Kiowas beschließen.

Wegen seiner Taten in der Schlacht mit den Bleichgesichtern soll Winnetou, der Sohn Intschu Tschunas, heute erstmals in diesem Rate sprechen. Tangua, der Häuptling aller Kiowas, mag ihr zuhören. Das Bleichgesicht Shatterhand lerne, indem wir dessen Standfestigkeit ehren, die Gerechtigkeit der Apachen kennen und sehe ihr zu.

Tausend Federn, der Älteste der Apachen und Hüter ihrer heiligen Ordnungen, hat gesprochen. Hough.

Rat nach Alter Ordnung

Bald darauf wurde ich an einen Baum gebunden. Die Häuptlinge saßen am Feuer, direkt vor mir Der Schlafende Bär.

Bei einem Rat nach alter Ordnung redet jeder so schön wie möglich. Man berät, bis Einigkeit herrscht.

Tausend Federn eröffnete den Reigen der Reden, indem er ein Epos in Versform zu improvisieren suchte. Doch dazu muss man die Regeln des Dichtens und Singens beherrschen. Das ist meist Sache der Squaws. Sie arbeiten die Gesänge aus und bringen diese ihren Söhnen oder Männern bei, die genug mit dem Vortrag zu tun haben.

Nur Der Schlafende Bär hatte sich mit Ndschotschi gründlich vorbereitet. Winnetou, ein guter Sänger, improvisierte ein schlichtes Lied. Beide Beiträge gebe ich wieder.

Dem Ältesten folgte pflichtgemäß Intschu Tschuna. Zornig brüllte er: Schwatzen wir nicht unnütz! Machen wir Frieden mit den Kiowas und rotten wir die Bleichgesichter aus!

Währenddessen weckte ich Den Schlafenden Bären, der nun zu sprechen hatte. Er war bei den Gesängen von Tausend Federn eingenickt. Um ihn nicht bloßzustellen, mimte ich einen Schmerzanfall und trat ihn mit zuckenden Füßen. Schmerzen hatte ich genug. Der Getretene war sofort hell wach, vernahm die Worte Intschu Tschunas und begann:

Einen Helden nennen Die Apachen Intschu Tschuna: ob der Kühnheit seiner Taten, der Macht der durch ihn besiegten Stämme sowie des Ruhmes seiner Kinder.

Nun verdunkeln schwarze Wolken seinen Ruf. Als Ehrenmann gibt Der Schlafende Bär ihm die Möglichkeit, für sich zu zeugen. Zeigt sich, dass die Neider Intschu Tschunas mit gespaltener Zunge sprachen, so werde ich, Der Schlafende Bär, sie zum Schweigen bringen. Der Häuptling des Friedens aller Apachen hat gesprochen. Hough!

Intschu Tschuna spricht stets die Wahrheit, antwortete dieser, Der Schlafende Bär mag fragen.

Sogleich nahm der Friedenshäuptling seine Rede auf:

Wir schätzen das Feuerwasser, das Klekij Petra uns herzustellen lehrte. In Maßen genossen, steigert es unsere Kraft und schützt vor dem Verdursten.

Trinkt Intschu Tschuna nicht vor jedem Kampf eine große Menge davon? Seine Gegner fragen sich, ob der Ruhm seiner Taten nicht dem Brauer gebühre.

Gebührt der Siegesruhm eines Kriegers der Mutter, die ihn gesäugt hat?, höhnte Intschu Tschuna.

Der Schlafende Bär entgegnete:

Jeder Mann benötigte als Kind die fürsorgende Mutter und bedarf erwachsen der liebenden Squaw. Doch die Muttermilch braucht der Krieger nicht, und ohne Squaw sind Heldentaten möglich. Welche Ruhmestat hat Intschu Tschuna ohne das Feuerwasser Klekij Petras vollbracht?

Der Schlafende Bär weiß nur von einer: der Gefangennahme des genannten Krüppels.

Der Schlafende Bär erlebe im Kampfe Intschu Tschunas Kraft, sprach der Kriegshäuptling erregt.

Der Angesprochene fuhr ruhig fort:

Und die Siege unseres Kriegshäuptlings?

Vierzehnmal führte er uns in den Krieg. Stets mussten wir mehr ausgeben, als wir einnahmen. Mangelt es Intschu Tschuna an Klugheit?

Nützten uns auch seine Heldentaten nichts, so sind doch edle Kinder bei ihm. Ist es nicht eine der größten Taten, edle Nachkommen heranzubilden?

Doch sind Winnetou und Ndschotschi wirklich Kinder unseres Kriegshäuptlings?

Der Schlafende Bär, sprach Tausend Federn, lege Beweise für diese Anschuldigungen vor.

Der angesprochene antwortete:

Leider ist mein Zeuge tot und kann vor dem Rat nicht erscheinen. — Tot durch unseren Kriegshäuptling!

Intschu Tschuna streckte den Friedenshäuptling nieder.

Haltet ihn zurück, sagte Tausend Federn.

7 starke Häuptlinge rissen den Rasenden vom Schlafenden Bären fort und brachten ihn an seinen Platz.

Als es ruhig wurde, setzte der Redner fort:

Meinen Zeugen, Klekij Petra, kennt Ihr. Dass unser aller Kriegshäuptling ihn tötete, kann Winnetou bezeugen.

Klekij Petra bestätigt die Wahrheit der Behauptungen der Gegner Intschu Tschunas. Er hinterließ zwei Aufzeichnungen. Eine fand ich im Raume Chaniaschùs, die andere fand Winnetou beim Bleichgesicht Shatterhand.

Keiner konnte diese Aufzeichnungen entziffern, außer dem genannten Weißen. Ihm gab ich die Schrift, welche Winnetou bei ihm gefunden hatte, und befahl ihm, sie Chaniaschù, die ich zur Squaw zu nehmen gedenke, lesen zu lehren. Er tat es. Als Chaniaschù die Schrift lesen konnte, gab ich ihr die zweite, und sie las sie mir flüssig vor. Shatterhand hat sich als ehrlich erwiesen. Sicher vermachte Klekij Petra ihm deshalb seine Aufzeichnungen. Der Schlafende Bär beweist es. Seht her!

Er reichte das Buch aus Klekij Petras Brusttasche Tausend Federn, die erste Seite aufgeschlagen. Der schaute es an, nickte und gab es an die anderen weiter. Sie inspizierten es und nickten alle. Der Friedenshäuptling nahm das Buch wieder an sich und das Wort wieder auf:

Auf den letzten Seiten der zweiten Aufzeichnung schildert Klekij Petra, wie er 40 Jahre lang bei uns lebte. Ihn rufe ich, Der Schlafende Bär, wegen seiner Verdienste zum Zeugen.

Erinnert Euch: er zeigte uns die Herstellung und den Gebrauch der Spinnmaschine. Er lehrte uns, Feuerwasser herzustellen, das den Mut stärkt, den Durst löscht und von jedermann in Maßen getrunken werden kann, ohne dass es den Geist vernebelt. Er half uns, das Geld der Bleichgesichter herzustellen, und, seine größte Tat, er schuf durch seine Schriften ein Andenken der Apachen, welches nicht einmal die Bleichgesichter auszurotten vermögen.

Klekij Petra sagt uns genau, wie viel wir durch Intschu Tschunas 14 Siege verloren: 56.014 Lasten. Das stimmt genau mit den Berechnungen unseres Medizinmannes, Auf Jede Frage Eine Antwort, überein, wie dieser bestätigen wird.

Der Angesprochene nickte, der Friedenshäuptling sprach weiter:

Und wegen Intschu Tschunas Kindern?

Winnetous Vater ist Tangua.

Heute vor 20 Jahren fing Intschu Tschuna ihn im Kampf. Um ihn zu demütigen, zwang er ihn zum Beilager mit der hässlichsten Squaw, seiner Sklavin Chaniaschù. Klekij Petra hatte versucht, das zu verhindern; Intschu Tschuna hatte ihn darauf gefesselt und gezwungen, der Demütigung zuzusehen.

Nie hat Intschu Tschuna Winnetou erzogen; Klekij Petra und Chaniaschù taten es.

Stopft ihm das Maul!

Tangua brüllte. Keiner beachtete ihn.

Sprach Der Schlafende Bär die Wahrheit, Intschu Tschuna?, fragte Tausend Federn, lügt Intschu Tschuna, so wird Klekij Petras Geist uns verfluchen.

Stumm nickte der Kriegshäuptling.

Der Schlafende Bär führte seine Rede zu Ende:

Und Ndschotschi?

Ihre Mutter ist Chaniaschù, ihr Vater Klekij Petra selbst. Sie gehört Intschu Tschuna; wenn er beschließt, sie zu seiner Tochter zu machen, spricht nichts dagegen.

Winnetous Vater aber ist unser Feind. Nach unseren Gesetzen ist Winnetou ein Sklave von Geburt, der sich nur durch Heldentaten für die Apachen befreien kann.

Was müssen wir von unserem Kriegshäuptling halten, der sich mit fremden Federn schmückt, dessen eines Kind nur rein rechtlich das seine ist, dessen anderes aber er sich erschwindelte, vom Sklaven des Feuerwassers, der berauscht jenen tötete, für welchen ich, Der Schlafende Bär, beantrage, dass die Volksversammlung ihm im Nachhinein Gerechtigkeit zuteilwerden lasse, indem sie ihn zum Häuptling kürt?

Schnelle Rache für Klekij Petra verlangt unser Gesetz. Setzen wir Intschu Tschuna ab, und machen wir ihm den Prozess. Sorgen wir dafür, dass Klekij Petras Einfluss bei uns bleibe. Darum möge die Volksversammlung Winnetou zum Kriegshäuptling wählen, dessen Ziehvater Klekij Petra ist. Winnetou hat sich mit so vielen Heldentaten ausgezeichnet, dass er zumindest die Freiheit verdient hat.

Die Apachen sind stolz auf ihr Gesetz. Hört auf den Rat Eures Häuptlings im Frieden: übt Gerechtigkeit, Häuptlinge der Apachen: Intschu Tschuna zur Strafe und Klekij Petra zur Ehre!

Winnetou raufte sich die Haare. Dass Tangua sein Vater war, wusste er bis eben nicht.

Ein anderer Häuptling sprang auf. Das kleine, dünne Männchen wirkte durch die übertrieben antrainierten Arm- und Beinmuskeln lächerlich. Er ballte die Faust und rief mitten in die Menge:

"Wozu haben wir", denkt Ihr doch, "den Dümmsten zum Kriegshäuptling gewählt? Der lässt uns in Ruhe herrschen!"

Doch ich, Schedaní, Häuptling vom Stamme der Naìnon, sage: Einen Kriegshäuptling mit dem Geist eines wütenden Büffels können wir uns nicht leisten, seit uns die Bleichgesichter in unseren Grenzen bedrängen. Welch ein schwaches Oberhaupt Intschu Tschuna ist, hat uns Der Schlafende Bär geschildert.

Setzt ab den Säufer, den Unbeherrschten, den Tölpel ohne Wissen um lohnende Kriegsführung, der selbst in diesem Rate mehrfach alle Regeln außer Acht ließ!

Als die anderen Häuptlinge vor Wut fauchten, nährte sich Schedaní dem Schlafenden Bären und flüsterte mit ihm. Ich konnte alles verstehen:

Ich sorge dafür, dass Winnetou gewählt wird. Aber die nächste Rate ...

Vergiss die Schulden, wenn alles nach Wunsch ausgeht.

Sehr großzügig, antwortete Schedaní, dann werde ich die angekündigte Pferdesteuer nicht erheben. Meine Krieger werden mir aufs Wort folgen. Seit Wochen sorge ich dafür, dass Winnetous Heldentaten Gespräch an allen Lagerfeuern sind. Die jungen Krieger brennen darauf, ihn zu wählen. — Aber zu seinen Lebzeiten hast Du darauf bestanden, dass Klekij Petra ein Sklave bleibt.

Und wer hat die Sänfte bauen lassen?, entgegnete der Friedenshäuptling, 180 Lasten hat sie gekostet! Wer gibt schon so viel für einen Sklaven aus! Jetzt nützt uns Klekij Petra als geehrter Häuptling.

Endlich konnte Tausend Federn Ruhe herstellen. Nun begann Winnetou zu singen, und sein Gesang lautete also:

Verfluchet das Fatum, da Winnetous Vater der Feind war!

Oh, schandhaft das Schicksal zum Sklaven versetzte den Sieger.

Und Winnetous Fechten mit Weißen war niedrig und nutzlos!

Ach, Hoch zu den Höhen des Häuptlings wird keiner ihn küren,

Es fügte sich, folgte dem Willen des Bären man balde,

Dass hoch man zur Höhe erhebe den Weisen, der weiß war.

Sehr würdig und wahrhaft hier war das Betreiben des Bären.

Doch bittet den Bär'n zu bedenken der singende Sklave:

Hätt' können der König des Kampfes vorm Trinken sich drücken?

Und wenn er sich weigert, wie wär's für den räudigen Ratler?

Furchtbar der Fluch, als verwirrt durch das Wasser des Feuers,

Das Ratler der ruchlose reicht' unserm König im Kampfe,

Der Fürst im Gefechte verderbte den weisesten Weißen.

Die Tränen der Trauer, sie flossen gar viel ob der Fügung!

Ach Schmach ward und Schande gebracht durch den Bär'n Intschu Tschuna,

Und schäbig sich Schedaní schob in den Schatten des Schuldherrn.

Nun fort mit dem feigen Geflunker vom Fachmann der Waffen.

Gib Gerechtigkeit dem Klekij Petra!

Schlage Shatterhand schnell, Intschu Tschuna!

Schande mach schwer dem, der ruchlos im Rate Dich schmähte!

Zeig ohne Zaudern, wie wehrhaft und wahrhaft Dein Fechten!

Schlag Dich, du Schöpfer der Schlachten, mit dem bei den Deutschen,

Der mit Faustes Gewalt niederwarf selbst den meuchelnden Mörder,

Wie er faustend hinwarf ohne Scheu Intschu Tschuna den starken.

Fecht für die Würde des Weißen, der weise in Wahrheit!

Denn deutsch wie derselbe ist Kalle der Leipziger Löwe.

Ihn zornig im Zweikampf zerschmettern sei Weg dir und Vorsatz.

Kämpfe gekonnt, dass die Feinde Dich fürderhin fürchten.

Drum gib sein Gewehr dem am Pfahle gefesselten Weißen.

Nimm den Tomahawk Dir, der ertüchtigt im Kampf mit der Klinge,

Da der Weiße Verwundete fänd' sonst den Tot ohne Taten.

Zog von der Zeder der Weiße bewegt durch das Wasser,

Fürst Du des Fechtens: dann feurig den Fluss durch und werfe.

Lange nicht lasse ihn leiden und sich're den Sieg Dir!

Erhebe Dich, Häuptling, beschäme Den Schlafenden Bären.

Sollte der Sachse besiegen den Fürsten im Fechtkampf,

Dann wünscht Winnetou ein Verfahren mit weiteren Beweisen.

Ob wir dabei fänden, dass wir ihn als Schuldlosen schlugen?

Gebt Gerechtigkeit dem Klekij Petra!

Macht den Helden noch heute zum Häuptling!

Wollte die Wut Euch befall'n, da ein Sklave dies sang euch,

Dann berechnet, dass Wege stets wies Euch der Weiß und Verlässlich.

Ohne Begeisterung sprach man über den Frieden mit den Kiowas. Wer verliert gern seinen Lieblingsfeind?, brachte es Der Schlafende Bär auf den Punkt.

Bald darauf schloss Tausend Federn die Beratung. Ich wurde wieder zu meinem Marterpfahl zurückgebracht.

12. Ein Held entsteht

Kampf der Giganten

Bei Sonnenaufgang verkündete der Älteste: Intschu Tschuna kämpfe mit den heiligen Waffen, Shatterhand mit seinem Gewehr; Dieser in seiner Männlichkeit, jener im Gewande des Toten. Das Bleichgesicht steige in den See, schwimme hinüber und versuche, die Eiche zu erreichen. Intschu Tschuna folge, sobald Shatterhand am anderen Ufer ist. Tötet er das Bleichgesicht, bevor es zur Eiche gelangt, ist er Sieger. Gelingt es nicht, entscheide die Volksversammlung.

Während ich mich entkleidete, legten 2 Squaws Intschu Tschuna den Skalpgürtel und einen Panzer aus Büffelhornplatten an. Sie gaben ihm einen Tomahawk mit langem Schaft von Horn und breiter Klinge aus Obsidian; in den Schaft waren mit Golddraht die Familienzeichen sowie die Zeichen aller Stämme der Apachen eingelegt. Schließlich setzten sie ihm den Federschmuck auf.

Mir indes hängte Chaniaschù den eingewachsten Bärentöter über die Schulter. Daran befestigte sie meine versiegelte Feldflasche. Ndschotschi hieß mich beide Arme über dem Kopf ausstrecken und wickelte mich in ein 5 m langes, 80 cm breites Baumwolltuch; Kopf und Arme blieben frei. Das Ganze band sie mit einem Lederriemen grob zusammen.

Was an den Pfählen geschah, während ich durch den See schwamm, berichtet Sam Hawkins:

5 Min. lagst Du im Wasser, da schnappte Dicks Stimme über: das Greenhorn ist hin, und wir auch! Eben hab' ich ihn bei der heißen Quelle gesehen, jetzt ist er weg! Wir machen mit der Marter weiter, sagte Intschu Tschuna. Da brach die heiße Quelle aus. Señores, meinte Der Schlafende Bär, Sollte Señor Shatterhand auftauchen, machen wir Schluss. Jeder bekam Brandwunden ab. Wir bissen die Zähne zusammen, um nicht zu flennen.

Da! Shatterhand, brüllte Dick. Jemand drückte seine Fackel an ihm aus. Uff, meinte Intschu Tschuna, ob er Euch aus der Totenwelt hilft Er lebt, protestierte ich, da ist er, am anderen Ufer, wo das Wasser in den See fließt. Dein Bärentöter sprach, dann hörten alle Dich rufen: Wir gewinnen. Jetzt hat Charly nur noch einen Schuss, meinte Dick. Dann riefst Du: Ich warte schon, Fürst Du des Fechtens!

Tangua schuppste mich in den See. Das Gewicht des Gewehres und des ins Laken dringenden Wassers zogen mich herab. Es war bitter kalt, aber das Wasser war so warm, dass ich kaum fror. Endlich berührten die Beine Grund, und der Kopf kam ins Freie; ich war in der Mitte des Sees.

Nun begann es, verdächtig zu blubbern. "Gleich bricht die heiße Quelle aus, und ich werde im Schlafrock gekocht", dachte ich. Da kam mir eine Idee: "Wenn es blubbert, muss Luft ins Wasser dringen. Dort muss ich hin."

Also schwamm ich auf die Blasen zu. Das Wasser war kochend heiß. Eine Höhle führte von der heißen Quelle fort. Je weiter ich in diese vordrang, desto kühler und flacher wurde es. Die Strömung wurde stärker. Bald verhinderte sie das Weiterkommen. Vor mir stürzten die Wasser herab und versperrten die Sicht.

Nun kam mir zustatten, dass ich in meinen ersten Jahren blind gewesen war. Kurz vor Schuleintritt hatte man mich operiert, und ich hatte Sehen gelernt. Als Blinder hatte ich mir beigebracht, mich hörend an Wänden entlang zu hangeln. Der Wasserfall gab eine Geräuschkulisse ab. Hinter mir war eine Wand, aber vor mir schien der Raum höher und luftiger zu werden. Ich ging vorsichtig dort hin, und wäre fast gestolpert: Da stand, nahe der anderen Wand, eine Leiter! Ich löste den Knoten, der das Tuch zusammenhielt, und band das lose Ende so straff wie möglich an einem Felsvorsprung fest. Nun diente das Laken als Halteseil.

Bald blendete mich die Sonne. Ich verlor den Halt, hielt mich an Leiter und Laken fest, tastete mit den Füßen und — stieß auf etwas Wegrutschendes. Der linke Fuß hatte auf einem Vorsprung Halt gefunden, der rechte zog nach. Ich griff nach dem rutschenden Gegenstand: Ratlers Schuldbuch! Mit diesem zwischen Kinn und Brust geklemmt, stieg ich ins Freie.

Ich stand auf der Kuppe eines nach drei Seiten hin steil abfallenden Hügels. Landeinwärts senkte er sich sanft, und auf dieser Seite gewahrte ich hinter einem vorstehenden Fels eine Decke. "Das muss jemand vorbereitet haben, für Ratler", dachte ich. Es waren Spuren eines Verwundeten mit reichlich Blut zu sehen.

800 m von mir entfernt stand die Eiche, zu der ich für den Sieg kommen musste. Doch zunächst galt es, Winnetou meine Unschuld zu beweisen und ihn für uns gnädig zu stimmen.

Ich postierte mich, winkte, rief: nichts geschah. Ein zweiter Versuch: wirkungslos. Lauter noch als zuvor rief ich und schoss in die Luft.

Intschu Tschuna sprang in den See. Schon entstieg er prustend dem Wasser.

Hier, rief ich, als er nach mir spähte.

Aus 50 Schritten Abstand flog der Tomahawk und hätte mich erschlagen, wenn ich den Schaft des Bärentöters nicht als Schild benutzt hätte. Heftig prallte des Tomahawks Klinge ans Gewehr und riss es mir aus den Händen.

Der Kriegshäuptling stürzte auf mich los und packte mich am Halse.

Doch Verzweiflung weckt meine Kräfte. Mein Fausthieb traf sein Kinn: Betäubt lag er am Boden.

Ich holte den Bärentöter und das Schuldbuch, postierte mich auf der Kuppe des Hügels und gab den letzten Schuss ab.

Intschu Tschuna ist tot! Der Aufschrei aus 1000 Kehlen drang zu mir.

Noch lebt er, rief ich. Die Stimmen froren ein.

Wenn Winnetou allein herüberkommt, wird niemandem etwas geschehen. Ochtópu Odschémo, Der Feinde mit der Faust Besiegt, hat gesprochen. Hough!

Winnetou kommt, rief er, zu Sehen und Rache zu nehmen.

Ich legte den Bärentöter und das Schuldbuch ab und erwartete ihn.

Kaum war ich der Waffe ledig, entstieg der Apache. Er untersuchte Intschu Tschuna und schlug mich sodann mit der flachen Seite seines Tomahawks nieder.

Intschu Tschuna lebt, sprach er, als ich wieder zu mir kam, die Rache am Feinde macht Winnetou zum freien Krieger.

Ich wollte Euren Häuptling nie töten, begann ich, bitte lass mich Dir etwas zeigen.

Ich reichte ihm die Feldflasche mit den Worten: Öffne diese.

Winnetou brach das Siegel auf, sah deren Inhalt, dachte nach und fragte: Welches waren die Worte Winnetous, als er losgebunden wurde?

Auf diesen Augenblick hatte ich gewartet. Ich hatte tausendmal die Worte abgewogen, die ich zu Winnetou sprechen wollte. So hob ich an und deklamierte in der alten Sprache:

Höre, Winnetou, was Carl Mai, aus dem Volke der Deutschen und vom Stamme der Sachsen, den die Seinen Shatterhand, die Apachen aber Ochtópu Odschémo nennen, sagt:

Winnetou wurde nicht losgebunden. Das hätte einen Meister des Entfesselns gefordert. Der Befreier zerschlug den Knoten mit einem Messer, nachdem er Winnetous mit Golddraht durchflochtenen Zopf abschnitt, um einen Beweis in Händen zu halten. Als die Bande fielen, sprach Winnetou:

Biàtsche Pidá sevigilamú schekaàlpa!

Jetzt wusste ich, was diese Worte bedeuten:

Pida, Du Haufen Scheiße! Skalpierst einen Gefangenen am Marterpfahl!

Schwer bewaffnet und grölend vor Lachen brachen Der Schlafende Bär und Schedaní aus einem Gebüsch hervor.

Schedaní, sprach der Friedenshäuptling, untersuch Intschu Tschuna. Der Kerl scheint leider noch zu leben. Er ließ den Speer sinken; den Dolch behielt er in Händen.

Schedaní ließ Tomahawk und Messer fallen und untersuchte Den Kriegshäuptling. Tatsächlich, sagte er und sog prüfend Luft durch die Nase.

Was gibt es, Schedaní?, fragte Der Schlafende Bär. Feuerwasser! Intschu Tschuna hat Whiskey geschluckt, bevor er mit Shatterhand kämpfte.

Allerdings, brummte der Angesprochene zufrieden, den schleppen wir zurück und zeigen ihn Tausend Federn. Und Du sorgst dafür, dass die Volksversammlung einberufen wird. Gut, dass alle Stämme mit den meisten Kriegern in der Nähe lagern. Wir wollen heute Abend tagen!

Es werden sehr viele kommen, antwortete dieser, was hält Winnetou in der Hand?

Den Beweis für Shatterhands Unschuld, sagte Winnetou, die Gerechtigkeit verlangt nach seinem Freispruch.

Wir nehmen mit, kommandierte Der Schlafende Bär, was Shatterhand bei sich hatte. Das Übrige klärt die Volksversammlung. Señor Shatterhand, gehen Sie zur Eiche. 2 Krieger holen Sie dort ab und schaffen Sie über den See. Was sonst noch mit Ihnen wird: Bis morgen Wissen Sie es.

Vereinigung im Fleisch

Du hast den Muskelprotz zur Strecke gebracht! So begrüßte mich Will, als mich die Krieger in Klekij Petras Sänfte zurückbrachten und an den Marterpfahl banden. Meine Kleidung hatte ich nicht anziehen dürfen.

Das nützt uns nichts, bibberte ich, für Den Schlafenden Bären sind wir Masse, die er nach seiner Politik bewegt. Und Winnetou ist zwar von meiner Unschuld überzeugt, aber machtlos.

Shatterhand irrt, sagte Winnetou, der mit Dem Schlafenden Bären, Schedaní und Tausend Federn auftauchte. Die Krieger der Apachen und Kiowas bereiteten die Volksversammlung vor.

Vìnetu Devíje Chadeschò, begann der Apache, was in Eurer Sprache bedeutet: Sein Blut Rinnt Feurig Für Gerechtigkeit, wird der Wahrheit zum Sieg verhelfen. Stellt sich Shatterhands Unschuld heraus, so kann er um das Leben seiner Gefährten bitten, und die Apachen müssen dem Wunsche willfahren.

Tausend Federn gab zu bedenken: Erweist sich Shatterhand als schuldig, so wirst Du mit ihm zu Tode gemartert.

Wenn Shatterhand seine Unschuld beweist, meinte Der Schlafende Bär, wird er uns nützen. Sicher wird er im Volke der Deutschen mächtiger als Klekij Petra, und wir können einen einflussreichen Freund unter den Bleichgesichtern gebrauchen.

Ist Winnetou sicher, dass er und das Bleichgesicht, das die anderen Bleichgesichter Shatterhand, wir aber Ochtópu Odschémo nennen, Teile eines gemeinsamen Leibes sind?, fragte Tausend Federn. Er setzte fort: Ist Winnetou bereit, im Einklang mit dieser Erkenntnis sein Fleisch vor Geistern, Göttern und Menschen mit dem dieses Bleichgesichtes zu vereinen?

"Herrgott", Dachte ich, "sie wollen mich mit Winnetou verheiraten. Und ich muss es geschehen lassen, um unser Leben zu retten!"

Winnetou eröffnete den heiligen Ritus und sprach:

Es seien Zeugen die Bleichgesichter: Sam Hawkins, Dick Stone, Will Parker und Carl Mai. Zeugen seien Schedaní, der Kriegshäuptling der Naìnon, Der Schlafende Bär, der Friedenshäuptling aller Apachen und Tausend Federn, der Älteste aller Apachen. In den Zeugenstand berufen seien alle Geister der Apachen, der Gott der Bleichgesichter samt seinem Sohne Jesus Christus, der ein Mensch ist, und Manitu, der das Üble ahndet:

Vìnetu Devíje Chadeschò, Krieger der Apachen vom Stamme der Meskaleros, ist gewiss, dass er und das Bleichgesicht Carl Mai aus dem Volke der Deutschen und vom Stamme der Sachsen Teile eines gemeinsamen Leibes sind. Er begehrt, vor den genannten Zeugen sein Fleisch zu vereinen mit dem Fleische dieses Bleichgesichtes. Winnetou hat gesprochen. Hough!

Der Älteste sprach ohne Begeisterung:

Zu Zeugen berief Winnetou sieben Männer sowie die Geister und Götter der beteiligten Völker. Winnetou ist freier Krieger und hat sich Rat über die Folgen seiner geplanten Tat eingeholt. Alles ist, wie es die Ordnung vorsieht. Vereinet denn Euer Fleisch.

Winnetou legte seine Kleidung ab, nahm ein Messer mit einer Klinge aus Obsidian und trat ans Feuer, das Schedaní bei unseren Marterpfählen entfacht hatte. Er hielt die Klinge lange in die Flamme, trat auf mich zu und — der zweite Teil meines Traumes vor Beginn unserer Marter wurde wahr. Im Fleische vereinen hat bei den Apachen eine andere Bedeutung als bei uns Deutschen.

Nachdem Winnetou aufgegessen und das Mahl mit einem kräftigen Schluck Blut beendet hatte, legte Tausend Federn Kräuter auf die Wunde, und Schedaní verband diese.

Jetzt sind Sie dran, Señor Mai, gebot Der Schlafende Bär, erlauben Sie mir, Ihnen zu helfen.

Er band mich los und stützte mich. Nehmen Sie ein großes Stück, riet er und gab mir das im Feuer desinfizierte Messer, sonst gilt es nicht.

Ich trat zu Winnetou, den man am Pfahle befestigt hatte. Zitternd setzte ich die Klinge an und hatte ihn tief geschnitten. Klingen aus Obsidian sind äußerst scharf. Als ich erschrocken zurückzuckte, entstand eine Wunde von der Herzgegend bis in die Mitte der Brust. Das Blut spritzte, an der Klinge klebte Fleisch.

Hübsch aufessen, rief Schedaní. Und so geschah es auch.

Von vorlängst ein Fleisch,

seit langem ein Leib,

Winnetou, Shatterhand: Eines Leibes Gebein!

So sprach Tausend Federn würdevoll. Auf seinen Wink wiederholten wir die Formel und ergänzten das Wort: Hough!

Nun versorgte man Winnetous Wunde und band ihn vom Marterpfahl. Ich erhielt meine Kleidung und wurde wieder am Pfahle gefesselt.

Señor Mai, sagte Der Schlafende Bär, Sie haben sich tapfer gehalten. Das ist selten bei Bleichgesichtern.

Gottesurteil

Vor Sonnenuntergang hatten sich die Apachen versammelt.

Ich hätte nie gedacht, meinte Schedaní, dass alle kommen!

Sämtliche Opas sind da, knurrte Der Schlafende Bär, die wählen Winnetou nie! Bringen wir es hinter uns.

Zu einigen Kriegern gewandt, kommandierte er: Abzählen, Intschu Tschuna herbringen und die Kiowas in den Kreis treiben.

4206, verkündete der Medizinmann, der das Abzählen überwachte, bei der letzten Kriegerzählung vor 33 Jahren waren es 7211.

Tausend Federn gebot Schweigen und sprach: Die Krieger der Apachen sind vollzählig versammelt. Was sie mit einer Stimme beschließen, gilt für alle kommenden Geschlechter. Die Geister mögen uns gute Beschlüsse geben. Manitu möge uns richten.

Die Apachen bekräftigten durch: Hough diese Worte.

Der Älteste sprach erneut: Orró Ejéne, der Friedenshäuptling aller Apachen, welcher diese Versammlung einberufen hat, beginne.

Schön, dass Ihr alle da seid. Folgende Tagesordnung wird Vorgeschlagen:

  1. Gedenken der Kriegsopfer, bitte im Schnellgang
  2. Ehrung Klekij Petras mit Antrag von Winnetou
  3. Entehrung Intschu Tschunas
  4. Neuwahl des Kriegshäuptlings aller Apachen
  5. Frieden mit den Kiowas und
  6. Sonstiges.

Gegenvorschläge? — Keine. Tausend Federn, ehre die Kriegsopfer.

Der Älteste verkündete die diversen Schlachten und nannte die Namen der Gefallenen. Nach 1 ½ Stunden waren 2517 Kriegsopfer aufgerufen.

Endlich, knurrte Der Schlafende Bär, Winnetou, Du hast das Wort.

Der Apache schilderte die Leistungen Klekij Petras und endete: Um diesen Mann zu ehren, bittet Winnetou die Versammlung, Klekij Petra zum Friedenshäuptling der Meskaleros zu küren und den Fall seines Stammesbruders Shatterhand neu zu verhandeln.

Tangua, der mir gegenüberstand, fuhr sich nervös durchs Haar.

Wozu?, fragte ein Häuptling, Das Bleichgesicht hat uns durch die Kiowas fangen lassen.

Er ist mit Sam zu mir gekommen und hat mich gebeten, ... Die Worte sprudelten aus Tangua.

Du lügst, rief ich.

Er ist kein freier Mann und ein Bleichgesicht, rief ein anderer, beachtet den nicht.

Achtet die Worte Shatterhands, sprach Winnetou, denn er ist Fleisch Winnetous.

So ist Winnetou ein Bleichgesicht, rief ein Häuptling, an den Pfahl mit ihm!

Der Das Blut Der Bleichgesichter Trinkt, höhnte Der Schlafende Bär, von Dir erwartet niemand etwas anderes. Wollen wir Apachen es halten wie unsere Todfeinde? Das spräche gegen den Geist der Alten. Tausend Federn kann uns Beispiele nennen, dass Fremde nach der Vereinigung im Fleisch mit einem unserer freien Krieger Häuptlingswürden errangen.

Der Schlafende Bär spricht wahr, sagte Tausend Federn, doch nie zuvor zeigte einer der Unseren, dass sein Fleisch und das eines Bleichgesichtes Teile eines Leibes sind. Drum, Volk der Apachen: willst Du den weißen Bruder Winnetous als Krieger anerkennen?

Hough! Wenige stimmten zu.

Durchgefallen, stöhnte ich.

Doch Tausend Federn fragte: Wer hat ablehnende Worte gehört?

Es wurde still; der Älteste lies die Stille eine Minute anhalten. Dann sprach er:

Das Volk der Apachen sprach mit einer Stimme. So ist Shatterhand einer der Unseren. Auf Jede Frage Eine Antwort vermerke dies in der Wand der Zeichen.

Señor Shatterhand, sprach Der Schlafende Bär, Tangua behauptet, Sie hätten Señor Hawkins geraten, die Kiowas zu bitten, unsere Häuptlinge zu fangen. Stimmt das?

Ich entgegnete: ich habe Winnetou befreit. Er hat den Beweis.

Mein Sohn war's!, kreischte Tangua im Falsett.

Ach nee! rief Der Schlafende Bär.

Kann Pida das beweisen?, fragte ich in den anschwellenden Tumult hinein.

Ja! Man hole seinen Medizinbeutel!

Das tut mal, rief ich aufgebracht, wie alles andere in der Sprache der Apachen, dann sehen wir, welches ist sich echte Winnetouhaar und welche Haar von Pferd!

Tanguas Gesicht war rot wie eine reife Tomate, als er rief: Der weiße Hund klagt mich, den Häuptling aller Kiowas, der Beweisfälschung an! Ich verlange ein Urteil der Götter! Nur wenn das Bleichgesicht siegt, verhandle man weiter.

Tangua, sprach Der Schlafende Bär salbungsvoll, Dein Wille geschehe. Hole Pidas Medizinbeutel, alle unsere Squaws und Kinder sowie die bleichgesichtigen Sklaven. Alle seien Zeugen.

Señor Shatterhand, wandte er sich an mich, Sie müssen nochmal kämpfen. Es wäre schön, wenn Sie Tangua ins Jenseits befördern. Ihm folgt Pida, mit dem wir leicht fertig werden.

"So will Der Schlafende Bär", dachte ich, "die Kiowafrage lösen. Und ich kann froh sein, wenn ich Tangua treffe. Nur dann darf ich um das Leben meiner Gefährten bitten."

Tangua ist der beste Schütze seines Stammes, gab Sam zu bedenken, mit seinem eigenen Gewehr trifft er Charly aus 400 Schritt. Aber der alte Sam hat 'ne Idee, wenn ich mich nicht irre: Gib ihm das Gewehr, das mir gehört hat. Sorg' dafür, dass er es vorm Schießen nicht untersucht. Er kennt es von früher.

Sie sind mit allen Wassern gewaschen, Señor Hawkins, sprach Der Schlafende Bär, Ndschotschi hat die Büchse meines zwölffachen Urahns wieder getarnt. Sie hat das alte Wappen aus Holz geschnitzt, es mit Lehm überzogen, in heißer Asche trocknen lassen, Kupfernägel hindurchgeschlagen und es an die Muskete gelötet. Wer die Waffe nicht genau kennt, wird den Unterschied kaum bemerken.

Tangua kam. Ihm folgten alle unsere Bauarbeiter. Ein großes Hallo erhob sich, denn wir hatten sie für tot gehalten

Es wurde ruhig. Der Älteste bat alle Götter der Weißen und Roten um ein Zeichen der Gerechtigkeit. Danach verkündete Der Schlafende Bär:

Bezeugt das Urteil der Götter und Geister im Kampf zwischen dem Bleichgesicht Ochtópu Odschémo mit Tangua, dem Häuptling der Kiowas. So soll der Kampf stattfinden:

Tangua erhält das Gewehr, das Der Schlafende Bär beim Bleichgesicht Sam Hawkins fand. Ochtópu Odschémo reiche man seine schwere Waffe. Tangua stelle sich in 200 Schritt Abstand vom Pfahle Shatterhands auf. Winnetou und Schedaní mögen die Strecke beleuchten. Den linken Arm des Bleichgesichtes binde man los. Auf das Kommando des Ältesten hin mögen beide schießen. Es werde geschossen, bis einer getroffen ist. Wer zuerst trifft, hat gewonnen und die Geister auf seiner Seite.

Der Schlafende Bär, der Häuptling des Friedens aller Apachen, fragt: Rote wie Bleichgesichter, freie wie Sklaven, Männer, Squaws und Kinder: Ist dies Vorgehen im Sinne der Götter und Geister?

Hough! Alle riefen es — außer mir.

Schießt, sprach Tausend Federn, als mir ein Krieger den Bärentöter reichte. Ich hob diesen zur Hüfte und drückte ab.

Währenddessen hatte ein anderer Krieger Tangua die geladene Muskete Sams gegeben und die Lunte angezündet. Der hatte das Gewehr sofort erkannt und hielt es schräg.

Tangua, pass auf!

Beide Schüsse krachten, als ich diese Worte rief. Tangua brach zusammen und hielt seine Knie.

Nun verkündete Winnetou: Die Geister haben gesprochen. Tanguas rechtes Knie ist durch jene Kugel zerschmettert, mit welcher er gedachte, Shatterhand zu töten. Shatterhands Kugel steckt über Tanguas linkem Knie.

Fortgang der Verhandlung, meinte Der Schlafende Bär, wollen sehen, was Pidas Medizinbeutel enthält.

Pida protestierte, als man diesem eine Feldflasche entnahm, versiegelt, wie die meine. Der Schlafende Bär riss den Inhalt heraus, betastete und besah diesen eingehend, gab ihn 2 anderen Häuptlingen, die dasselbe taten, und sprach würdevoll, mit einem Lächeln auf den Lippen:

Pferdehaar. Hough, bestätigten die beiden Zeugen.

Paps, sprach Pida, was soll der Scheiß in meinem Medizinbeutel?

Tosendes Gelächter der Apachen erhob sich.

Nun öffnete Winnetou meine Feldflasche und reichte den Inhalt Dem Schlafenden Bären. Der besah und betastete ihn genau, reichte ihn zwei anderen Kriegern und Tausend Federn, die das gleiche taten, ging zu Winnetou, hielt den Zopf an die auf Winnetous Haupt nachgewachsenen Haare und fragte: Nun?

Passt! Die Krieger bestätigten es.

Das Bleichgesicht Shatterhand, begann der Älteste, ist unschuldig am Marterpfahl. Es äußere einen Wunsch, den das Volk der Apachen erfüllen kann.

Bitte, sagte ich, schenkt Sam, Dick und Will das Leben.

Hough, sprach Tausend Federn, Man fahre fort.

Die Kiowas zogen sich zurück. Niemand hinderte sie.

Punkt 5. erledigt sich, sagte der Friedenshäuptling, erstmal werden die nicht gegen uns kämpfen. Tangua wird bei seinen Leuten einen schweren Stand haben.

Nach einer Pause fuhr er fort: Wir kommen zur Ehrung Klekij Petras: Wer von den Meskaleros ist dafür, dass wir ihn postum zu ihrem Friedenshäuptling wählen?

Hough! Alle Krieger der Meskaleros riefen es.

Zur Neuwahl des Kriegshäuptlings, setzte Der Schlafende Bär fort, ich schlage Winnetou vor.

Den Rotzlöffel?, rief Der Das Blut Der Bleichgesichter Trinkt, wir haben trotz Intschu Tschunas Versagens keinen besseren.

Zur Wahl stehen Intschu Tschuna und Winnetou, sagte der Friedenshäuptling, wer für Intschu Tschuna ist, spreche jetzt.

Hough. Fast die Hälfte der Versammlung sprach wenig begeistert.

Einige scharten sich um Schedaní. Neben seinen Naìnon hatten sich junge Krieger anderer Stämme aufgestellt, die mutigsten. Nur wenige wagten es, in der Öffentlichkeit gegen ihre Väter und Großväter zu stimmen.

Gilt die Abmachung noch, fragte der Häuptling der Naìnon, Wenn Winnetou gewählt ist, werden meine Schulden erlassen?

Ja, Schedaní, antwortete Der Schlafende Bär, wie Du das Schaffen willst, wissen die Geister. Reih Dich nur bei uns ein.

Die Anhänger Winnetous, sprach der Älteste, mögen ihre Stimmen erheben.

Nun rief Schedaní mit klarer Stimme, und stets antworteten seine Anhänger:

Nach dem jaget die Jugend
Wir wählen Winnetou.

Für fortdauernden Frieden
Winnetou unsere Wahl!

Ziel unserer Zukunft
Winnetou wolle uns Führen!

Bei diesem Refrain stampften die Krieger wie ein Mann mit den Füßen auf und klatschten im Gegenrhythmus in die Hände. Darauf besangen gut ausgewählte Krieger in gesetzten Worten die Heldentaten Winnetous, und die anderen stellten diese bildlich dar. Wieder und wieder kam der Refrain. Heftiger und leidenschaftlicher wurden Gesang und Schauspiel. Immer mehr Krieger aus den Reihen derer, die bei den Wählern Intschu Tschunas standen, schlossen sich der Darbietung an.

Als der Älteste abwinkte, war gut ¾ der Krieger dabei. Völlig überraschend verkündete er:

Mit größerer Kraft sprachen die Anhänger Winnetous. Er ist erkoren und Häuptling des Krieges aller Apachen. Gehorchet ihm im Kampfe. Mögen die Geister seinen Verstand lenken, auf dass er von Sieg zu Sieg schreite.

Beim Jubel der Menge erwachte Intschu Tschuna und stammelte: Was soll das Geschrei?

Du bist abgesetzt, höhnte Der Schlafende Bär. Intschu Tschuna sprang auf ihn los.

Doch Tausend Federn herrschte ihn an: Der Krieger Intschu Tschuna hat die Würde des Häuptlings an Winnetou verloren.

Wutschnaubend drehte sich der Angesprochene zum Ältesten und brüllte: Fresse, alter Schwätzer!

Intschu Tschuna hat den Ältesten beleidigt! Ich, Der Schlafende Bär, der Häuptling aller Apachen im Frieden, beantrage, ihn zum Sklaven des Volkes zu machen.

Hough! Viele stimmten zu, die anderen schwiegen verschämt.

Winnetou gebot Stille und hielt seine erste Ansprache an das Volk der Apachen:

Vìnetu Devíje Chadeschò, soeben von der Versammlung der Apachen zu ihrem Kriegshäuptling gewählt, dankt den Geistern und seinen Wählern für ihr Vertrauen. Er bittet Manitu um Gerechtigkeit. So lautet sein erster Erlass:

Man binde die Bleichgesichter von den Pfählen. Alle bleichgesichtigen Sklaven seien frei, sobald jene Arbeiten abgeschlossen sind, welche wir von ihnen verlangten. Als Gegenleistung dafür mögen sie uns Unterricht im Schießen erteilen, und man kaufe bei den Bleichgesichtern gute Waffen ein. Shatterhand möge den Waffenkauf besorgen.

Der Häuptling der Apachen im Kriege hat gesprochen. Hough!

Wir sind frei! Der Schlafende Bär dämpfte meine Freude:

Kommen wir zum Geschäftlichen. Sie gehören samt Ihrem Besitz mir, bis die Wette entschieden ist. Lasst uns schätzen, welchen Wert meine neue Habe hat: Señor Hawkins: ich schätze Sie mit 800 Lasten. Einverstanden?

'n bisschen wenig für den berühmtesten weißen Westmann, wenn ich mich nicht irre, brummte dieser. Der Schlafende Bär sagte leutselig:

Schön, 1700 Lasten für Sie. Ihre Kleidung schätze ich mit zwei, Ihr Pferd mit 98, und Ihr früheres Gewehr mit 1500 Lasten. Einverstanden?

Ja, antwortete Sam.

Sam, Du verkaufst Dich selbst!, rief ich aufgebracht.

Sie verkennen die Tatsachen, meinte Der Schlafende Bär ruhig, machen wir bei Ihnen weiter, Señor Mai: Sie sind — 80 Lasten wert.

Das war zu viel. Er hielt mich für weniger wertvoll als Sams Ackergaul!

Mein Fausthieb streckte den Friedenshäuptling nieder. Doch ich hatte kaum noch Kraft. Nach wenigen Sekunden war er auf den Beinen.

Beeruhigen Sie sich, Señor, sprach er zu mir, wie wäre es mit 800 Lasten?

Dagegen ließ sich nichts sagen. Der Schlafende Bär setzte fort: Ihr Gewehr schätze ich mit 199, Ihre Kleidung mit einer Last. Das Schuldbuch Ratlers, das Sie gefunden haben, ist 500 Lasten wert, und für jeden Band der Schriften, die Ihnen Klekij Petra vermacht hat, setze ich 1000 an. Also 3500 Lasten insgesamt.

Dick und Will gingen mit jeweils 900, ihre Habe jeweils für 700 Lasten unter den Hammer Des Schlafenden Bären.

Hat noch jemand Punkte für die Volksversammlung?, fragte der Friedenshäuptling aller Apachen. Niemand meldete sich.

Dann, schloss er, lasst uns die Friedenspfeife rauchen und feiern.

13. Der Friede Shatterhands

Friedenspfeife

Da standen wir, frei vom Marterpfahle und lebendig, als Sklaven Des Schlafenden Bären.

Was werden wir arbeiten müssen?, fragte ich.

Bis Sie gesund sind, antwortete der Friedenshäuptling, nichts. Mit Ihnen kann ich Schulden bezahlen, wenn wir die Wette verlieren. Jetzt geht?s zum Plateau des himmlischen Friedens, um die Friedenspfeife zu rauchen.

Kalle! Wir sind so stolz auf Dich. Du bist ein Held! Ndschotschi schmiegte sich an mich, als wir in Richtung des Dorfes gingen, und flüsterte in mein Ohr: Sobald Du den ersten Skalp am Gürtel hast und Häuptling wirst, heirate ich Dich.

Ich werde nie skalpieren, presste ich hervor, während wir den Felsen erstiegen, an dem das Pueblo erbaut war. Kommt Zeit, kommt Skalp, sprach Ndschotschi lächelnd.

Bald darauf befanden wir uns auf einer schmalen Galerie über dem sechsten und höchsten Stockwerk des Pueblos. Deren zum Dorf führende Seite bestand aus einer hüfthohen Mauer, für welche die Kiowas hatten Steine schlagen müssen. Die andere Seite bildete ein Felsen, der von etwa 3 m über uns bis zum Boden mit eingekratzten Zeichen versehen war.

Das ist die Wand der Zeichen, erklärte Ndschotschi.

Die Galerie endete an einer steil aufragenden Wand. Wie sollen wir da hochkommen?, fragte ich.

Auf Jede Frage Eine Antwort und Winnetou, unsere besten Kletterer, antwortete Ndschotschi, werden den Fahrkorb herunterlassen.

Schon kam der Korb, in dem immer zwei hochgezogen wurden. Als alle oben waren, wurde der Korb 30 m nach unten gelassen.

Wir befanden uns auf einem runden Plateau von 1,8 km Durchmesser, dem Plateau des himmlischen Friedens. Kein einziges Stück Moos hielt sich hier; an allen Rändern stürzte der Fels senkrecht in die Tiefe. Anwesend waren alle, die der Verbrüderung zwischen Winnetou und mir zugeschaut hatten, Chaniaschù, Ndschotschi und der Medizinmann Namens: Auf Jede Frage Eine Antwort.

Chaniaschù löste ihre kunstvoll verknoteten Haare. Zum Vorschein kam eine geschickt aus Onyx gefertigte Pfeife, die sie vor sich auf den Boden legte. Diese hatte einen Kopf von 7 cm Durchmesser und ein gerades Rohr von 30 cm Länge. 4 Löcher waren in die Wand des Pfeifenkopfes geschnitten; in diese steckte sie 30 cm lange Halbrohre aus Holz, die sie zur Hälfte mit Wasser füllte . Jedes Holzrohr endete in einem 9 cm langen Mundstück. Sog man daran, mischte sich der heiße Rauch mit dem Wasserdampf. Durch das Rohr von Onyx dagegen ging der Rauch in voller Stärke.

Der Schlafende Bär gab dem Medizinmann einen Beutel mit den Worten: Tabak anbauen können die Kiowas. Den da habe ich in Tanguas Hütte gefunden.

Kinikini, wie Karl May den Pfeifenstoff der Indianer nennt, besteht keineswegs aus Pferdehaar, altem Filz, Leder und schlechtem Tabak. Der normale Pfeifenstoff enthält 99 % guten Tabaks und 1 % Peyote. Schon diese Mischung hat es in sich. Die Ingredienzien für das Friedenselixier nenne ich nicht, da die Deutsche Jugend versucht wäre, es nachzukochen. Winnetou hat sie mir verraten. Gerade probiere ich das Rezept aus. Kurz nach Weihnachten müsste das Elixier fertig sein.

Die Hälfte der Pfeife stopfte der Medizinmann mit Tabak, dem er etwas Peyote hinzufügte. Dann füllte er sie zum dritten Viertel mit Friedenselixier auf; die Apachen nennen es zurecht: Achíki tschochèki (zu gefährlich für täglichen Gebrauch). Schließlich füllte er wieder mit Tabak auf und stopfte fleißig nach. Der Anteil des Friedenselixiers am Pfeifeninhalt wird 15 % betragen haben.

Winnetou entzündete den Pfeifeninhalt, wandte sich an uns alle und sprach in getragenen Worten:

Höre, Kalle: Da Du mit mir Häuptling sein wirst, sobald der erste Skalp eines Feindes der Apachen Deinen Gürtel ziert, da Du ehrlich kämpftest, die Geister Dich beschützten und Du große Qualen am Marterpfahle mutig ertragen hast, haben Chaniaschù, Tausend Federn, Der Schlafende Bär und ich beschlossen, Dich mit diesem Kalumet zu ehren und diesen Frieden nach Dir zu benennen.

Nimm es als letzter, rauche alles auf, und schau die Botschaft Deines Friedens. Nur dann wird der Friede wirksam.

Chaniaschù gab die Pfeife dem Ältesten. Er nahm sich das steinerne, Winnetou, Der Schlafende Bär und Schedaní die hölzernen Rohre. Jeder roch an seinem Mundstück.

Tausend Federn sprach: Der Friede Ochtópu Odschémos gelte für alle Zeiten. Alle Roten bestätigten mit: Hough, und jeder nahm einen Zug.

Nun erhielt Sam, der Älteste von uns Bleichgesichtern, das Steinrohr. Dick, Will und Chaniaschù nahmen die hölzernen. Alle rochen.

Der Friede Shatterhands gelte für alle Zeiten, sprach Sam mit ungewohnter Würde. Amen!, bestätigten die anderen.

Als Dick seinen Zug nahm, verschluckte er sich. Eine große Dosis Rauch gelangte in seine Lungen.

Chaniaschù reichte mir das Kalumet. Verunsichert nahm ich es.

"Was soll ich schauen", dachte ich, "werde ich etwas Vernünftiges sagen können?"

Denn während ich die Pfeife nahm, stand Dick auf, schwankte zum Rand des Plateaus, beugte sich weit vor und rief mit lauter Stimme:

Schluss mit dem Saufen! Die Kiowas kommen!

Ich wollte dem feierlichen Anlass eine weitere Peinlichkeit ersparen. Verbissen sog ich den Rauch ein. Mein Kopf dröhnte, mir schwand das Bewusstsein.

Reiner Aberglaube?

Sam, Dick, Will und Ndschotschi begafften mich. Unter drei Bärenfellen lag ich in einem Korb, und vor mir befand sich eine steil aufragende Felswand, in die Winnetou, einen Meißel mit scharfer Steinspitze in der Hand, Zeichen ritzte. Ohne Zweifel lag ich im Korb, mit dem man uns zum Plateau des himmlischen Friedens hinaufgezogen hatte.

Wie komm ich hierher?, fragte ich.

Du bist am Seil herunter in den Korb geklettert, antwortete Sam, nachdem Du den ersten Zug von dem Friedenszeugs genommen hast. Dann bist Du darin eingepennt. Wir haben Dich mit dem Korb abwärts exponiert und sind danach runtergekraxelt.

Du meinst: expediert, meinte ich.

Und damit Du es schön warm hast, sagte Will, haben wir Dir unsere Felle überlassen. Hast die ganze Nacht und den ganzen Tag gepennt.

Das Zeug hat's in sich, brummte Dick, ich hab komische Sachen geträumt.

Winnetou unterbrach die Arbeit, drehte sich zu mir und sprach: Shatterhands Wunden sind verheilt, denn das Elixier des Friedens kräftigt den Leib und lenkt den Geist in die Zukunft. Sag uns, Kalle, was Du geschaut hast.

"Die Apachen bleiben Wilde", dachte ich. Natürlich wollte ich wissen, wie sie den Unsinn deuten würden, den ich geschaut hatte. So erzählte ich:

Wir gingen mit 10 Kriegern der Apachen auf eine Reise. Es gab einen Schusswechsel mit Bleichgesichtern und Kiowas. Winnetou und Ndschotschi lagen auf dem Felde.

Dann sah ich mich in Deutschland in einen Raum mit Wänden aus Gummi. Dort saß ich und kaute den Skalp eines Feindes durch.

Schließlich flog eine Schar Fledermäuse an uns vorbei. Ihre Zahl entsprach jener der Reisenden. Von ihnen gingen klickende Geräusche aus. Beim Zählen der Klicks schlief ich ein.

Bis wohin, fragte Ndschotschi, bist Du beim Zählen gekommen? Auf mindestens 50, antwortete ich.

Ndschotschi stellte fest: Dann wird jeder von denen, die auf die Reise gehen, mindestens 50 Jahre nach deren Ende leben.

Ich glaubte kein Wort, wollte aber die Apachen nicht beleidigen.

Winnetou, sagte Ndschotschi, zeichne die Visionen von Kalle und Dick auf, neben den Beschluss für den Frieden Shatterhands. Gratuliere: 25 Zeichen für 80 Worte; das macht Dir keiner nach! Wenn alles eintrifft, hat Auf Jede Frage Eine Antwort reines Friedenselixier hergestellt.

"Wie kann", dachte ich, "eine intelligente Frau wie Ndschotschi, die ein gelehrter Mann wie Ireneus Weiser erzogen hat, so einen Unsinn glauben?" Mir tat Winnetou leid, der mühselig hieroglyphenähnliche Zeichen mit dem Meißel in den Stein ritzte.

Heute bin ich nicht mehr so sicher. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich den Gedanken abweisen, in die Zukunft geschaut zu haben. Freilich: welch eine Zukunft! Und die soll ich noch mindestens 40 Jahre ertragen? Ehrlich gesagt: ich verzichte!

14. Reise in den Tod?

Verraten

Nun erschienen Der Schlafende Bär, Schedaní, der Medizinmann und 10 Krieger. Aufs Plateau, stöhnte der Friedenshäuptling. Die Angekommenen trugen statt Gewändern verkohlte Fetzen, und Brandwunden bedeckten ihre Leiber.

Bald darauf befanden sich Sam, Dick, Will und ich in der letzten Fuhre nach oben. Genau zurecht, denn die Kiowas nahten. Sie schossen mit Gewehren und Brandpfeilen. Eine Kugel streifte mein linkes Ohr, einen Brandpfeil lenkte Dick vom Korb ab.

Den hat Intschu Tschuna geschossen, rief er aus.

Die Kugel, die beinahe Charly ins Jenseits befördert hätte, meinte Sam gelassen, stammt von Ratler, wenn ich mich nicht irre.

Nun setzte uns Schedaní ins Bild: Als wir zu unseren Stammesbrüdern kamen, war ein Besäufnis im Gange. Intschu Tschuna hatte den Kriegern der Apachen das Versteck Eurer Whiskeyfässer verraten. Alle waren blau, bis auf 10 Recken, welche nach dem Rat Klekij Petras Whiskey mieden. Plötzlich griffen die Kiowas an. Sie nahmen alle gefangen. Die 10 Tugendhaften hatten sich um den Medizinmann und mich geschart und einige Feinde niedergestreckt, bevor auch sie gefesselt wurden. Tangua nahm uns und ein Whiskeyfass mit in sein Dorf. Auf Jede Frage Eine Antwort hatte unbemerkt den Brennstein verschluckt, diesen bei der Rast am nächsten Mittag unauffällig hervorgeholt und das Sonnenlicht auf das Whiskeyfass gelenkt. Es explodierte, und der Schlafende Bär führte uns durch das schwelende Feuer hierher.

Was werden die Kiowas mit den Kriegern der Apachen beginnen?, fragte ich, und wie soll es weitergehen?

Der Kriegshäuptling antwortete: Wir beide werden Gewehre für unsere Squaws besorgen und mit den 10 befreiten Kriegern, Sam, Dick, Will und Dem Schlafenden Bären den Spuren der Kiowas folgen. Shatterhand mag sofort mitkommen.

Anschleichen, Pferde zähmen und Geld fälschen

Woher sollen wir Pferde nehmen?, fragte ich Winnetou, die Kiowas haben gewiss alle mitgenommen.

Er antwortete: Eines haben sie kaum eingefangen. Wir müssen es vor ihnen bekommen. Shatterhand leihe mir seine Augen für die Ferne, Winnetou leiht ihm die seinen für die Nähe.

Wir gingen zum Fluss. Von dort aus führten hunderte Pferdespuren zum Dorf der Apachen in die Felsen.

Tangua verwischt die Spuren der Pferde, vermutete ich, indem er durch Felsen seinen Weg zu den Kiowas nimmt.

Winnetou nickte und sprach: Wir werden den Weg Fluss aufwärts fortsetzen. Kluge Pferde pflegen ihre Spuren schwimmend zu verwischen, doch halten sie dies nicht lange durch.

Wir gingen auf indianische Weise: erst 300 Schritte schnell gehen, dann 300 Schritte hurtig laufen. Zwei Stunden später konnte ich kaum noch weiter, denn es war steil bergauf gegangen.

Unvermittelt hielt mich Winnetou an und flüsterte: Riecht Kalle es auch?

Ich atmete prüfend ein. Eine Spur von Pferdeduft hing in der Luft.

Nun wird Winnetou Kalle das Anschleichen lehren.

Er lenkte seine Schritte vom Fluss weg und lauschte den Geräuschen des anbrechenden Tages. Eine Büffelherde kam vorbei, denn es gab etwas Gras. Nutze die Geräusche der Landschaft und gehe schnell, wenn sie Deinen Schritt übertönen, dozierte Winnetou.

Wegen des Lärms der Büffel kamen wir rasch weiter. Winnetou lenkte uns zurück zum Fluss.

Noch nicht, flüsterte ich, weit vor uns habe ich ein Pferd gesehen.

Kalle hat Winnetous Plan erfasst, sagte der Kriegshäuptling anerkennend, wir werden uns vor die Pferde bewegen, vor sie hintreten und sie mit dem Lasso fangen.

Wir liefen 500 m weiter und rannten in einem Haken zum Wasser hinunter. Die Rechnung ging auf: 20 m vor den Pferden erreichten wir den Fluss.

Susi und mein spezieller Freund Sausage weideten friedlich beieinander. Sausage trottete wie das liebste Pferd der Welt zu mir.

Susi blieb unschlüssig stehen. Winnetou ging auf sie zu und beruhigte sie.

Während wir aufsaßen, sprach er: Shatterhand ist ein Held. Er hat Achàtta itìtli zugeritten! Winnetou hat 3 Monate benötigt, bis er aufsitzen konnte. Als er in die Gefangenschaft bleichgesichtiger Räuber kam, hat er dem Hengst die Freiheit geschenkt. Wie hat Kalle Achàtta itìtli gezähmt?

Wie treffend Ihr dieses Pferd nennt, meinte ich, Zu Stolz, Sich Reiten Zu Lassen! Ich erzählte ihm, wie ich zu Hatta Titla gekommen war, wie Karl May Sausage nennt, und unter welchen Schwierigkeiten ich ihn gezähmt hatte.

Wir erreichten einen überhängenden Felsen. Hier bleiben wir bis Mitternacht, sagte Winnetou, da wir nicht wissen, ob die Kiowas uns verfolgen, müssen wir verborgen bleiben.

Nun brachte mir der Apache jene Worte bei, mit denen ich Hatta Titla zur äußersten Geschwindigkeit bringen konnte. Wir werden dies bald brauchen, sprach er, doch nun müssen wir zurück zum Plateau des himmlischen Friedens, um uns das Nötige für den Waffenkauf zu holen.

Im Morgengrauen kamen wir dort an. Winnetou rief, der Korb kam mit Amalgam gefüllt nach unten. Dazwischen waren einige Schlacken. Oben auf lagen zwei steinerne Stempel und eine Gussform aus Stein.

Der Kriegshäuptling sprach: Shatterhand helfe dem Apachen, alles auf das große alte Pferd zu laden, dass er Susi nennt.

Ich tat wie geheißen und staunte nicht schlecht: Die Form enthielt 7 Vertiefungen: Eine befand sich in der Mitte, die anderen gruppierten sich sternförmig um diese. Alle entsprachen in Form und Größe einer 20-Dollar-Münze. Die Stempel sollten den Rohlingen das richtige Gepräge geben.

Klekij Petra, begann Winnetou, hatte eine solche Münze mitgebracht. Wir haben lange benötigt, die richtige Legierung und die passenden Stempel herzustellen. Seit uns dies gelungen ist, verwenden wir dieses Geld, um mit den Bleichgesichtern Handel zu treiben. Wir nutzen das Gold und Quecksilbergemisch, das wir unter dem Plateau des himmlischen Friedens finden, sowie die Schlacken für dessen Herstellung. Sobald es dunkel ist, werden wir zu den Pfaden des Feuerrosses reiten.

Als es dunkelte, flüsterte ich Hatta Titla das Wort: Chádoiarì ins Ohr, das: Lauf um Dein Leben bedeutet. Winnetou hatte dasselbe mit Susi gemacht, die dieses Kommando nicht kannte.

Als Hatta Titla in Galopp verfiel, hörte ich hinter uns die Steine knirschen und sah bald darauf Feinde auf uns lospreschen, unter ihnen Intschu Tschuna und Ratler. Susi, Feinde, rief ich einer Eingebung folgend.

Sofort setzte sich Sams Ackergaul in Marsch. Susi holte Hatta titla ein und lief Haken schlagend voraus.

Wir ritten — 33 Stunden lang mit 11 Meilen pro Stunde im Durchschnitt. Zu Tode erschöpft sahen wir endlich das Häuschen von Sams Eltern.

Volldampf nach St. Louis

Halt!, rief Mr. Hawkins, das Gewehr im Anschlag. Dann ließ er es sinken und sagte: Mein lieber Freund Winnetou, warum reitest Du Susi, und wo ist Sam?

Jerry Hawkins verzage nicht, antwortete Winnetou, sein Sohn lebt. Wir haben Susi geliehen, um schnell das Feuerross zu erreichen. Deine Squaw und Dich bitten wir, die Pferde zu pflegen, bis wir zurück sind.

Wir stiegen von den übermüdeten Tieren. In 12 Stunden würde die Bahn aus St. Louis kommen.

Bitte bringen Sie uns so viel Kohle, wie Sie haben, bat ich Sams Eltern, wir werden für alle Unkosten aufkommen.

Wie wir waren, legten wir uns in der Scheune ins Stroh.

5 Stunden später weckte mich Mr. Hawkins mit den Worten: Wir haben ein Frühstück vorbereitet.

Wir tranken literweise starken Kaffee und aßen Gebratenes: Brot, Schinken, Speck, Spiegeleier und Hackfleisch.

Woher kennst Du, fragte ich Winnetou, Mr. und Mrs. Hawkins?

Als ich vor 2 Jahren Beeren sammeln war, erzählte Mrs. Hawkins, sah ich, wie eine Horde Räuber einen Indianerjungen verprügelte. Er sollte ihnen den Fundort des Goldes verraten, von dem er etwas bei sich hatte. Ich allarmierte Jerry, der unsere Lore für das Material unter Dampf setzte. Wir erschreckten die Räuber mit einer Sprengladung. Sie dachten, wir hätten eine Kanone und flohen. Winnetou ließen sie zurück. 6 Wochen lang haben wir ihn gepflegt.

Die Lore steht bereit, sagte Mr. Hawkins, sie ist übervoll beladen.

Mr. Hawkins, Winnetou und ich fuhren den Schienen entlang zu einer spitzen Kurve, welche der Zug nur langsam nehmen konnte.

Löscht das Feuer, damit es uns nicht verrät, sprach Winnetou, spannt die Pferde an.

Der Zug kommt, rief Mrs. Hawkins, die Susi, Winnetous und ihr eigenes Pferd vorn an die Lore schirrte, worauf haben wir uns eingelassen? Auch mir war das Zischen der Schienen aufgefallen.

Schnaufend schoben wir beiden mit unseren Pferden von hinten, während Mrs. Hawkins und Winnetou mit ihren Tieren an der Lore zogen. Ein steiler Hang von 150 m Höhe war zu überwinden.

Das Ding ruckt keinen Millimeter, stöhnte Mr. Hawkins.

Ohne Fleiß kein Preis, keuchte ich.

Die Räder knirschten, im Schneckentempo ging's den Hügel hinan. Menschen- und Pferdeschweiß floss in Strömen, immer deutlicher war das Nahen des Zuges zu vernehmen.

Der Zug biegt in die Kurve, rief Mrs. Hawkins. Das steilste Drittel des Hügels hatten wir bewältigt.

Kriegsgeschrei der Meskaleros erscholl. 30 berittene Squaws rückten unter der Führung von Ndschotschi, Sam, Dick und Will von 2 Seiten auf den Hügel vor.

Wir haben uns bei den Kiowas mit Pferden bedient, sagte Ndschotschi, während je 8 dieser Tiere vorn und hinten an die Lore geschirrt wurden, und haben für jeden 2 mitgenommen, damit wir Tag und Nacht hindurch wechselnd reiten konnten.

Charly, bring Deine Kanone in Stellung, bat Dick, die haben auf dem Zug eine Wachmannschaft mit 5 Soldaten und 12 Cowboys.

Wir schießen in Richtung Zug, ergänzte Will, nicht auf die Leute. Das bringt unseren Damen die Zeit, sich zurückzuziehen und uns wenn nötig mit Pfeilen Deckung zu geben.

Nun arbeiteten alle angeschirrten Pferde an der Lore. Aus Schneckentempo wurde Schrittgeschwindigkeit.

Gerade rechtzeitig platzierten wir die Lore auf den Pfad des Feuerrosses, denn der Zug verließ die Kurve, und 20 Bewaffnete kamen in Schussweite.

Jetzt, kommandierte Ndschotschi, die den Oberbefehl übernommen hatte.

Winnetou, Sam, Dick, Will und ich waren dem Zug entgegengelaufen und schossen. Geschützt durch unseren Kugelhagel schlichen sich die Indianerinnen seitlich an. Als sie 50 Schritt von den Schienen entfernt waren, auf denen der Zug heranrollte, schossen sie ihre Pfeile ab, die manches Fenster durchschlugen.

Die Bleichgesichter mögen sich ergeben, dann wird ihnen nichts geschehen. Winnetou, der Häuptling aller Apachen hat gesprochen. Hough!

Der Zug war stehen geblieben. Die Cowboys sowie die sehr gut bewaffneten Soldaten richteten ihre Läufe auf uns aus.

Alle Apachen! Der Lockführer bekam einen gehörigen Schreck.

Wir lassen uns nicht erpressen, rief der Führer der Wachmannschaft, ein junger Sergeant, der es auf eine Beförderung abgesehen hatte, schon gar nicht von einer Horde Insmen unter Führung von weißen Banditen!

Der wohl gezielte Pfeil Ndschotschis fegte dem Sergeanten die Mütze vom Haupte. Alle lachten, besonders seine Soldaten. Der gekränkte Unteroffizier zielte auf Ndschotschi, und ich schoss auf seinen Arm. Beide Schüsse krachten gleichzeitig. Der des Offiziers pfiff an Ndschotschis linkem Ohr vorbei, meiner durchschlug den Kolben seines Gewehres und machte die Waffe unschädlich. Unschlüssig standen die Cowboys und Wachleute.

Gents, sagte ich, Wir werden jedem von Ihnen 20 Dollar auf den Schreck geben, und noch doppelt so viel, wenn Sie es in 24 Stunden schaffen, mit unserer Ladung hier zurück zu sein.

Die Cowboys riefen erfreut: 60 Dollar für 24 Stunden Arbeit! So viel verdienen wir in 6 Wochen.

Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu, sprach der Sergeant, der nicht nur ehrgeizig, sondern auch noch redlich war.

Winnetou und Ndschotschi hatten sich mit Zeichen verständigt, die Winnetou nur erahnte, aber als Halbgeschwister wussten sie genug voneinander, um aufgrund von Ahnungen sichere Schlüsse zu ziehen. Von 3 Seiten her näherten wir uns dem Dach des ersten Wagens, auf dem der Sergeant stand. Ich schob mich zwischen mehreren verwirrten Cowboys hindurch. Winnetou hatte mir ja das Anschleichen beigebracht, und der Zug machte immer noch solchen Lärm, dass niemand uns kommen hören konnte. Die Rauchschwaden hielten uns unsichtbar, solange wir auf Händen und Füßen dahinglitten oder die Wagenwände hinaufkraxelten.

Mein Fausthieb streckte den Sergeanten nieder. Sofort fesselten wir ihn.

Inzwischen hängten Dick und Will die Lore vorn an die Lock und setzten sie unter Dampf. Winnetou und ich befeuerten die Lock, und es ging rückwärts weiter.

Wollen Sie uns ins Jenseits befördern?, fragte der Maschinist, den Druck und die Hitze hält die Maschine nie aus!

Mr. Bond hatte uns erzählt, dass er keine Kosten scheute, um die Maschinen so sicher zu machen, wie es die Technik erlaubte. Schließlich, hatte er gesagt, als wir die Verträge begossen, kann es zum Kampf mit Indianern oder Banditen kommen, da muss ein Kessel Streifschüsse und Höllenfahrten abkönnen.

Jetzt sehen wir mal, meinte ich großspurig, was das Versprechen unseres obersten Chefs wert ist. Wir müssen auf eine Geschwindigkeit von 100 Meilen pro Stunde kommen. Und mit der großen Hitze können wir Winnetou helfen.

Was meint Kalle? Ein paar Quarzsteine habe ich überall, wo es ging, mitgenommen. Jetzt können wir sie mit der Asche der Kohle zusammenschmelzen und damit ein großes Stück Glas herstellen. Das wird Mr. Henry für Dich zurechtschleifen. Heute Abend wirst Du besser in die Ferne sehen als je zuvor.

Unglaublich, rief der Lockführer begeistert, unsere Durchschnittsgeschwindigkeit liegt normalerweise bei 33 Meilen die Stunde. Bisher habe ich gedacht, dass die Maschine für eine Spitzengeschwindigkeit von 45 Stundenmeilen ausgelegt ist. Jetzt sind wir bei 78 und werden immer noch schneller. Ob wir wohl die 100 knacken?

Wenn wir das schaffen und durchhalten, entgegnete ich, brauchen wir bis St. Louis 10 Stunden. Danach werden wir etwa 4 Stunden bei Mr. Henry benötigen, um die Waffen zu besorgen, weitere bei ihm zu bestellen und aufzuladen. Dann müssen wir das Kunststück wieder vollbringen und bis Oxwill zurückfahren. Bis wohin ist in Richtung Santa Fè gebaut worden?

Wir sollten gestern fertig sein, meldete sich der Sergeant, aber man hat uns telegraphiert, dass die Strecke erst übermorgen befahrbar sein wird. Was haben Sie denn mit den Waffen vor, und was werden Sie mit uns unternehmen?

Ich erzählte ihm von unserem Krieg mit den Kiowas, und dass wir die Waffen benötigten, um uns gegen sie verteidigen zu können.

Wenn wir das schaffen, rief der Maschinist, wird die Strecke gerade bei unserem Eintreffen geöffnet. Ich wette, dass Mr. Bond alles versucht, uns zu benachrichtigen.

95 Stundenmeilen, rief der Lockführer, als wir einen steilen Berg heraufbrausten, gleich geht's hinab in die Ebene. Alle schwitzten, da wir ständig Kohlen hin und Asche fortschaufelten.

111 Meilen, verkündete der Lockführer.

Verdammt, rief ein Soldat, als wir durch ein enges Tal brausten, Banditen haben einen Schuttwall auf die Schienen geworfen.

Der Lockführer entgegnete: Schneller! Die Dreckkrümel fegen wir weg, und bei unserem Tempo müssen die Banditen sehen, dass sie Land gewinnen!

Noch eifriger befeuerten wir die Kessel. Die Maschinen stampften bedenklich. Schüsse krachten von beiden Seiten.

Das haben die bestens eingefädelt, meinte der Sergeant, den wir befreit hatten, planmäßig soll der Goldtransport kommen, und aus der anderen Richtung nähert sich ein Viehtransport. Hier müssen die Züge langsam fahren. Erst nach einer Kurve kommen sie aneinander vorbei. Offensichtlich ist der Goldtransport wegen uns verspätet, und der Viehtransport kommt an die Kurve. Da gibt 's nur eins: aus allen Rohren feuern, egal wohin, damit die vom Viehtransport merken, dass Gefahr im Verzug ist.

Alle feuerten, als der Zug mit 115 Stundenmeilen (über 186 km/h) den Erdwall von den Schienen fegte. Die Banditen, die sich daauf postiert hatten, stoben davon. Bald waren weitere aufstiebende Menschen und Pferde zu sehen.

Unvermindert schnell rasten wir weiter. Die Sirenen hatten wir auf Dauertuten gestellt, um Druck von den Maschinen zu nehmen sowie Menschen und Tiere vor uns zu warnen.

Nach 8 ½ Stunden legten wir eine Pause an den Maschinen ein. Fast die gesamte Kohle war verfeuert.

Jetzt müssen wir ausrollen, sagte ich, damit wir in der Nähe von Mr. Henrys Schmiede zum Stehen kommen. Bitte weisen Sie uns einen Punkt an, wo andere Züge uns passieren können.

Dafür gibt es in 15 Meilen Gelegenheit, sagte der Zugführer.

Als St. Louis in Sicht kam, betrug unsere Geschwindigkeit genau 100 Stundenmeilen, also 161,83 Stundenkilometer. Knapp 5 Min. später lagen wir bei 45 Stundenmeilen, und der Zugführer lenkte uns in einen Seitenstrang.

Diese Weiche führt an einem Teich vorbei, erklärte er, an dem man Wasser aufnehmen kann. Der Seitenstrang ist 6 Meilen lang. Nur gut, dass uns das Wasser nicht ausgegangen ist und wir hier nachfüllen können.

Genau an Mr. Henrys Mühlteich rollte der Zug aus. Winnetou, Sam, Dick, Will, die 5 Soldaten samt ihrem Sergeanten und ich sprangen ab und baten die anderen, die Rückfahrt vorzubereiten.

Das Auge Winnetous

Mr. Henrys Hütte sah ärmlicher aus als bei meinem letzten Besuch. Verzagt fragte ich: Ist Mr. Henry krank oder tot?

Wenn, flüsterte der Apache, seit kurzer Zeit. Winnetou riecht Rauch aus dem Abzugsloch. Also muss noch Feuer brennen. Kalle, Sam, Dick und Will: Wir schleichen zur Hinterseite der Hütte und erkunden, ob es etwas zu belauschen gibt, denn Winnetou scheint, dass Fremde hier sind. Die anderen mögen ihre Waffen entsichern und uns folgen, sobald wir außer Sicht kommen.

Wir robbten die gut 200 m zum Hintereingang. Kaum 5 m davor gab es eine kleine Anhöhe, hinter der wir Deckung fanden.

Durch die offene Hintertür sahen wir 5 Personen: Mr. Henry saß auf seinem Bett. Vor ihm stand ein geschniegelter Herr im gebügelten Anzug und weißen, blank geputzten Lederschuhen. Er war, wie wir bald erfuhren, einer der Direktoren der Banc of America und aus Kansas City angereist. Neben ihm standen drei bewaffnete Polizisten. All das sahen wir schemenhaft. Doch was wir deutlich hörten, ließ uns das Blut in den Adern gefrieren. Der Aufgeputzte nämlich sprach:

Wir werden nicht auf 36.000 Dollar warten, wo Sie, Mr. Henry, nur Ideen vorweisen!

Währenddessen beobachteten wir, wie Mr. Henry in sich zusammenfiel. Ohne Gnade setzte der Bankdirektor fort:

Der Wert Ihrer Habe liegt bei 3.600 Dollar. Sollte Captain Albright bezahlen, kämen weitere 7.200 dazu; insgesamt 10.800 Dollar, 30 % der Schulden. Sie sind bankrott.

Verzweifelt hob der Waffenschmied sein Kissen an und zog darunter eine zu groß geratene Pistole hervor. Er richtete sie aus dem Fenster auf die über 600 m weit entfernten Bäume und sagte kleinlaut: Bitte, Mr. Wolace, überzeugen Sie sich doch. Mein Stutzen wird die Kriegstechnik mit seinem neuen Mini-Zielfernrohr und den 25 Schuss revolutionieren, die man pro Ladung abfeuern kann! Wir werden alle reich, wenn Sie einige Monate warten und mir noch einmal 12.000 Dollar zur Herstellung des neuen Stutzens vorstrecken wollten!

Bitte tun Sie Ihre Pflicht, sprach Mr. Wolace zu den Ordnungshütern, nehmen Sie den Herren die Waffe ab und setzen Sie ihn fest!

Da sprang ich aus der Deckung. Winnetou, Sam, Dick und Will folgten mir und richteten ihre Waffen auf die Polizisten. Ein Schuss aus dem Bärentöter ließ des Bänkers Hut durchlöchert zur Erde fallen.

Wählen Sie, Mr. Wolace, begann ich, entweder Sie werden sofort sterben, oder Mr. Henry bekommt 6 Monate Galgenfrist. Sollten Sie sich für letzteres entscheiden, kommen Sie alle mit Dollars in den Taschen weg. Mr. Henry erhält heute den Auftrag, uns so schnell wie möglich 100 Bärentöter zu liefern. 300 Dollar kostet das Stück, also beträgt die Summe 30.000 Dollar. Wir bezahlen in bar.

Nun brachten die Soldaten das Packpferd, das die frisch geprägten Münzen trug.

Woher stammt das Geld?, fragte einer der Polizisten.

Es stammt aus dem Gebiet der Apachen, sprach Winnetou, wir haben es aus unserem Gold gewonnen.

Haben Sie eine Lizenz zum Prägen?, fragte der zweite Polizist.

Ich werde mir dieses Geld näher ansehen, sagte Mr. Wolace.

Er nahm 20 Münzen aus den Beuteln und schaute sich jede unter einer starken Lupe genau an; offensichtlich war er ein Falschgeldexperte. Danach nahm er sich eine der zuvor untersuchten Münzen, um diese chemisch zu analysieren. Mit dieser ging er zur Esse und entzündete dort ein Feuer. Er legte das Geldstück in einen Tiegel und suchte aus Mr. Henrys Werkstatt einige Pülverchen zusammen, die er um eines ergänzte, das er mitgebracht hatte. Er schmolz die Münze, verteilte die Schmelze auf mehrere Reagenzgläser und fügte den Proben Priesen der Pülverchen hinzu. Schließlich war von der Münze ein Klümpchen reinsten Goldes und ein dicker Tropfen Quecksilber übrig geblieben.

Die Münzen entsprechen exakt 20­Dollar­Stücken, erklärte Mr. Wolace, kommen aber aus einer nicht autorisierten Quelle. Wir können das Geld legalisieren: Mr. Henry, Sie haben offensichtlich sehr reiche Freunde bei den Indianern. Die Banc of America kann aus Goldvorräten unter Absprache mit der Bundesregierung Geld prägen. Also werden wir die Münzen der Apachen unserem Goldvorrat hinzufügen. Mr. Henry, die Apachen haben uns ihr Gold gegeben, um die Waffen zu bezahlen, die sie bei Ihnen bestellt haben. Demnach reduzieren sich Ihre Schulden. Wir rechnen Ihnen 20.000 Dollar an. Einschließlich der erbetenen 12.000 beläuft sich Ihr Kredit nun auf 28.000.

Und wer bezahlt unseren Einsatz?, fragte einer der Polizisten.

Auch den wird Winnetou mit dem Golde der Apachen begleichen, antwortete ich und fragte: Sind 300 Dollar genug?

Natürlich, sagte der Polizist, warf aber gleich darauf ein: Wir brauchen eine unterschriebene Übertragungsvereinbarung, und daran wird es scheitern. Indianer können ja nicht lesen und schreiben.

Winnetou liest und schreibt in Englisch, Spanisch und Deutsch, antwortete der Apache.

Bald darauf waren die Polizisten mit 15 Münzen aus unseren Beuteln und den Unterschriften versorgt. Sie packten den Goldvorrat auf ihre Pferde.

Das sind mindestens 160 kg Gold, sprach einer der Polizisten.

Stimmt, antwortete Mr. Wolace, damit erhalten die Apachen noch 30.000 Dollar, denn so viel ist das reine Gold aus den Münzen wert.

Damit bezahlen die Apachen weitere 500 gute Gewehre im Voraus, sagte ich, die Mr. Henry uns bis zum Ende dieses Jahres herstellen soll.

Nun erklärte der Waffenschmied selbstbewusst: Es wird Zeit, Ihnen meinen Henry­Stutzen zu zeigen. Mit diesem Repetiergewehr können Sie aus bis zu 1500 Schritt Abstand sicher ein kleines Ziel treffen und 25 Schuss pro Ladung hintereinander abfeuern. Der Henry­Stutzen lässt sich nur in Einzelanfertigung herstellen. Doch habe ich ein Gewehr mit ähnlich gutem Zielfernrohr aber 10 Schuss pro Ladung hergestellt, das ich ebenfalls demonstrieren kann und sich für die Massenproduktion eignet.

Mr. Henry reichte mir die Waffe, die er kurz zuvor unter seinem Kissen hervorgezogen hatte. Er sagte: Mr. May, bitte schießen sie in jede Zielnummer auf der kleinen Scheibe, die Sie dort im Baum sehen. Das sind genau 25 Nummern: 12 im äußeren, 7 im mittleren, 5 im inneren Kreis und eine in der Mitte.

Ich schaute nach den gut 800 m weit entfernten Bäumen. Tatsächlich hing in etwa 2 m Höhe eine kleine Zielscheibe. Doch konnte ich alle Löcher durch das Zielfernrohr hervorragend sehen. Meine Schießkünste hatten sich verbessert, doch ob es reichen würde, alle Nummern auf Anhieb zu treffen, das, so glaubte ich, stünde in den Sternen.

Ich versuchte mein Glück: 25 Schüsse krachten, 25 Löcher entstanden an den vorgesehenen Plätzen.

Bravo! Der sonst so reservierte Mr. Wolace klatschte begeistert und rief: Ich will auch so einen Stutzen!

Den mach ich Ihnen im Laufe der nächsten Woche, sagte Mr. Henry, er kostet 1.000 Dollar.

Nun das Gewehr für die Massenproduktion, begann er von neuem. Mit jeder Äußerung schien sein Leib gleichsinnig zu seinem Selbstbewusstsein zu wachsen. Er wandte sich an Winnetou und sprach: Offensichtlich sind Sie ein guter Freund von Mr. May.

Vìnetu Devíje Chadeschò, das bedeutet in Eurer Sprache: Sein Blut Rinnt Feurig Für Gerechtigkeit, ist der Kriegshäuptling aller Apachen, stellte er sich mit vollem Namen und Titel vor und ergänzte: Er ist der Blutsbruder Carl Mais und ein Fleisch mit ihm.

Mr. Henry sagte: Mr. Mai, meinen Bärentöter haben Sie vom Misserfolg zum Paradestück gemacht. Darum schenke ich Ihnen diesen Henry­Stutzen. Mr. Winnetou, Ihnen als dem Häuptling der Apachen widme ich diesen Prototypen der Henry­Gun. Für Sie werde ich Ihren Namen und Ihren Titel mit Silbernäägeln auf den Schaft löten.

Er reichte Winnetou jene Büchse, die Karl May Silberbüchse nennt, und mit der er Winnetou allerhand erfundene Heldentaten bestehen lässt.

Uff, mit dem Zielfernrohr sieht Winnetou besser, begann der Apache, aber er wird damit nicht die Löcher in den inneren Kreisen der Zielscheibe treffen.

Dafür, sagte ich, haben wir den Brocken Glas auf der Fahrt hergestellt. Daraus schleift Mr. Henry Dir ein Monokel, mit dem Du weiter sehen kannst als alle anderen.

An die Arbeit, rief Mr. Henry begeistert, damit wir noch heute fertig werden, müssen Sie mir alle zur Hand gehen.

Und so geschah es auch. Knapp 2 Stunden später hatte der Häuptling aller Apachen ein Monokel vor dem rechten Auge. Er zielte mit der Silberbüchse auf die Scheibe und schoss das Magazin lehr. Alle Kugeln trafen ihre Ziele in den inneren Kreisen.

Nun verkündete Mr. Wolace: Mr. Henry, Mit dem Golde der Apachen sind Ihre Schulden beglichen, und wir liefern Ihnen für die nächsten drei Monate alle notwendigen Materialien kostenfrei. Außerdem lassen wir Ihnen 150 Münzen hier. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Gewinn und richte Ihnen im Namen der Banc of America aus, dass wir uns auf weitere Geschäfte mit Ihnen freuen.

Vielen Dank, Mr. Wolace, antwortete der Waffenschmied leutselig, ich habe immer gesagt: wir werden reich!

Die Soldaten, Sam, Dick, Will, Winnetou und ich gingen zum Waffenlager und räumten es aus. Darin befanden sich 139 Bärentöter. Wir nahmen 100 für die Apachen mit und bewaffneten die Polizisten, die Cowboys und uns selbst.

Winnetou umarmte vor Freude über sein neues Auge Mr. Henry. Die Apachen stehen tief in Deiner Schuld, sprach er, wann immer Du ihre Hilfe benötigst, lass es uns wissen, und 1000 Krieger werden Dich mit ihren Waffen unterstützen. Winnetou hat gesprochen. Hough!

Triumphzug — in den Tod?

Bald rasten wir mit über 100 Stundenmeilen südwärts. Um Mitternacht erreichte uns Ndschotschi mit ihren 30 Squaws und jenen Dieben im Schlepp, die uns bei der Herfahrt aufgelauert hatten. Ihr Fluchtversuch nach Süden hatte sie in die Arme von Ndschotschis Amazonen getrieben.

Alle in den Zug, rief der Lockführer, die Herren Diebe dürfen Kohlen schippen.

In Oxwill nahmen wir Wasser und Kohle auf. Am Mittag erreichten wir mit den letzten Krümeln Koks den Haltepunkt von Santa Fè. Viele Leute jubelten uns zu.

Meine Damen und Herren, Mr. Bond, der Direktor der Pacific Rayl Road Western Company, begrüßte uns, Mr. Hawkins Senior hat uns telegraphiert, und hier sind Sie. Diese Fahrt wird in die Geschichte der Eisenbahn eingehen. Wir wissen jetzt, dass unsere Maschinen Höllenfahrten aushalten. Bitte feiern Sie alle mit uns!

Leider müssen wir weiter.

Während ich das sagte, kam Mr. Bond zu mir und flüsterte: Der Geheimauftrag? Ich gab dem Direktor meinen Bericht, ein in kleiner Schrift eng und doppelseitig beschriebenes Notizblatt.

Die Sache mit Ratler muss geräuschlos erledigt werden. Mr. Bond sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand, der Kerl hat gute Freunde in der Banc of America.

Laut und an alle gewandt sagte er: Wir haben für Sie alle frische Pferde mitgebracht. Jedes haben wir mit 25 kg Munition beladen. So wollen wir die Apachen unterstützen und hoffen darauf, dass wir dafür die Genehmigung erhalten, unsere Bahn durch ihr Gebiet zur mexikanischen Grenze zu bauen. Wir wünschen Ihnen alles Gute in Ihrem Kampf.

Kurz darauf ritten wir los. Wir wollten in einem Gewaltritt am nächsten Tag das Plateau des himmlischen Friedens erreichen. Dieses Gelände würden wir mit den Bärentötern gegen eine zwanzigfache Übermacht der Kiowas lange verteidigen können.

Doch keine halbe Stunde vor dem Ziel überfielen uns die Kiowas mit vielen gut bewaffneten Banditen. Intschu Tschuna und Ratler führten sie an.

Winnetou zögerte keinen Augenblick. Der Verräter der Apachen erhalte seine Strafe! Mit diesen Worten legte er auf den gut 800 m entfernt stehenden Intschu Tschuna an und schoss. Noch bevor er fiel, sah ich an seinem Leib ein klaffendes Loch.

Er stirbt herzlos, meinte Will, wie er gelebt hat.

Ich musste lachen. Das lenkte mich einige Sekunden ab.

Die nutzte Ratler, um zwei Schüsse abzugeben. Einer traf Winnetou, der andere Ndschotschi. Beide fielen.

Ratler, fahr zur Hölle!

Mit diesen Worten legte ich den Henry­Stutzen an und schoss. Ratler war in einem Pulk von Kiowas in Deckung gegangen. Ihn gezielt zu töten, wäre selbst geübten Schützen kaum gelungen. Also schoss ich in die Menge der Kiowas und versuchte, ihre Beine zu treffen. 25 Schüsse krachten, 25 Leute fielen, ob tot oder lebendig, wusste ich nicht.

Nun wandte ich mich Winnetou und Ndschotschi zu. Eine Kugel steckte in Winnetous Brust, die andere war Ndschotschi durch den Hals gedrungen. Beide röchelten und würden sterben.

Leise weinte ich, während ich, eher als Geste denn als Hilfe gedacht, die Kugel aus Winnetous Brust entfernte und beide Wunden fest verband, die meiner Liebsten und die meines Bruders. Als Grabbeigabe hängte ich Ndschotschi meine Taschenuhr an den Schild.

Kalle, sprach Ndschotschi — und verlor das Bewusstsein.

Skalpier Ratler.

So sprach sterbend Winnetou. Ich sollte seinen Tod rächen, aber nur durch das Zeichen meines Sieges. Winnetou, so war ich fest überzeugt, wollte mir damit zeigen, dass er ein Christ geworden war und ich ihn deshalb im Paradiese wiedersehen würde.

Ich band Ndschotschi auf Hata Titla und Winnetou auf sein Pferd. beide Tiere ließ ich fortlaufen, Richtung Plateau des himmlischen Friedens. Niemand achtete auf sie, denn die Schlacht tobte noch.

Sam, Dick und Will hatte ich im Getümmel verloren. Anstatt fortzulaufen, wandte ich mich nach dem Lager der Kiowas, um dort das Nötige für den Ritt nach Santa fè zu stehlen. Ich dachte: "Da werden die mich nie vermuten."

Doch schon sah ich Pida und gut 200 Kiowas langsam auf mich zureiten. Sobald sie mich sähen, würde ich ihnen kaum entkommen können.

Ganz nahe gab es einen Hügel in Form eines Fisches, den ich von überall wiedererkennen würde. Auf dessen Gipfel grub ich meine Waffen ein.

Kaum war ich damit fertig, erreichten mich Pida und — ich war sprachlos — Nolen Ratler.

Du wolltest mich zur Hölle schicken, Greenhorn, sprach er fröhlich vom Pferd herab, da kommst Du jetzt rein!

Noch w�hrend er sprach, war ich auf ihn losgesprungen. Mein Fausthieb warf ihn vom Pferde und nahm ihm die Sinne. Doch Pidas Angriff war ich nicht gewachsen.

Dankeschön, sprach er, dass Du es Ratler kräftig besorgt hast. Den Kerl kann ich überhaupt nicht leiden. Aber was sein muss, muss sein. Dich nehme ich mit als Beute. Er hievte mich auf sein Pferd, band mich dort fest und ging zurück zu seinem Lager.

Kommers der Häuptlinge

Bald befand ich mich am Marterpfahl. Nach den Sitten der Kiowas verließen Frauen und Kinder für die Siegesfeier das Lager.

Tangua grinste mich an und sprach: Schüler Shatterhand! Du hast mich zum Krüppel geschossen. Dafür wirst Du morgen gemartert. So verschaffe ich meinem Geschäftspartner Ratler Genugtuung, der immer noch besinnungslos ist. Unser Medizinmann, Ohne Federn, meint, dass er bis übermorgen im Lande der Träume weilen wird. Sobald Ratler erwacht, wird Deine Marter beginnen.

Wie großzügig, Tangua, mir 24 Stunden Lebenszeit zu gewähren, sprach ich, da kann viel passieren. Pass auf, dass nicht am Ende der falsche am Boden liegt!

Du drohst mir? Mein Leben ist verloren, entgegnete ich.

Shatterhand ist mein Gefangener, brüllte Pida, ich sage, was mit ihm geschieht. Wenn er Ratler dazu bringt, dass er uns die Schulden erlässt, lasse ich ihn frei! Ich mag Shatterhand. Alle Kiowas, die er angeschossen hat, leben noch. Und wenn er Dich nicht vor dem Gewehr des Schlafenden Bären gewarnt hätte, wärest Du tot, Paps! Shatterhand ist ein Freund der Indianer, aber dieser Ratler!

Lasst mich gegen ihn kämpfen, sprach ich, er hat einen unserer Bauarbeiter ermordet. Dafür muss er vor ein Gericht der Vereinigten Staaten.

Genau, rief Pida begeistert, den schleppen wir gemeinsam nach Santa Fè, die Weißen werden es uns danken, und dann zwingen wir die Apachen in die Knie!

Es geht doch um die Schulden, ereiferte sich Tangua, die Banc of America ...

Das regle ich, trumpfte ich auf, Mr. Bond, der Direktor der Pacific Rayl Road Western Company, wird Eure Schulden für nichtig erklären. Er ist mir einen großen Gefallen schuldig.

Toll, rief Pida.

Der will seine Haut retten, schnappte Tangua.

Quatsch, Paps, rief Pida aus, Shatterhand ist mein Freund, und wenn er was sagt, dann ist das wahr. Der Ratler, dieser Hund, der war das bestimmt vor knapp 7 Jahren, der hat unserem Dorf die Blattern auf den Hals geschickt, mit den Decken, worin die Gewehre und der Whiskey eingewickelt waren.

Du machst, was Dein Häuptling sagt, brüllte Tangua.

Vater und Sohn unterhielten sich in der Sprache der Kiowas, die ich leidlich verstand. Mehr und mehr junge Krieger scharten sich um Pida. Wie auf Kommando skandierten sie:

Fordere ihn heraus, Pida! Fordere ihn heraus! Wir wollen Dich als Häuptling! Wir wollen Dich als Häuptling!

Ihr Undankbaren! Tangua richtete sich zu voller Größe auf, was ihm wegen seiner Verletzungen große Schmerzen bereitete. Durch meine List haben wir vorgestern einen glänzenden Sieg gegen die Apachen erzielt. Heute haben wir einen Gefangenen gemacht und 100 sehr gute Gewehre erbeutet. Wenn Ihr mir folgen würdet, könnten wir morgen früh die verfluchten Apachen in die Knie zwingen, bekämen Zugang zu ihrem Golde und könnten unsere Schulden bei der Banc of America bezahlen!

Ein junger Krieger rief: Pida hat vorgestern 40 Apachen mit der Faust umgehauen. Du dagegen bist ein Krüppel, Tangua. Wie willst Du uns im Krieg führen? Wir wollen Pida!

Tritt ab, Tangua! Wir wollen Pida!

Der Tumult wurde immer stärker. Tangua gebot Stille. Er sprach:

Volk der Kiowas, ich, Tangua, noch Euer Häuptling, suche nun den Häuptlingskampf mit meinem Sohne Pida. Doch will ich Regeln und Waffen des Kampfes bestimmen.

Dies steht Dir zu, antwortete der Krieger, der Tangua einen Krüppel genannt hatte.

Tangua setzte fort: Bringt drei Whiskeyfässer, und lasst uns ordentlich trinken. Jeder bekommt einen vollen Becher, außer Peda, Ohne Federn und mir. Sobald alle Becher leer sind, werden Pida und ich gegeneinander antreten. Ohne Federn füllt 2 Feldflaschen. Jeder von uns trinkt eine aus und singt danach das Lied des Todes. Sodann werden die Flaschen wieder gefüllt. Während wir kämpfen, dürfen die anderen nichts zu sich nehmen. Wir werden weiter trinken und nach jeder geleerten Feldflasche das Todeslied singen, bis einer fällt. Der Gefallene hat verloren. Sind die Krieger der Kiowas einverstanden?

Hough! Alle, einschließlich Pida, riefen es unisono.

Jeder Krieger erhielt einen Lederbecher Whiskey. Die Becher fassten eine halbe Pinte.

"Warum macht Tangua seine Leute betrunken?", fragte ich mich.

Mir ging ein Licht auf.

ich schaute Pida an und bat ihn leise zu mir. Er kam, und ich flüsterte: Ich werde aufpassen, ob Dein Herr Vater nach den Regeln spielt!

Wenn Du was rauskriegst, antwortete er, lass ich Dich frei!

Die Krieger hatten ihre Rationen geschluckt. Nun füllte Ohne Federn eine Feldflasche für Tangua. Ich sah genau hin und merkte, dass er vorsichtig aus einem Beutel 2/3 der Flasche füllte und erst danach mit Whiskey ergänzte.

Der Krieger, der Tangua als Krüppel bezeichnet hatte, verschluckte sich und warf den vollen Becher wütend fort. Er würde nüchtern bleiben und alles mitbekommen.

Daher schaute ich zu ihm und rief: Du!

Du stinkender bleichgesichtiger Hund! Wagst es, Stark Mit Der Zunge anzusprechen!

Oh Krieger der Kiowas mit dem beredten Namen, die Geister haben Dich vor dem Whiskey bewahrt. Magst Du mit mir aufpassen, dass alles nach den Regeln läuft? Ich bin sicher, dass Tangua falsch spielt.

Das würde zu ihm passen, knurrte Stark Mit Der Zunge, als er zu mir ging, Was hast Du gesehen?

Ich erzählte ihm, was ich beobachtet hatte.

Stark Mit Der Zunge antwortete: Ab jetzt gebe ich acht. Wünsch Dir Tanguas nächste Flasche, dann können wir sie untersuchen.

Tangua hatte ausgetrunken. Nun füllte Ohne Federn die Flasche für Pida, zum Überlaufen voll mit Whiskey.

Währenddessen trug Tangua das Lied des Todes pathetisch vor. Dessen erste Strophe lautet:

Heute soll ich sterben.

Die Welt muss ich verlassen.

Doch ich bin stark und mutig.

Ich mache keine Schande

Dem Stamm und meinem Volke.

Stolz soll mein Vater auf mich sein.

Stolz soll die Mutter sagen:

Er starb in Ehre!

Jede der folgenden 11 Strophen war um einen Vers länger als die vorige und endete mit den Worten: Er starb in Ehre.

Obwohl die Prozedur lange dauerte, nahm ich keine Alkoholwirkung an Tangua wahr. Ndschotschi hatte mir erzählt, dass einige Indianer Alkohol ebenso gut vertragen wie wir Weißen. Tangua mochte zu diesen Ausnahmen gehören. Doch eine Feldflasche fasst in den USA eine Pinte, also 0,6 l. Selbst wenn davon nur ein Drittel reiner Whiskey war, musste ich mich sehr wundern.

Volk der Kiowas, rief ich daher, ich bitte Dich, mir einen letzten Wunsch vor dem Tode zu erfüllen!

Inzwischen füllte Ohne Federn für Tangua die nächste Feldflasche, in derselben Prozedur wie bei der letzten.

Was wünscht das Bleichgesicht?, fragte Tangua.

Lasst mich diese Flasche austrinken und danach mein Todeslied singen.

Gewährt, rief Stark Mit Der Zunge. Tangua wagte keinen Widerspruch.

Stark Mit Der Zunge nahm die Feldflasche aus der Hand des Medizinmannes, roch daran und trank einen kräftigen Schluck daraus. Dann gab er diese an mich weiter.

Ich stürzte deren Inhalt hinunter und begann mit meinem Todeslied. In meiner Muttersprache sang ich langsam, lauthals, aber nicht besonders schön:

Jesu, meine Freude!

Meines Herzens Weide!

Jesu, meine Zier.

Ach, wie lang, ach lange

Wird dem Herzen bange

Und verlangt nach Dir.

Gottes Lamm, mein Bräutigam!

Außer Dir soll mir auf Erden

Gar nichts liebers werden!

Ich sang alle Strophen dieses Chorals. Pida und seine Anhänger waren nach dem zweiten Verse inbrünstig eingestimmt.

Mittlerweile lagen viele Krieger volltrunken am Boden. Doch an Tangua war nichts zu bemerken.

Als Pida ausgetrunken hatte, sang auch er das Todeslied. An dessen Ende wurde klar, dass er nicht mehr nüchtern war.

Ohne Federn machte die Spezialmischung für Tangua zurecht, doch Stark Mit Der Zunge hatte es bemerkt und rief: Tangua spielt falsch!

Wieso?, fragten einige Krieger, die noch bei Sinnen waren. Stark Mit Der Zunge erklärte es ihnen.

Wir holen die große Flasche, sprach ein alter Häuptling.

Diese fasste einen ganzen Liter. Das Gefäß wurde zum Überlaufen mit Whisky gefüllt.

Stark Mit Der Zunge nahm selbst einen Schluck, gab dem alten Häuptling einen, dann reichte er die Flasche mir.

Nachdem wir bezeugt hatten, dass deren Inhalt reiner Whisky war, gab er diese mit nur einem Wort an Tangua weiter: Trink!

Tangua gab sich geschlagen und trank alles aus. Über eine halbe Stunde verging.

Das Todeslied konnte er nur noch nuscheln. Zwei Verse vor dessen Ende fiel er um.

Pida ist Häuptling! So riefen die Kiowas.

Shatterhand, Du bist frei!, brüllte Pida. Während Stark Mit Der Zunge die Fesseln löste, ergänzte er: Jetzt wird gesoffen! Bald darauf lagen alle Kiowas volltrunken am Boden.

Im Dorf fand ich eine Koppel mit 15 Pferden der Apachen. Ich führte sie zu den erbeuteten Waffen. Die Pferde belud ich mit den neuen Bärentötern. Nun lenkte ich die Tiere fort vom Dorfe und rief ihnen das Kommando: Chádoiarì déjenò zu (lauf um Dein Leben nach Haus). Die Pferde gehorchten.

Mit einem Reittier und einem Bärentöter ritt ich in Richtung Plateau des himmlischen Friedens. Wenig später grub ich den Bärentöter und den Henry­Stutzen aus und ritt zurück ins Lager der Kiowas. Ich ging zu Pida und hockte mich vor ihn hin.

Pida, flüsterte ich, obwohl ich wusste, dass er kein Wort verstehen würde, Du hast mich immer behandelt wie Deinen besten Freund. Deshalb gebe ich Dir meine Gewehre. So bist Du gut bewaffnet, wenn die Apachen angreifen. Jetzt gehe ich. Zurück nach Deutschland. Beinah wäre ich zum Massenmörder geworden, ich habe meine Liebe und meinen Bruder verloren, und mit dem großen Geld hat es auch nicht geklappt. Ich gehöre dorthin, wo ich herkomme.

15. Zurück in Deutschland

Kreis geschlossen

Ich verkaufte das Pferd, arbeitete ein Jahr lang bei Mr. Stonebread und sandte 500 Dollar nach Haus. Doch war meine Sehnsucht so groß, dass ich gleich darauf als Matrose in Richtung Hamburg anheuerte und nach Leipzig zurückkehrte.

Früh am Neujahrstage 1886, meinem ersten Tag auf See, hatte ein Brand meine Eltern und Geschwister getötet. Das erfuhr ich am 4. Januar 1889, als ich in Leipzig ankam. Die Stadtverwaltung hatte mit dem Geld, das ich nach Haus geschickt hatte, die Kosten der Pflege für die Gräber meiner Lieben für zwanzig Jahre beglichen.

Wer ohne Abschluss mit einer 5 in Betragen Arbeit sucht und keine Wohnung nachweisen kann, hat schlechte Karten. So wurde ich ein Vagabund, der zwischen Leipzig und Rostock umherzog. Bei schlechtem Wetter verbrachte ich die freie Zeit in öffentlichen Bibliotheken, um meinen Geist wach zu halten. Wie ich ins Zuchthaus kam, habe ich erzählt. Der Kreis ist geschlossen.

Carl Mai

Zuchthaus Leipzig, beendet am 12. Juni 1900

Aus dem Logbuch des Zuchthauses

13. 5. 1890 (Eintrag: Dir. Gereon Graumann): Carl Mai eingeliefert.

Zivile Habseligkeiten

  1. Selbstgefertigte Rindslederschuhe und -strümpfe
  2. Oft geflickte Uniformhose mit Schulstempel des örtlichen humanistischen Gymnasiums
  3. Jacke aus derselben Uniform. Kragen wurde durch einen aus Marderpelz ersetzt
  4. Ärmelloser, selbst gemachter Mantel aus Büffelfell mit je zwei Außen- und Innentaschen
  5. Gewehr amerikanischen Fabrikates. Länge: 1,78 m, Gewicht: 16 kg. Häftling nennt es: Bärentöter Dazugehören 1 kg Pulver und 20 Stahlkugeln mit 2,54 cm Durchmesser
  6. Wasserpfeife aus Holz und Achat; Häftling nennt diese: Friedenspfeife
  7. Zeugnis der Klassenstufe O II aus dem Jahre 1885 des hiesigen humanistischen Gymnasiums. Es enthält die vom Gefangenen angegebene 5 in Betragen und die Bemerkung des Direktors, dass der Schüler Mai relegiert wurde

 

3.5.1900 (Eintrag: Dir. Ernst Knabe ):

Zum weiteren Vorgehen mit dem Häftling Carl Mai

Bei der Durchsicht seiner Akte stoße ich auf Gegenstände, die kein anderer Häftling besitzt, namentlich das von ihm Bärentöter genannte Gewehr und die von ihm Friedenspfeife genannte Wasserpfeife. Mit Herrn Mais Erlaubnis prüfe ich die Funktionsfähigkeit beider Gegenstände; Diese ist gegeben.

Warum nutzte Herr Mai das Gewehr nicht, um sich der Verhaftung zu entziehen? Woher bezog er schwarzen Achat (Onyx) für die Friedenspfeife? Schwarzer Achat wird in der Grenzregion zwischen USA und Mexico gefunden. Hat der Häftling tatsächlich in den USA als Landvermesser gearbeitet?

Zu beachten: Häftling Mai fiel im ersten Jahr der Gefangenschaft als extrem gewalttätig auf. Entscheide:

  1. Häftling Mai wird mir Morgen unter strenger Bewachung vorgeführt.
  2. Beauftrage Den ortsansässigen Psychiater, Dr. Horst Dürr, mit der Beurteilung des Geisteszustandes des Häftlings Mai.

Aus Dr. Dürrs Gutachten

Den Auftrag erteilte das Land Sachsen, vertreten durch den Direktor des Zuchthauses Leipzig, Dr. Jur. Ernst Knabe . Begutachtet wird der Delinquent Carl Mai aus Leipzig, der seit dem 13.5.1890 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in 15 Fällen im örtlichen Zuchthaus einsitzt. Aus psychiatrischer Sicht wird geklärt:

  1. Wie intelligent ist und welche Kenntnis der Landvermessung hat der Delinquent?
  2. In wieweit ist er gewalttätig und schuldfähig?
  3. Wie ist der Gefangene zu behandeln?

Am 12. Mai 1900 zwischen 8:00 und 12:00 Uhr habe ich im Büro von Direktor Knabe den Delinquenten untersucht. Der Direktor beauftragte ihn mit der schriftlichen Darstellung der Ereignisse seit Verlassen des Gymnasiums bis zur Einlieferung ins Zuchthaus. Diese hat der Gefangene am 12. Juni 1900 abgeschlossen. Aufgrund der genannten Quellen nehme ich zu den obigen Fragen wie folgt Stellung:

Intelligenz und Landvermessung

Die Intelligenz des Delinquenten Mai wurde mit dem von mir für Erwachsene adaptierten Schuleignungstest nach Binet erhoben. Die Kenntnisse der Landvermessung prüfte dankenswerter Weise der Professor für Geodäsie an der örtlichen Universität Urs Bing mit der aktuellen Abschlussklausur dieses Faches.

Der Häftling zeigt verglichen mit Abiturienten eine durchschnittliche Intelligenz und ein überdurchschnittliches Gedächtnis. Prof. Bing charakterisiert seine Leistung in Geodäsie als: Sehr gut.

Gewalttätigkeit und Schuldfähigkeit

Man kennt die Apachen als Jäger und Pferdezüchter. Der Häftling Mai jedoch stellt dieses Volk schriftlich als Sklavenhaltergesellschaft dar. Die Kenntnisse der Landvermessung sowie das Gewehr amerikanischen Fabrikates wird er sich aus allgemein zugänglichen Quellen beschafft haben. Die übrigen Gegenstände seines zivilen Lebens hat er anscheinend selbst verfertigt. Zeugnisse der Arbeitgeber, bei denen er in den USA tätig gewesen sein will, legt er zur Prüfung seiner Angaben nicht vor.

Wer seine Darstellung als Lüge bezeichnet, den schlägt der Delinquent mit der Faust nieder. Eine Tötungsabsicht ist nicht nachzuweisen.

Der Delinquent Mai ist psychisch voll funktionsfähig, also auch schuldfähig. Er wird gewalttätig, wenn er aus seiner Sicht die Ehre als wahrheitsliebender Mensch verteidigt und ist nicht bereit, seine Weltsicht in Frage zu stellen.

Sein Persönlichkeitsbild wird psychiatrisch als: Pseudologia phantastica bezeichnet. Es kommt zustande, wenn ein Mensch sich unabhängig von der juristischen Bewertung beschuldigt, ihm werten Personen schwer geschadet oder Schaden nicht verhindert zu haben.

Während der Neujahrsnacht 1885 auf 1886 verstarb die gesamte Familie des Delinquenten bei einem Brand. Laut seinem Bericht war er selbst auf See. Die moralische Überlebensschuld mag die Pseudologia Phantastica ausgelöst haben.

Das Ende der akademischen Laufbahn und der Familienverlust markieren die mangelnde gesellschaftliche Anpassung des Delinquenten Mai. Um sich trotzdem jene Bedeutung zu sichern, die einer kenntnisreichen und geschickten Person seiner Meinung nach zukommen muss, erfindet er sich eine Scheinwelt, in der er Bedeutung erlangt, und verlegt diese zum Schutz vor Überprüfungen in die literarische Provinz des Wilden Westens.

Behandlung

Der Häftling Carl Mai ist nicht bereit, seine Weltsicht aufzugeben und wird gewalttätig, wenn er als Lügner bezeichnet wird. Um die Bevölkerung vor seiner Gewalttätigkeit zu schützen, empfehle ich:

  1. Die Einweisung in die örtliche Irrenanstalt nach Verbüßung der vollen Haftstrafe
  2. die lebenslängliche Verwahrung in derselben

Dr. Med. Horst Dürr, Facharzt für Psychiatrie

Universität Leipzig, Fakultät für Medizin, 17. Juni 1900

16. Abschluss im Auftrag des Königs

Zeichen der Apachen

Schreiben Sie bitte den aaronitischen Segen in den Zeichen der Apachen! Am 14. Juli 1900 hatte mich Direktor Knabe früh zu sich bestellt.

Herr Direktor, fragte ich, Wollen Sie es möglichst gut nachvollziehen, oder soll ich möglichst wenige Zeichen verwenden? Bitte notieren Sie in beiden Formen, antwortete er.

Ich erhielt Papier und Bleistift. Das Blatt legte ich mit der Längsseite vor mich und notierte links die nachvollziehbare und rechts die knappe Version. Auf der Rückseite verfasste ich eine Vokabelliste: Zunächst schrieb ich jedes Wort der Apachen in jenen Zeichen nieder, mit denen ich es im linken Block auf der Vorderseite notiert hatte. Für jedes Wort gab ich dessen Aussprache in Lateinischer Schrift an und notierte dessen Deutsche Bedeutung. Dann verlängerte ich die Liste um weitere Worte.

Bitte erläutern Sie Ihre Ergebnisse, bat mich der Direktor, als seine Uhr auf dem Schreibtisch 12mal schlug.

Die Apachen kennen das Wort: Segen nicht. Daher habe ich den Sinn wie folgt übertragen:

Der große Geist beobachte Dich und wende sich Dir zu.

Er gebe Dir die Kraft, Dir Federn (Ehrenzeichen) zu erwerben und die Deinen zu nähren.

Er beschütze Dich, wenn es keinen sicheren Pfad mehr gibt, und lasse Dich Frieden bringen.

Ich fuhr fort: So habe ich es auf der Vorderseite im linken Block in drei Zeilen notiert. Jedes Zeichen steht für eine Silbe. Der rechte Block besteht aus zwölf Zeichen, je vier nebeneinander und drei untereinander. Die Worte der ersten Zeile im linken Block werden durch die ersten vier Zeichen wiedergegeben, wenn man sie als Worte liest. Liest man die nächsten neun Zeichen von links nach rechts, ergeben sich die Worte der zweiten Zeile. Liest man die 12 Zeichen spaltenweise von oben nach unten, ergibt sich die dritte. Das geht, weil jedes Zeichen im Zusammenhang mit den anderen unterschiedliches bedeuten kann.

Hm, machte Direktor Knabe, Ist das eine Aufzeichnungsmethode oder eine Verschlüsselungstechnik?

Beides, antwortete ich, die Apachen notieren mit ihrer Schrift die Inhalte und verschlüsseln diese gleichzeitig für Feinde. Darum geheimnissen gute Schriftgelehrte mehrere sinnvolle Botschaften in ihre Texte. Auch ich habe das getan: Lesen Sie bitte die erste Zeile im rechten Block von rechts nach links, die zweite von links nach rechts und die dritte von rechts nach links. Wenn Sie einige Zeichen als Silben und andere als Wortstämme deuten, ergibt sich folgende Botschaft:

Gern wäre ich bei den Meinen,

weit im Westen und bei meiner Familie

,

doch alle verloren ihr Leben.

Herr Mai, bat Direktor Knabe , Geben Sie mir eine Einführung in diese Schrift.

Alle, denen ich meine Erlebnisse im Wilden Westen erzählt hatte, hatten mich ausgelacht, sich abgewandt und die Sache als ein Märchen abgetan. Doch hier im Zuchthaus saß der Direktor vor mir und erbat eine Einführung in die höchste Kulturtechnik der Apachen! Erst nach einer Minute antwortete ich:

Die Apachen erlernen das Aufzeichnen in 7—10 Jahren nach der Methode: Einüben beim Ausüben. Es gibt mehrere tausend Zeichen; jedes steht für einen Gegenstand sowie die Kernsilbe dessen Wortes. Aber ich kann Ihnen die heiligen 144 zeigen. Mit diesen lassen sich Worte, Zahlen und Musik notieren.

Verfassen Sie bitte diese Einführung, sprach der Direktor, Ich werde Sie bis 21:00 Uhr hier einschließen. Bedienen Sie sich an allem, was Sie benötigen. Bis heute Abend. Der Direktor ging.

Zunächst bediente ich mich an der guten Pfeife und dem exzellenten Tabak. Doch da fand ich direkt vor mir auf dem Schreibtisch des Direktors das 37 Seiten starke Gutachten jenes Dr. Horst Dürr, dessen Resümee ich wiedergegeben habe. Ich las es vollständig durch und war entsetzt: Er hatte nicht versucht, nachzuprüfen, ob irgendeine meiner Äußerungen der Wirklichkeit entsprach. Für ihn stand fest, dass ich verrückt — und trotzdem schuldfähig war.

"Warum lässt der Direktor mich allein und gibt mir die Gelegenheit, mein Wissen um die Schrift der Apachen darzustellen?", fragte ich mich und dachte Weiter: "Das Urteil des Gutachters ist eindeutig. — Wenn Direktor Knabe Zweifel hat? — Also schön: Ich will eine gute Einführung in den Gebrauch der heiligen 144 Zeichen der Apachen verfassen."

Einsatz als Narkosearzt

Um 21:15 Uhr kam der Direktor zurück. Sorgfältig untersuchte er den Schreibtisch und fand in dessen Geheimfach den nicht angerührten Briefumschlag mit 400 Reichsmark in Zwanzig-Mark-Scheinen.

Sie hätten gute Gelegenheit zur Flucht gehabt, bemerkte er, ob Sie in dem Maße kriminell sind, das Ihnen Experten unterstellen?

Wie Dr. Dürr, der mich lebenslänglich in eine Irrenanstalt sperren will.

Ach, das haben Sie gelesen, aber den Generalschlüssel daneben nicht angerührt?

Nein, ich habe ja viele Leute niedergeschlagen. Damit habe ich mich stets gegen Beleidigungen gewehrt und sehe mich viel zu hart bestraft. Endlich bekomme ich Gelegenheit, zu zeigen, dass ich nicht kriminell bin.

Einen Gefangenen wie Sie habe ich noch niemals kennen gelernt, bemerkte der Direktor. Dann setzte er fort:

Ich bitte Sie heute um Hilfe: Wir haben in der Untersuchungsabteilung einen Mann mit einem Tumor im Kopf, der unter Schmerzen leidet. Werden diese zu stark, schlägt er um sich. Unser Arzt, Dr. Schneider, meint, dass wir ihn operieren sollten. Vor einer Woche haben wir im Landeskrankenhaus um Lachgas zur Betäubung gebeten. Man hat uns dieses verweigert, weil man das teure Mittel nicht für einen erwiesenen Gewalttäter verwenden will.

Sie wollen ihn operieren lassen, vermutete ich, weil Sie glauben, dass in ihm ein besserer Mensch steckt, den der Tumor rasend macht. Doch wie soll ich Ihnen helfen?

Als Mensch hat auch ein Krimineller das Recht auf Gesundheit, entgegnete der Direktor, ich bin darauf gekommen, weil Sie mich fast betäubt haben, als ich Sie im Mai mit dem Wort: Lügner anfuhr. Sie wissen, Ihre Faust so einzusetzen, dass Ihr Gegner lange betäubt bleibt. Könnten Sie dem Mann das Bewusstsein nehmen, damit Herr Dr. Schneider ihn operieren kann?

Ich will es versuchen, antwortete ich, Wann soll die Operation stattfinden?

Sofort, sprach der Direktor, folgen Sie mir auf die Krankenstation.

Das ist doch Erich Ollenhauer, sprach ich, als wir wenig später durch die ein Zoll dicke Stahltür seine Schmerzensschreie hörten.

Stimmt, antwortete Direktor Knabe , während er den Generalschlüssel an 3 Stellen benutzte, um die Tür zu öffnen. Woher kennen Sie ihn?

Er besucht oft die Bibliothek und schreibt Gedichte. Einige davon habe ich für einen Männerchor vertont.

Ist er bei Ihnen nie gewalttätig geworden?

Wenn er bei einem Schmerzanfall um sich schlägt, antwortete ich, betäube ich ihn. Meist klingt der Anfall schnell ab.

Währenddessen hatte der Direktor die Tür geöffnet. Wir traten ein.

Nur Mut, Erich, sprach ich mit beruhigendem Ton. Carl, antwortete der Angesprochene.

Diese Zeit nutzte ich, um ihn mit einem wohl dosierten Kinnhaken zu betäuben.

Sofort auf die Liege, befahl Doktor Schneider.

Er meißelte den Kopf auf und entnahm den Tumor. Direktor Knabe , die beiden Wärter und ich assistierten. Wir verwendeten das Werkzeug aus der Gefängniswerkstatt und desinfizierten die Geräte über der Flamme einer Petroleumlampe.

Hoffen wir, sprach Doktor Schneider, der die Wunde zunähte, dass der Gefangene lange genug betäubt bleibt.

Kaum hatte er den letzten Faden vernäht, schlug Erich Ollenhauer die Augen auf. Au, mein Kopf!, lauteten seine Worte.

Kein Wunder, Erich. Doktor Schneider hat Dir eben den Tumor entnommen.

Carl, sprach Erich ruhig, was machst Du hier?

Herr Mai hat Sie fachmännisch narkotisiert, meldete sich Dr. Schneider.

Direktor Knabe sagte: Herr Ollenhauer, wir gratulieren Ihnen zum neuen Leben.

Boxturnier mit Menetekel

Am ersten August bestellte Direktor Knabe alle Gefangenen ein, die seit mindestens 2 Jahren keine Gewalttaten begangen hatten. Dazu kam Erich Ollenhauer. Mittlerweile konnte er stundenweise arbeiten. Neun Gefangene standen in des Direktors Büro.

Meine Herren, begann der Direktor, Ab heute werde ich täglich mit Ihnen eine Stunde lang Boxen trainieren. Das Gefängnis zu Dresden wird mit uns ein Turnier austragen. Herr Direktor Schlemmer wettet, dass seine Mannschaft gewinnt. Vor einem Monat ist dort ein Berufsboxer aus den USA eingeliefert worden. Seit heute trainiert er die Dresdner Mannschaft. Ich habe 1000 Mark auf unseren Sieg gesetzt und bitte Sie, mir beim Gewinnen zu helfen.

Herr Direktor, antwortete ihm Klaus Lage, wenn der Trainer in Dresden Berufsboxer ist, sind wir chancenlos!

Vergiss nicht, Klaus, widersprach Erich, dass wir 2 Lehrer haben: Carl und mich. Carl kennt sich im Faustkampf bestens aus, und wie gut er anderen etwas beibringen kann, davon können Direktor Knabe und ich ein Lied singen. Ich bin Hilfsschullehrer gewesen und habe zu schlagen angefangen, als die Kopfschmerzen mich rasend machten. Auch Sport habe ich unterrichtet. Wir haben gute Chancen.

Und was hätten wir davon?, fragte wiederum Klaus. Er hatte 11 seiner 12 Jahre wegen Urkundenfälschung abgesessen und wollte kein Risiko eingehen.

Direktor Knabe nahm seine Rede wieder auf: Dem Turniersieger verspreche ich 100, dem zweiten 50 und dem dritten 20 Mark. Jeder, der mindestens in einer Runde seinen Gegner nach Punkten besiegt, erhält für jede Trainingsstunde 10 Pfennige. Alle anderen bekommen den üblichen Pfennig pro Stunde. Die Mitglieder der Siegermannschaft erhalten 5 Mark extra. Auf all das haben Sie mein Ehrenwort.

Alle machten begeistert mit. Meist trainierten wir 2 Stunden pro Tag. Erich und ich mühten uns als Lehrer nach Kräften. Zunächst gab er den Schiedsrichter, später war er ein ebenso fleißiger Kämpfer wie alle anderen. Ich gewann mit jedem Tag mehr Kraft in beiden Fäusten.

Im November ließ die Disziplin nach. Das änderte sich, als Klaus, der gar nicht hatte mitmachen wollen, einen Brief seines Freundes und früheren Kumpanen Michael Seidelwitz aus dem Gefängnis in Dresden erhielt. Klaus las den Brief in der nächsten Boxstunde vor. Hier die entscheidenden Auszüge:

Herr Noble Rater trainiert mit uns seit Anfang August täglich 2 Stunden. Er ist ein Berufsboxer, 1,95 m groß und hat unseren stärksten Wärter KO geboxt, der 20 cm größer ist! Herr Rater wird mitkämpfen und bestimmt das Turnier gewinnen.

Ich habe Herrn Rater mit Kohle skizziert und schicke Dir das Blatt. Habt Ihr auch so einen Trainer?

Nun erläuterte Direktor Knabe die Modalitäten des Turniers: Am 30. Dezember findet der Mannschaftswettbewerb in den Aufenthaltsräumen statt. Jeder kämpft gegen jeden aus der anderen Mannschaft. Die Mannschaft mit den meisten Siegen gewinnt diesen Wettbewerb. Die besten 4 Kämpfer qualifizieren sich für die Preiskämpfe, die am Silvestertage stattfinden. Diese werden in 2 KO­Runden auf dem Hof ausgetragen. Die Verlierer aus den ersten beiden Kämpfen treten gegeneinander an und ermitteln den Träger des dritten Preises. Die Gewinner aus den ersten beiden KO­Kämpfen ermitteln danach den Sieger.

Zeig uns den Herrn Rater, rief einer der Mitstreiter.

Klaus gab die Skizze herum. Alle betrachteten diese andächtig. Zuletzt erhielt ich das Blatt und war schockiert. Endlich sagte ich: Das ist Nolen Ratler!

Alle riefen durcheinander: Der Kerl, der Deinen Freund Howard erschossen und Euch drangsaliert hat?

Klaus, fragte ich, wie gut kann Michael zeichnen?

Ausgezeichnet, antwortete dieser, er ist extra lang eingebuchtet worden, weil seine Bilder für die gefälschten Geldscheine so gut waren.

Jetzt wissen wir, sprach Erich, dass Carl die Wahrheit sagt. Deswegen müssen wir es dem Kerl, Ratler heißt er wirklich, und seiner Mannschaft gründlich besorgen!

Alle stimmten zu, und ich erfuhr, dass sie sich viel aus meinen Erzählungen gemerkt hatten. Härter als je trainierten wir.

Am 29. Dezember kamen die Dresdner Gefangenen mit 2 Wärtern und ihrem Trainer. Wir sahen sie am nächsten Tag.

Er ist es, sagte ich zu Klaus und Erich, die neben mir standen, Nolen Ratler! Klaus, Dein Freund Michael hat ihn bestens getroffen!

Alle Gefangenen sahen den Kämpfen zu. Jeder Flur des Zuchthauses besaß einen Aufenthaltsraum für 30 Gefangene; je 9 Kämpfe wurden parallel durchgeführt.

Unser schlechtester belegte den elften Platz. Ratler wurde zweiter und der einzige Teilnehmer aus Dresden bei den folgenden Preiskämpfen.

Ich gewann alle Kämpfe durch KO. Ratler erledigte ich in der ersten Runde; anscheinend war er nicht bei der Sache.

Beim Abendessen herrschte Hochstimmung. Wir hatten den Mannschaftswettbewerb für uns entschieden. Jeder von uns würde 45 Mark erhalten: 40 für die 200 Stunden Training und 5 für den Mannschaftssieg. Die Dresdner waren kaum geknickt. Ihr Trainer hatte mit harter Hand regiert; nun hatten sie gesehen, dass er besiegbar war. Morgen würde es ein Festessen geben, und es kam noch besser:

Direktor Knabe verkündete: Für morgen hat sich Seine Majestät Ernst August III von Sachsen zu Besuch angesagt. Er möchte den Boxkämpfen zusehen, an unserem Silvestergottesdienst teilnehmen und zu uns sprechen. Außerdem wird er sich die Akten einiger Gefangener sowohl aus Dresden wie aus Leipzig vorlegen lassen, um ihre Begnadigung zu überprüfen. Jetzt dürfen sich die Boxkämpfer baden. Wir heizen den Badeofen bis 21:00 Uhr. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht und alles Gute für Morgen.

Gegen 20:30 Uhr betrat ich das Badezimmer. Am Spiegel gewahrte ich — Zeichen der Apachen. Jemand malte ein weiteres mit dem Finger voll Zahnpasta auf.

Ich sprang vor ihn hin und packte ihn. Was soll die Schmiererei?, fragte ich und erkannte Michael Seidelwitz, der das Portrait Ratlers angefertigt hatte.

Carl, Euer Direktor, stotterte Michael, will Dich warnen.

Hm, machte ich, vor jemandem, der mich im Faustkampf tödlich verletzen will?

Wahrscheinlich, antwortete Michael, Euer Direktor hat mir erzählt, dass die Dresdner Wärter ihm verboten hätten, es zu verhindern.

Ich glaube Dir, sagte ich, ließ ihn los und fragte: Du hast die Zeichen für: Stein und: Klinge nebeneinander geschrieben. So stellen die Apachen oft das Wort: Messer dar. Alle Zeichen, die Du gemalt hast, stammen aus den heiligen 144, mit denen man alle Worte der Apachen schreiben kann. Diese kennt Direktor Knabe gut. Aber neben den Zeichen für: Messer steht ein Bildsymbol für: Beutel. Woher kennt er das?

Das heißt sicher: Taschenmesser, oder?, vermutete Michael und fuhr fort: Klaus hat mir erzählt, dass Du Eurem Direktor die Schrift der Apachen beibringst. Bestimmt hast Du ihm einige Bildzeichen gezeigt, so dass er erraten konnte, wie das Zeichen für Beutel aussieht. Mir hat der Direktor gezeigt, was ich auf den Spiegel malen und schnell wegmachen soll, wenn Du's gesehen hast.

Danke für die Warnung, Michael, antwortete ich, Ratler, den Du unter dem Namen: Rater kennst, hat ein Taschenmesser hierher geschmuggelt und will mich damit ermorden. Weißt Du, wieso der im Knast ist?

Währenddessen reinigten wir den Spiegel und ließen das Wasser stark laufen. Bei dessen Plätschern würde uns ein Lauscher kaum verstehen. Außerdem kamen die Wärter mit klappernden Schlüsseln und schweren Stiefeltritten vorbei, um die Zellen zu verschließen.

Michael antwortete: Herr Rater ist wegen Schulden ins Gefängnis gekommen. Er ist nach Deutschland geflohen, weil er in den USA wegen Mordes gesucht wird, Mordes an einem Bauarbeiter Namens Howard. Das hat er mir erzählt, als er mich bedroht hat. Ich wollte nicht mitmachen, denn ich will anständig werden, als Technischer Zeichner. Aber Herr Rater hat mich gezwungen, ihn zu skizzieren und als kommenden Turniersieger erscheinen zu lassen. Er hat damit gedroht, mich sonst auch umzubringen.

Du hast Deine Sache gut gemacht, Michael, sagte ich, Nolen Ratler, so heißt er wirklich, mache ich Morgen so fertig, dass er nichts mehr gegen Euch in der Hand hat. Das schwöre ich!

Wir verließen das Badezimmer und waren rechtzeitig in unseren Zellen.

Am nächsten Tage um 9:00 Uhr begannen die Kämpfe. Unter den besten 4 waren: Ratler, Erich, Klaus und ich.

Mittags erschien eine achtköpfige Abordnung des Königs. Der Minister für Justiz des Landes Sachsen war darunter und erklärte:

Seine Majestät ist durch wichtige Termine verhindert, wird aber am späten Nachmittag erscheinen. Fahren Sie wie geplant fort.

Unter den Angekommenen befanden sich auch jene 6 Polizisten, die ich vor gut 10 Jahren ins Land der Träume gesandt und während der langen Haft öfters gesehen hatte. Doch der hinterdrein gehende Kommissar sah, ich konnte mir nicht helfen, von seiner Physiognomie her unserem Landeskönig zum Verwechseln ähnlich. "Sicher ist mein Wunsch der Vater des Gedankens", dachte ich.

Das Personal und die Gefangenen schauten den Preisk�mpfen auf dem Gefängnishof zu.

Ratler besiegte Erich. Dieser hatte die ersten 4 Runden nach Punkten gewonnen, aber in der fünften schlug ihn Ratler KO.

Da stimmt was nicht, sagte ich, denn Erich blutete aus tiefen Wunden. Später erzählte mir Dr. Schneider, dass diese von einem scharf geschliffenen Taschenmesser stammten.

Klaus besiegte ich knapp in der letzten Runde.

Nun kämpften Erich und Klaus um den dritten Platz und die versprochenen 20 Mark. Dr. Schneider hatte sich um Erich gekümmert, doch der war so geschwächt, dass er in der letzten Runde KO ging.

Endlich kämpften Ratler und ich um den Turniersieg. Ich versuchte meinen besten Schmetterhieb. Würde ich Ratler damit zu Boden schicken, hätte ich den Kampf gewonnen, die Gelegenheit, ihn nach dem Taschenmesser zu untersuchen und so seine üblen Machenschaften zu beweisen.

Als ich zuschlagen wollte, schnitt Ratlers Messer leicht in meine Hand. Er warf sich gegen mich, um meinen Hals aufzuschneiden, während er keuchte: Wegen Dir sind Hawkins, Parker und Stone nach Santa Fè vor Gericht gezogen und haben bezeugt, wie ich Carpendale zur Strecke gebracht habe. Ich musste Schulden machen, um nach Deutschland zu fliehen. Nun bin ich da, und Du wirst sterben!

Er hatte Englisch gesprochen. Keiner außer mir verstand sein Keuchen. Schließlich versuchte Ratler alles, um mich aus dem Leben zu befördern.

Ich dagegen brüllte laut und vernehmlich in deutscher Sprache. Ich wusste ja, dass Ratler meiner Muttersprache mächtig war. Deshalb verstanden die Zuschauer auf den nächsten Reihen alles gut.

Wollen sehen, begann ich. Ratlers Schnitte gingen nicht tief. Ich dagegen hatte ihm einen Fausthieb versetzt; das Messer glitt ihm aus der Hand.

Du wolltest mich umbringen, setzte ich fort, denn Ratler war noch bei Bewusstsein, daraus wird nichts! Du hast Winnetou, einen Teil von mir, und meine geliebte Ndschotschi ermordet. Am liebsten würde ich Dich töten. Aber Winnetou hat mit seinem letzten Wunsche gewollt, dass ich Dich skalpiere. Und so geschieht es auch!

Dabei schnitt ich ihm die Kopfhaut fachgerecht ab.

Vìnetu devíje chadeschò Iaschanerò!

Triumphierend riss ich den rechten Arm mit Skalp und Messer in der Faust hoch und hatte jene Worte der Apachen ausgerufen, welche bedeuten: Winnetou, gerächt bist Du!

Da sehen sie, hörte ich aus den Reihen der Zuschauer Dr. Dürr mit überschnappender Stimme kreischen, den ich zuvor nicht bemerkt hatte, wie gewalttätig dieser Phantast ist. Er muss sofort in die Irrenanstalt und dort bis zu seinem Lebensende bleiben!

Alle Zuschauer brüllten, als 7 Wärter in den Ring kamen und mich überwältigten. Ratlers Messer hatte ich sofort fallen gelassen, aber den Skalp ließ ich mir nicht nehmen. Ich steckte ihn in die Hose zwischen meine Beine. Schließlich hatten sie mich in die Gummizelle im Hauptgang des Zuchthauses verfrachtet.

Jetzt wird abgerechnet!

W�hrend ich Ratlers Skalp durchkaute, sah ich durch die Gucklöcher der versperrten Tür Dr. Dürr kommen. Er sah mich bei der Trophäenerhaltung und erbrach sich. Kurz zuvor hatte ich ihn mit überschnappender Stimme schreien hören. Doch was ich nun vernahm, hatte mit menschlicher Sprache nichts zu tun. Offensichtlich fehlten ihm buchstäblich die Worte.

Hol Shatterhand da raus!

Pida, Tanguas Sohn, erschien. Ihm folgten: Winnetou, Ndschotschi, Der Schlafende Bär, Schedaní, Chaniaschù, Sam, Dick, Will, Mr. Albright, Mr. Bankroft, Mr. Bond, Mr. Henry, Mr. Stonebread, Mr. Wolace sowie je zehn Krieger der Kiowas und Apachen. Ein wenig humpelte Tangua hinterdrein. Rote wie Weiße trugen die heiligen Tomahawks der Apachen und Kiowas. Jedem hing zusätzlich ein Bärentöter und ein Henry­Stutzen am Gürtel.

Der stört nicht mehr, erklärte Pida, der den Psychiater am Schlafittchen gepackt und über die Gummizelle geworfen hatte, klasse, Shatterhand! Du hast Ratler besiegt. Wir haben gesehen, wie Euer Arzt seinen Kopf verbunden hat. Winnetou hat ihm gezeigt, wie man den Verband am besten anlegt.

Inzwischen hatten Winnetou und Tangua mit Schlägen ihrer Tomahawks die Gummizelle geöffnet. Ndschotschi drängte sich an den beiden vorbei und warf sich mir an die Brust.

Du hast einen Skalp! Liebster, endlich kann ich Dich heiraten!

Sie weinte und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Ich jedoch fühlte mich leer.

Fehlt dir zum Glück der Glaube?, fragte Chaniaschù, Ndschotschi hat erzählt, dass Du dachtest, Du hättest nicht gut genug aufgepasst. Deshalb hätte Ratler Winnetou und sie erschießen können. Sie hatte viel Blut verloren, aber durch Deinen Verband und eine Behandlung mit Friedenselixier war sie nach 8 Tagen wieder gesund. Doch Winnetous Lunge wurde angeritzt. Auf Jede Frage Eine Antwort und ich kämpften eine Woche lang um sein Leben, bevor er sich erholte. Da Du die Pferde mit den Bärentötern zum Plateau des himmlischen Friedens schicktest, hast Du das Volk der Apachen gerettet! Am Tag nach der Schlacht ist Tangua allein und ohne Waffen gekommen, um mit uns um Frieden und Unterstützung im Kampf gegen die Bleichgesichter aus den USA zu verhandeln. Die Verhandlungen haben bis heute gedauert.

Ich wurde Zeuge zweier Wunder: Winnetou und Ndschotschi lebten; Kiowas und Apachen schlossen Frieden.

Als dieses Glück in mich eindrang, begann ich herzzerreißend zu weinen.

Was in der Zwischenzeit geschah, hat mir Ndschotschi erzählt. Alle Roten, Sam, Dick und Will stellten sich um mich herum und ließen mich flennen.

Vor einem Monat, begann Mr. Henry, sind Winnetou und Tangua mit ihren Kriegern zu mir gekommen und haben Gewehre bestellt. Sie wollten wissen, wie man nach Deutschland kommt, um Sie, Mr. Mai, aus einem Zuchthause zu befreien.

Der Flussschiffer setzte fort: Mr. Henry hat dann Dick, Sam und Will dazu geholt. Sie alle sind zu mir gekommen, damit ich sie über den Großen Teich bringe.

Und weil Jim weiß, dass man mit seiner Nussschale nicht über den Teich kommt, ergänzte Captain Albright, hat er mich um Hilfe gebeten. Ich habe sofort mein Schiff zur Verfügung gestellt; das tu ich gern für meinen besten Kajytenjungen!

All das, schloss Mr. Wolace, musste finanziert werden. Da kam man auf uns zu, und als Finanzgeber gewannen wir Mr. Bond, der jetzt leitender Direktor der Pacific Rayl Road Company ist. So sind wir alle mit Captain Albrights Walfangschiff bis Rostock gefahren und von dort aus mit Mr. Stonebreads Flussdampfer bis Leipzig weitergereist, den Captain Albright anstatt eines Wales geladen hatte.

Nun kam Direktor Knabe mit den Mitgliedern beider Boxmannschaften sowie drei großen, bulligen Kerlen auf uns zu. Die Muskelmänner trugen einen Korb mit sehr starken Riemen außen und innen.

Wo ist der Gewalttäter, den wir in die Irrenanstalt mitnehmen sollen? Einer der Kerle hatte gefragt, als er des Herrn Dr. Dürrs ansichtig wurde, der hinter der zerhackten Gummizelle lag, wild zuckte und unverständliche Laute ausstieß.

Das ist Dr. Horst Dürr, der Irrenarzt, meinte ein anderer der drei. Nun hat's ihn selbst erwischt, warf der dritte ein.

Sie packten das zuckende Häuflein und banden es mit den Gurten im Korb fest.

Während sie diesen auf ihre Schultern luden, sprach einer der Pfleger: Herr Direktor, Sie haben für Ihre Gefangenen ein tolles Silvestervergnügen mit Indianerverkleidung und Waffenattrappen zusammenstellen lassen. Viel Spaß allerseits!

Wenn der wüsste, ließ sich Mr. Wolace vernehmen, dass diese Waffen echt sind. Die Tomahawks haben Klingen aus Obsidian, die sind schärfer als Operationsbestecke, und die Gewehre sind die besten der Welt!

Der Herr Doktor stört nicht mehr. Das war der Kommentar des Zuchthausdirektors, als die Träger um eine Ecke bogen.

Wo ist die Kirche?, fragte Tangua. Er fuhr fort: Euer Direktor hat uns erzählt, dass er Euren König dort hinbringen will, damit er Begnadigungen verkündet. Er darf auf keinen Fall Ratler begnadigen!

Endlich waren meine Tränen versiegt. Ich antwortete dem Häuptling der Kiowas: Tangua, jetzt bin ich Euer Zeuge und kann verhindern, dass Ratler die Schulden bei Euch eintreibt. Er hat versucht, mich mit einem Taschenmesser beim Boxkampf zu ermorden!

Das werden wir alle bestätigen, Herr Mai, sprach Direktor Knabe . Alle Mitgefangenen bekräftigten das durch ihr einstimmiges: Jawohl!

Wir gingen schnellen Schrittes durch die Gänge des Zuchthauses, überquerten den Hof und kamen in die Kapelle. Während dessen erfuhr ich, dass Winnetou zum Medizinmann geworden war und das Amt des Kriegshäuptlings aller Apachen bekleidete.

Die Kapelle war mit 500 Personen überfüllt. Neben den Gefangenen und Wärtern saßen dort viele Besucherinnen und Besucher.

Auf der ersten Bank vor dem Altar und der selbst gemachten Orgel lag Ratler. Dr. Schneider überwachte den Patienten.

Als wir eintraten, erhob sich Getuschel. Kein Zuschauer hatte je echte Indianer in voller Kriegsaufmachung gesehen.

Von der Empore herab schritten seine Majestät Ernst August III, der König von Sachsen, sowie unser Pfarrer Heinrich Weißbart.

Wir singen das Lied: Großer Gott, wir loben Dich!

Mit diesen Worten begann Pfarrer Weißbart den Gottesdienst.

Erich spielte die Orgel. Die Deutschen sangen den deutschen, die Amerikaner den englischen Text. Pida und viele Indianer sangen in Deutsch, während die anderen mit Trommeln den Rhythmus schlugen.

Der Herr sei mit Euch, sprach Pfarrer Weißbart.

Und mit Deinem Geist, antworteten wir.

Der Pfarrer setzte fort: Würde heute das Gericht Gottes kommen, müssten wir alle zugeben, dass wir schuldig sind. Doch Gott begnadigt uns. Allen, die seine Gnade annehmen, steht das Paradies offen. Als Zeichen dieser Gnade hat er uns heute unseren weltlichen Landeskönig Ernst August III gesandt. Seine Majestät will jene zur Freiheit in dieser Welt begnadigen, die sich bewährt haben.

Der König schritt die Stufen zum Altar hinan und sprach:

Meine Damen und Herren!

Seit dem Mittagessen bin ich hier. Direktor Dr. Knabe hat mich um mein Erscheinen inkognito gebeten. So wurde ich Zeuge der ungeschminkten Wahrheit. Herr Mai hat wohl einen Augenblick gedacht, dass ich sein Landeskönig bin. Gott sei Dank hat er diese Idee nicht weiter verfolgt.

So sah ich, wie ein amerikanischer Berufsboxer namens — ja, wie heißt er? — Noble Rater, so steht es in den Akten, oder Nolen Ratler, wie mir Herr Knabe gesagt hat, Herrn Mai mit einem Messer zu töten suchte. Ich saß in der ersten Reihe und habe s beobachtet. Die Schiedsrichter, die Ratler eingeschüchtert hatte, ließen den Dingen ihren Lauf. Als ich sie zum Eingreifen aufrief, beachteten sie meinen Befehl nicht, denn ich erschien ihnen als gewöhnlicher Zuschauer. Herr Mai entrang jenem Ratler das Messer und zog ihm die Kopfhaut ab, worauf die Wärter ihn ergriffen, um ihn in die Irrenanstalt zu bringen.

Nun zu Ihnen, Herr Carl Mai: Sie haben viel Unglück erlitten: In jungen Jahren verloren Sie Ihre Familie, und sie wurden hart mit Zuchthaus bestraft, weil Sie Ihre Ehre mit der Faust verteidigt haben. Sie begnadige ich als ersten. Wegen Ihrer Selbstjustiz werden Sie keine Entschädigung erhalten. Ihre Strafe wird nicht im Führungszeugnis stehen, so dass Sie von heute an ein unbescholtener Bürger sind. Ich bitte Sie allerdings um einen Gefallen: Notieren Sie so schnell wie möglich einen Bericht über die Ereignisse beginnend mit dem 12. Mai, also dem Tage des Tests Ihres Geisteszustandes durch Doktor Dürr, bis heute. Dieser Bericht wird als Ihr Zeugnis vor Gericht eine große Rolle spielen.

Alle Boxkämpfer des heute abgeschlossenen Turniers begnadige ich ebenfalls. Morgen nach dem Frühstück können sie dieses Zuchthaus verlassen.

Für Nolen Ratler, alias Noble Rater, gibt es keine Gnade. Er hat in den USA einen Bauarbeiter Namens Howard Carpendale ermordet, wie mir der Trapper Sam Hawkins und ebenso Winnetou, der Häuptling der Apachen, bestätigten. Für diesen Mord ist die Deutsche Rechtsprechung nicht zuständig. Doch ich selbst war Zeuge, wie er Herrn Mai zu töten suchte — mit jenem Taschenmesser, das wir im Boxring fanden. Er wird sobald wie möglich vor Gericht gestellt und den Rest seines Lebens im Zuchthause verbringen.

Die Banc of America, deren Direktor, Mr. Edgar Wolace, unter uns ist, besteht auf vollständiger Begleichung seiner Schulden von 66.666 Dollar. Ich schlug Herrn Wolace vor, Mr. Ratler solle im Gefängnis die Schuld abarbeiten, indem er unter dem Pseudonym: Karl May — mit K und y — weitere Reiseromane verfasst. Herr Wolace hat diesen Vorschlag angenommen.

Ich danke Herrn Direktor Dr. Knabe , der mir al dies schrieb, als er mir die geniale Verschlüsselungstechnik der Apachen vorstellte, die wir in unserem Heere erproben. Herr Knabe und ich haben unsere Vorgehensweisen abgestimmt: Er sandte am 01. August per Eilpost nach Oxwill an die in Herrn Mais Bericht angegebene Adresse einen Brief in den Zeichen der Apachen, der Herrn Mais Lage beschrieb. Ich siegelte dieses Dokument. Mr. Hawkins Senior hat den Brief an Winnetou geschickt, und der hat eine Kopie der Übersetzung an Herrn Bond, den Direktor der Pacific Rayl Road Company, weitergegeben. Die beiden Häuptlinge der Apachen Winnetou und Der Schlafende Bär berieten sich mit den Häuptlingen der Kiowas Tangua und Pida sowie Herrn Bond, der die Reise finanzierte. Er hat den Walfangkapitän Milton Albright und den Flussschiffer Jim Stonebread gewonnen, alle, die Sie hier sehen, aus dem Wilden Westen hierher zu bringen.

Lassen Sie uns diesen Gottesdienst in tiefer Dankbarkeit und Demut vor unserem Herrn ordnungsgemäß beenden.

Viele Kiowas und Apachen konnten nur gebrochen Deutsch und langweilten sich. Sie schlichen durch die Reihen der Sitzenden und Stehenden in die Sakristei und öffneten den Eingang zum Keller unter der Kapelle. Dort fanden sie 200 Literflaschen erlesener Weine und schleppten diese nach oben.

Pida hatte der Rede seiner Majestät aufmerksam gelauscht. Als aber seine Krieger mit immer mehr Flaschen nach oben kamen und diese auf der Empore abstellten, Fragte er: Herr König, wo kommt der Wein her? Ich dachte, im Deutschen Gefängnis gibt's keinen Alkohol!

Erbarmen! Pfarrer Weißbart kam auf Knien zu seiner Majestät die Altarstufen herab, in all den Jahren im Gefängnis habe ich für die Abendmahlsfeiern Geld zurückgelegt und davon Wein gekauft. Ich habe die Flaschen nie geöffnet, weil sie mir zu schade waren. Deshalb sind es im Laufe von fast 20 Jahren gut 200 Stück geworden.

König Ernst August III von Sachsen grölte vor Lachen: 200 Liter Wein! Nun, der Herr hat ihn uns gesandt, damit wir alle auf das neue Jahrhundert anstoßen. Wer seine Majestät kannte, wusste um seine Schwäche für gute Tropfen.

Mit Mühe setzte Pfarrer Weißbart das Absingen des Liedes: Nun danket alle Gott durch.

Doch bevor der große Umtrunk begann, traten vier Personen vor den Altar, vier Menschen, von denen keiner derer, die sie kannten, je gedacht hätte, dass sie gemeinsam auftreten würden.

 

Winnetou ergriff das Wort als erster:

Dies verkündet Vìnetu Devíje Chadeschò, der Kriegshäuptling der Apachen, im Einverständnis mit: Tangua, seinem Vater, dem amtierenden Häuptling aller Kiowas, Pida, seinem Halbbruder, dem Kriegshäuptling der Kiowas, sowie Orró Ejéne, dem Friedenshäuptling seines eigenen Volkes:

Die Kiowas und Apachen werden die Kriegsbeile begraben und von heute an in Frieden leben.

Nun sprach Tangua:

Wir wollen den Frieden unserer Völker unter den Schutz eines mächtigen Volkes stellen und bitten deshalb den König der Sachsen um seinen Schutz. Beide Völker, Kiowas und Apachen, werden ihm jährlich eine Gebühr von 100 Lasten in Gold dafür bezahlen.

Der Schlafende Bär setzte fort:

Als Garanten und Prüfer unseres Friedens bitten wir Dich, Ernst August, König der Sachsen, um Carl Mai. Er gehört als Blutsbruder Winnetous und angenommener Sohn Tanguas zum Volke der Kiowas wie zu dem der Apachen. Als Bürger Deines Reiches kann er Dich als Friedenswahrer vertreten.

Nun erhob Pida die Stimme und sprach:

Pida, der kommende Häuptling der Kiowas und derzeit ihr Kriegshäuptling, hat Shatterhand immer als seinen Freund betrachtet. Nun weiß er, dass Pida und Shatterhand Teile eines Leibes sind. Deshalb begehrt Pida, sich vor all diesen Zeugen und vor dem Könige von Sachsen sowie allen Göttern und Geistern der Roten und Weißen im Fleische mit Herrn Carl Mai, genannt Shatterhand, zu vereinen und so den Frieden zwischen Apachen und Kiowas zu sichern.

Schließlich deklamierten alle 4 unisono:

Wir sprechen für uns selbst und haben für unsere Völker gesprochen. Hough!

 

Ratler hatte regungslos auf seiner Bank gelegen. Er war die ganze Zeit bei Sinnen gewesen. Nun sprach er:

Große Verbrüderung der Rotgesichter unter dem Schutz des Sachsenkönigs. Und wer bezahlt das alles?

Immer der, wo fragt, rief Seine Majestät ausgelassen.

Alle klatschten, als Pfarrer Weißbart die erste Flasche öffnete.

Und jetzt wird abgerechnet, Señoras y Señores, sprach der Schlafende Bär, 3500 Lasten Gold sind wir Ihnen schuldig, Señor Mai. Nun habe ich die Wette wegen Ratler gewonnen, und das ist Ihr Anteil. Erlauben Sie uns, damit unsere Schutzgebühr der nächsten 20 Jahre für den Frieden zu bezahlen. Wir werden das Gold jetzt Seiner Majestät übergeben.

Jeder Krieger der Apachen und Kiowas brachte 5.000 frisch geprägte 20­Dollar­Münzen her und legte diese auf den Altar.

2.000.000 Dollar!, rief seine Majestät aus.

Wieso wird, protestierte ich, mein Gewinn aus einer Wette zum Schutzgeld?

Kalle, sprach Ndschotschi beruhigend auf mich ein, Du bist jetzt Häuptling der Apachen. Damit steht Dir unser ganzer Besitz zur Verfügung.

Dann nehme ich eine kleine Änderung vor, sagte ich, jedem der Gefangenen, die seine Majestät heute begnadigt hat, schenke ich 20 dieser Münzen als Starthilfe für das Leben in Freiheit.

Sie haben gesprochen, Señor Mai, sprach der Friedenshäuptling der Apachen, und so geschieht es. Winnetou und Seine Majestät, König Ernst August III, nickten zustimmend.

Gents, sagte Sam, den Rest blecht Ratler von den Einnahmen seiner Bücher, wenn ich mich nicht irre. Natürlich erst, nachdem er seine Schulden bei der Banc of America abgearbeitet hat.

Während dessen händigte ich jedem begnadigten Gefangenen 400 Dollar ein.

Herr Mai, sagte Mr. Bond, Sie werden mit Ihrem Leben mehr anfangen wollen, als sich bei den Apachen ruhige Tage zu machen. Die Pacific braucht Sie und die Verschlüsselungstechnik der Apachen dringend für eine heikle Mission in Asien. Wir wollen eine Eisenbahnstrecke durch den ganzen Kontinent bauen, von Malaysia bis Sibirien. Von dort wollen wir einen Tunnel unter der Nord-West-Passage graben, um die USA, Asien und Europa zu verbinden. Sie sollen dafür sorgen, dass wir überall möglichst günstig an die Baugenehmigungen kommen und während des Baus keinen Ärger haben.

Da werden sie, Herr Mai, sprach seine Majestät vergnügt, viele Reiseberichte an Herrn Bond senden. Sorgen wir dafür, dass der Häftling Ratler Kopien dieser Berichte bekommt, damit er diese zu Reiseromanen verarbeiten und unter dem Pseudonym: Karl May herausbringen kann.

Jetzt wird gefeiert, rief Pida, Shatterhand und ich müssen noch Blutsbrüder werden!

Wir haben Friedenselixier mitgebracht, sprach Winnetou, um den Frieden zu besiegeln.

Auch ich habe Friedenselixier hergestellt, sagte ich, und mit dem, was Ihr mitgebracht habt, wird es für alle reichen. Majestät, Wenn Ihr die Rolle des Schutzherrn annehmen möchtet, die Euch die Apachen und Kiowas antragen, wird dieser Frieden nach Euch benannt werden. Nach den Riten der Apachen und Kiowas müsst Ihr den größeren Teil des Elixiers rauchen und später erzählen, was Ihr im Rausche erlebt habt.

Ich nehme die Rolle des Schutzherrn für den Frieden der beiden edlen roten Völker gern an, sprach Seine Majestät würdevoll und setzte lächelnd fort: Auf die Wirkung des Elixiers bin ich gespannt!

Kommt gar nicht in Frage, protestierte Ndschotschi, dass Shatterhand gleich wieder allein in der Weltgeschichte herumreist. Ich will Kalle mindestens ein Jahr lang bei mir zu Hause haben!

Carl Mai

Zuchthaus Leipzig, begonnen und beendet am 1. Januar 1901

Widmung und Danksagung

Dies Buch widme ich meinem Freunde Pastor Holger Johannsen in memoriam. Er hat mich immer ermutigt, die Früchte meiner Phantasie öffentlich zu zeigen.

Meinem Bruder Hayo danke ich für die Stunden intensiver Spiel­Arbeit. Er erfand Den Friedenshäuptling der Apachen Der Schlafende Bär, Sams Pferd Susi und gestaltete die Figur Pidas.

Meiner Frau Christina Harder­Henf danke ich für die ermutigende Begleitung des Werkes. Meine Schwägerin Uta Motschmann hat darüber hinaus das Manuskript sorgfältig redigiert. Theo Floßdorf, Dr. Elke Irimea, Dr. Daniela Preis und Paula Grimm danke ich für viele Anregungen.

Doktor Willi Wildtwuchs

Köln, Oktober 2022